Dear All,
The "Wittgen=steine" talks continue this coming Friday, November 28th, 2025, 3-4:30pm, HS 3B:
Andreas Krebs
Unabgeschlossenes Denken: Wittgenstein über Gewissheit
Abstract: Wittgensteins Über Gewissheit – ein Text, der Sätze wie „Dies ist meine Hand", „Die Erde ist sehr alt", „Es war noch niemand auf dem Mond" verhandelt – wird häufig als philosophisches Werk gelesen, das eine kohärente Theorie unhintergehbarer Selbstverständlichkeiten enthalte. Forschungskontroversen drehen sich oft darum, um welche Theorie es sich hierbei handeln soll. Diese Art, sich mit Über Gewissheit auseinander zu setzen, ist aus mindestens drei Gründen problematisch: Erstens ist Über Gewissheit kein Werk, sondern eine posthume Kompilation fragmentarischer Notizen; viele vermeintliche theoretische Zentralbegriffe – etwa „Fundament", „Weltbild" oder „Angel" – tauchen nur in wenigen Aufzeichnungen auf, deren Datierung zudem nahelegt, dass Wittgenstein sich bloß kurzzeitig mit jenen Begriffen beschäftigt hat. Zweitens bilden Gewissheiten keine homogene Klasse, sondern eine Familie, deren Mitglieder durch Ähnlichkeiten und Übergänge verbunden sind, ohne auf gemeinsame Merkmale reduzierbar zu sein; etliche pointierte Beobachtungen Wittgensteins, die in der Diskussion verallgemeinert werden, treffen tatsächlich nur auf bestimmte Gewissheiten zu und auf andere nicht. Drittens gibt es in dem Textmaterial, das in Über Gewissheit zusammengestellt wurde, unauflösbare Spannungen und Widersprüche; Wittgenstein hat offenbar nicht zu Beschreibungen der Phänomene gefunden, die er selbst als zufriedenstellend hätte gelten lassen können. So lässt sich Über Gewissheit als Dokument einer Denkbemühung lesen, die faktisch nicht zum Abschluss kommt – und vielleicht prinzipiell nicht kommen kann.
Everybody welcome!
Best wishes from the organizers,
Esther Heinrich-Ramharter
Anja Weiberg
Martin Kusch