Am 30.09.2022 um 15:36 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Spaß bei Seite! Ich warte schon lange auf die Beantwortung der Fragen von Waldemar an Karl zur Wahrheit, und die zwei erinnern sich wohl lieber an Lieder von anno dazumal: "Bier her, Bier her, oder ich fall um" , und  "Schnaps, das war sein letztes Wort". Oje, im letzten der zwei Lieder geht es um Himmel und Hölle, und Oje, dann fahren Karl und Waldemar mit ihrem Steckenpferd-Thema endlos weiter. Die Wahrheit hätte doch auch mal was verdient, oder etwa nicht?


(Bier-)Spaß bei Seite, könnte man mit voller Berechtigung einfordern, ob der derzeit geopolitischen Situation. Ich denke, die Mehrheit der hier an philweb Teilnehmenden, gleich ob schreibend oder nur mitlesend, ist wahrlich nicht in der Stimmung, um ein „lubentum cervisiam“ oder von Dir benannte „Sauflieder“ anzustimmen und ich bin es mit Sicherheit auch nicht.


Vielleicht waren die jüngsten „Postings“ auch nur ein kleines Ausscheren aus dem hier zuletzt regen Austausch im üblichen Stil einer Disputation, die wahrlich nicht bierselig, sondern nahezu in jeder Hinsicht „bierernst“ geführt wird. Da muss kein Spaß beiseite genommen werden.


Auf Fragen Waldemars bezogen auf mein „Traktat“ zum Wahrheitsbegriff (wie er es nannte), ebenso auf Deine Skepsis hinsichtlich der Existenz von Wahrheitstheorien einzugehen, sollte insoweit unnötig sein, als ich dieses „Traktat“ ja lediglich in Antwort auf Ratfrag verfasst habe. Dieser besagte Beitrag war nichts anderes als eine Zusammenstellung von sog. Wahrheitstheorien, wie sie vornehmlich in der aktuell gelehrten Philosophie als solche eingeführt sind.


Selbstverständlich hätte „Wahrheit“ verdient, als solche eindeutig definiert zu sein, denn sie hat ja nicht nur philosophisch-wissenschaftliche, sondern vor allem auch gesellschaftliche Relevanz. So gesehen, ist der Wahrheitsbegriff (um eben nicht von undefinierter „Wahrheit“ zu sprechen) in jedem gesellschaftlichen Diskurs verankert, denn ohne Forderung nach hinreichendem Wahrheitsgehalt von Aussagen in Form von Rede und Gegenrede ist deren kritische d.h. an objektiven Maßstäben orientierte Würdigung unmöglich.


Wo diesem geforderten Wahrheitsanspruch im gesellschaftlichen Dialog, gleichermaßen im privat zwischenmenschlichen, wie auch im (geo)politischen Bereich die schiere Unwahrheit als plumpe oder dreiste Lüge entgegen gestellt wird, ist jegliche Verständigung zwischen Dialogpartnern ausgeschlossen.

Natürlich kann man über verschiedene Auslegungen und Nuancen des Wahrheitsbegriffs diskutieren, was letztlich jede Kommunikation im Sinne von Glaubwürdigkeit, Faktizität der Aussagen etc. von vorne herein scheitern ließe, wollte man sich in derartigem Definitionslabyrinth verlaufen.

Dialog zwischen Menschen ist eben kein Spiel mit festgeschriebenen Regeln, sondern über allem Diskurs steht zunächst lediglich ein Anspruch an Vernunft, Ehrlichkeit etc. als ein Wertekodex, den man weit gefasst (wie hier schon thematisiert) mit den Regeln einer Diskursethik beschreiben kann. Das zielt konzeptionell eben auf die von mir jüngst dargestellte Kohärenztheorie ab, da es um einen intersubjetiven Prozess gemeinschaftlicher Konsensfindung geht.


Am konkreten Beispiel der augenblicklich geopolitischen Situation zeigt sich sehr deutlich, dass es aber schier unmöglich ist, einen Konsens oder auch nur einen Kompromiss zur Konfliktlösung herzustellen, wenn dieser Anspruch an Vernunft und Ehrlichkeit durch blanke, dreiste Lüge mit Füßen getreten wird.


Mehr sollte ich zu diesem Thema nicht sagen müssen; zumindest nicht mehr, als nochmal hervorzuheben, dass „Wahrheit“ weit über seine philosophisch-wissenschaftliche Definition (e.c. als Wahrheitstheorien) hinausgehend eine unerlässlich grundlegende Bedeutung für den Dialog zwischen Menschen hat; dieses unabhängig davon, ob immer dem Anspruch an Gewissheit entsprochen werden kann oder sich bisweilen eine nicht sogleich aufzulösende Diskrepanz zwischen Werteträger (Aussage) und Wahrmacher (Faktum) ergibt und somit dem grundsätzlichen Anspruch auf Wahrheit nicht gerecht werden kann. Dieser Umstand zeigt unmissverständlich, dass es eine absolut gültige Wahrheitskonzeption nicht geben kann, weil sie an der Lebensrealität scheitert und das vor allem, weil hinsichtlich der jeweiligen Faktenlage (als dem Wahrmacher) zumeist immer auch Zweifel im Raum stehen, unbeschadet aller (heute angebotenen „Faktenchecks“


Bester Gruß! - Karl









JH

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