Am 18.03.2024 um 20:21 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Ich hatte nicht bestritten, dass mit Hilfe von Prinzipien und Konstanten, auf die man dann vertraut wie der Normalo auf den Zusammenhang zwischen Blitz und Donner, und mit Hilfe von Mathematik, die man selbst erfindet, allgemeinere und genauere Berechnungen möglich sind. Und deinen Ausführungen hatte ich entnommen, dass der Schluss von der Bewegungsänderung auf die Kraft als "Ursache" deduktiv ist, also nicht der auf einen vorher unbekannten Drahtzieher.
Ich möchte mir nur nicht dss eine als das andere verkaufen lassen. Die Absurdität dieses Unternehmens hat Exupery ja schön auf den Punkt gebracht.


Moin Claus, 

Du störst Dich an der Kraftdefinition, wenn sie logisch zirkulär als Schluss von der Bewegungsänderung auf die Kraft als ihre Ursache angesehen wird. Es geht aber nicht um die Kraft im Allgemeinen, sondern um die Gravitationskraft im Besonderen, d.h. geschlossen wird von einer in den Keplerschen Gesetzen beschriebenen Bewegungsform auf ein Zentralkraftgesetz, lax ausgedrückt von der Bewegungsänderung auf die Kraft. Mathematisch kann von einem Abstandsgesetz auf einen Kegelschnitt geschlossen werden und umgekehrt. Für den mathematischen Zusammenhang spielt es keine Rolle, wie ich die Symbole interpretiere, das Abstandsgesetz Gravitationspotential und den Kegelschnitt Planetenbahn nenne. 

Ich hatte in der Mail an Karl vom 18.3. schon erwähnt, dass sich Newton und Coulomb in der Potentialtheorie gemeinsam behandeln lassen. D.h. aus der Existenzannahme eines zu 1/r mit dem Abstand abnehmenden Energiepotentials einer Masse M oder Ladung Q folgen für Testmasse m oder Testladung q unter Hinzunahme der jeweiligen Feldkonstanten k die beiden Gesetze für die Kraftfelder durch Gradientenbildung aus den Potentialen. Ebenso wie die Energie sind die Kräfte nur an ihren Wirkungen erkennbar, so dass sie auch als Ursachen angesehen werden.   

Für die Bewegung einer Testmasse m im Gravitationspotential - k M / r folgt dann in Verbindung mit der allgemeinen Kraftdefinition bzw. dem Aktionsprinzip als Lösung für die Bewegungsform der Testmasse ein Kegelschnitt. Dieses einfache Zentralkraftproblem lässt sich auf die Erdbewegung im Zentralkraftfeld der Sonne übertragen, da die kleine Erde gegenüber der riesigen Sonne als bloße Testmasse angesehen werden kann. Als Testmassen im Schwerefeld der Erde können auch herumfliegende Steine behandelt werden, die aber zumeist einfach wieder linear oder parabolisch auf die Erde zurückfallen.     

Im Gegensatz zur Wortspielerei Exupéry’s verstehe ich unter Erdanziehung also nicht bloß Fallen, sondern Bewegung im Schwerefeld der Erde gemäß einer Lösung des Zentralkraftproblems, die Richtung und Beschleunigung verständlich macht. Feynman bemerkte dazu "I learned very early the difference between knowing the name of something and knowing something.“ Die Umgangssprache liefert doch nur eine triviale Oberflächensicht des Geschehens um uns herum. So ist es ja auch hinsichtlich der umgangssprachlich ignorierten Erdrotation, wonach angeblich die Sonne auf- oder untergeht. Dabei sinkt oder hebt sich jeweils nur der Erdhorizont. Du scheinst Dich stets auf die Umgangssprache beschränken zu wollen, während ich die Mathematik für ebenso wesentlich halte.                           

Nach Newton’schem Programm werden alle realen Abweichungen von den idealen Bewegungen durch Kräfte erklärt. Das ist die Auffassung Lorenzens in seiner meth. konstr. Begründung technischen Wissens. Newton selbst äußerte sich im Vorwort seiner Principia: „Aus den Erscheinungen der Bewegung, die Kräfte der Natur zu erforschen und hierauf durch die Kräfte der übrigen Erscheinungen zu erklären.“ Und woher rühren die Kräfte? Im Scholium generale der Principia erklärt Newton: „Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht . . . Es genügt, daß die Schwere existiere, daß sie nach den von uns dargelegten Gesetzen wirke und daB sie alle Bewegungen der Himmelkörper und des Meeres zu erklären imstande sei.“ Einstein verknüpfte die Gravitation mit der Raumzeit und Feynman sah sie als Austausch-WW mittels Gravitonen. Eins Sonderstellung unter den WW nimmt sie noch immer ein.         

Eren Simsek hat Newton in seiner Diplomarbeit im philosophisch-historischen Kontext behandelt: „Die Prinzipien der Philosophie. Die mathematischen Prinzipien der Philosophie der Natur“


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