Am Fr., 1. Sept. 2023 um 00:54 Uhr schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
> den bürgerlichen Pöbel?

Gut, dass der Pöbel nicht weiß, wie die Würste und die Gesetze gemacht werden!“ Damit soll ein echter Fürst zum Ausdruck gebracht haben, wie wichtig die Trennung von gesellschaftlicher Ober- und Unterschicht ist, zum Wohle letzterer. Wiederum ist auch das Ausdruck von libertärem Autoritarismus. Freiheit, die sich ein System, sei es eine politische, oder klerikale Kaste, auf Kosten der Allgemeinheit nimmt. 

In der Mail "Im Namen der Wahrheit lügen?" wurde das schon diskutiert und nein, es ist kein libertärer Autoritarismus, sondern knallharter Paternalismus.
Zitat daraus:
"Folgende Überlegung:
1. Es gibt zwei Personen, nennen wir sie A und B. Beide haben ein
ehrliches Interesse an der Wahrheit und wissen auch jeweils vom
anderen, dass er dieses Interesse teilt. Das heißt, sie würden eine
Behauptung a nicht nur für richtig halten, weil es ihnen in den Kram
passt, sondern weil sie dafür gute Gründe vorzuweisen haben.
2. A weiß etwas, von dem B keine Ahnung hat. Nennen wir dieses Wissen x.
3. Zudem hat A sehr überzeugende Gründe dafür, dass B, wenn er von x
wüsste, zu einer Schlussfolgerung y kommen würde.
4. Die Schlussfolgerung y, das glaubt A, ist falsch und wird B auf
eine falsche Fährte locken.
Eventuell würde er sich dann zu schnell eine abschließende Meinung
bilden und nie zur korrekten Ansicht z kommen.

Wäre in dieser Situation der A berechtigt, den B anzulügen? Oder darf
A allenfalls schweigen?"


Der genannte eiserne Fürst hat damit seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass den Menschen zu ihren eigenen Wohl einige Informationen nicht zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Gegenüberstellung von Wurst und Gesetzen ist dabei bezeichnend.
Die Wurst will man schon gerne essen, aber man möchte ungern die "schmutzigen" (und ich hoffe heute weniger als damals schmutzigen) Bedingungen sehen, unter der sie gemacht wird. Genauso die Gesetze.

Was der Fürst dabei übersieht, ist, dass diese Analogie nicht uneingeschränkt funktioniert.
 

Wo liegen also die Grenzen zwischen Bevormundung und Fürsorge? Im benannten Fall dürften diese äußerst schwer zu ziehen gewesen sein. Aber wie sieht es generelldamit aus?


DANKE.
Du stellst die für mich zentrale Frage.

Da es keine libertären, also "freiheitlichen", Autoritären geben kann, muss irgendwo eine Täuschung vorliegen. Entweder über den wahren Charakter der Person (beispielsweise könnten diese "libertären Autoritären" einfach Egoisten sein, die ihren Bedürfnissen grundsätzlich Vorrang gegenüber denen anderer Menschen einräumen) oder in anderen Dingen.

Der Streit zwischen den Querdenkern und jener geheimnisvollen Gruppe, welcher wohl auch meine Person zugerechnet werden kann, die seltsamerweise keinen Namen hat, scheint mir auf eine Fragen empirischer Fakten hinauszulaufen.
Die Querdenker scheinen dabei fast beliebige Aussagen zu vertreten. Von der Leugnung der Existenz von Viren an sich, über irgendwelche Verschwörungstheorien über eine vermeintliche Elite und ihr Tun bis zur vergleichsweise "rationalen" Ablehnung einzelner technischer Punkte wie zum Beispiel die Zuverlässigkeit der PCR-Tests oder der Behauptung, dass das spezifische Corona-Virus überhaupt neu ist. (Eine Proteinhülle um sich herum, die zur Bezeichnung "Corona" führt, gab es meines Wissens tatsächlich schon bei Erkältungsviren.) Einige stellen auch in Frage, ob z. B. die Hygiene- und Abstandsmaßnahmen überhaupt wirksam sind.

Der Zwischenstand nach diese Absatz ist also: Der "Querdenker" kann als eine Person charakterisiert werden, die einen einzelnen Aspekt der bisherigen Corona-Erzählung in Frage stellt oder leugnet. Vor diesen Hintergrund machen dann die Maßnahmen keinen Sinn, sind gar zu verurteilen als Freiheitsentzug.
Dann stellt sich jedoch die Frage, warum sollten eigentliche alle Regierungen der Welt gleichzeitig solche Maßnahmen beschließen, wenn sie doch sowieso nichts bringen, und wieso berichten Massenmedien positiv darüber? Sie mögen sich kurzfristig irren, aber wieso geht ihnen der Irrtum nicht auf?
Und damit landet man ziemlich schnell bei irgendwelchen Verschwörungsnarrativen.

In der Praxis, so mein Eindruck, scheinen die Querdenker dann wohl eine große theoretische Willkür zu haben. Jede beliebige Behauptung wird kolportiert, die nur gegen das herrschende Narrativ spricht. Was sie dann anschlussfähig macht für Leute mit eher problematischen Überzeugungen wie eben autoritäre.
Es ist natürlich trotzdem absurd, ausgerechnet im Name der Freiheit eine autoritäre Gesellschaft zu fordern.

Doch wieso diese Willkür?

Ich habe keine Antwort, ich habe nur eine Idee. Was ist, wenn der Widerspruch doch nicht auf empirische, faktische Aussagen hinausläuft, sondern auf "Werturteile"?
Man selbst will sein Leben wie gewohnt führen, mit Kneipenbesuch, Treffen mit Freunden und ähnlichen und wird dabei durch die Maßnahmen eingeschränkt und weil man diese Maßnahmen deshalb loswerden will, nimmt man beliebige These an, um das vor sich selbst zu rechtfertigen. Weil die Leute es vor ihren eigenen Gewissen oder im Lichte ihrer Verantwortung nicht vor sich rechtfertigen können zu sagen: "Meine Möglichkeit, die Kneipe zu besuchen, ist mir wichtiger als die Eindämmung der Seuche".
Das mag man als Verlogenheit betrachten, ist aber, so fürchte ich, ein allzumenschliches Verhalten.

Man erahnt sofort vage einen evolutionsbiologischen Sinn:
Wenn ein Mitglied einer Primatengruppe seine Interessen im Rest der Gruppe durchsetzen will, hilft es ihn wenig normativ sein Recht auf rücksichtslose Durchsetzung seiner Interessen zu postulieren. Jedes andere Mitglied der Gruppe würde ihn direkt als den Egoisten erkennen. Vielmehr "tarnt" er seine Bedürfnisse in der Maske von anderen Interessen, beispielsweise die Geister seiner Ahnen, die Götter oder eine Gerechtigkeitsvorstellung.
Man kann aber am glaubwürdigsten Vorgeben, für das Allgemeinwohl und nicht nur für sich selbst zu sprechen, wenn man das auch ehrlich glaubt.
Deshalb wird die positive und negative Selektion langfristig solche Mitglieder der Gruppe begünstigen, die, so möchte ich es nennen, "ein Unterbewusstsein" haben.

Hier seien drei Kritikpunkte, auf die ich selbst komme, schon benannt:
1. Die strickte Trennung von Wert- und Tatsachenurteilen könnte hinterfragt werden.
2. Es gibt durchaus viele Querdenker, die nicht beliebiges glauben, was gegen die Maßnahmen war, sondern eine kohärente Anschauung entwickelten.
3. Die Sophisten im antiken Griechenland sollen tatsächlich das Recht des Stärkeren propagiert haben (wobei das vielleicht nur üble Nachrede ist).
 

Vieles liegt hinter Schleiern, Goethe sprach wohlweislich vom „gütigen Schleier der Natur“ und der Volksmund bestätigt es: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Es geht also um Wissen, offen gelegtes, verborgenes oder eben verschleiertes.


Siehe oben.
Woher will ich wissen, welche Information ich dir vorenthalten soll und welche nicht?

Nehmen wir an, ich sei dein Krankenpfleger und du Patient und die bittest mich, dass ich dir die Wahrheit sagen soll, falls die Diagnose negativ ist, dich aber in Unklaren lassen soll im Falle einer Krankheit.
Ich tauche auf und gebe dir einen verschlossenen Briefumschlag. Daraus kannst du logisch doch folgern, dass die Diagnose positiv ausgefallen sein muss, weil ich keine Entwarnung gegeben habe.

Du kannst nur entweder mir vertrauen, dass ich beurteilen kann welche Informationen du haben wolltest oder nicht, oder du must die Informationen zur Kenntnis nehmen. Auch solche, die deinem Wohlbefinden abträglich sind.
Du musst mir natürlich nicht komplett vertrauen und kannst vage Forderungen an mich richten.