Am 02.10.2025 um 08:08 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
Hi RF,
Dir geht es um metaphysische Wahrheit, die scheinhaft vage ist. Mir geht es um nachvollziehbare MINT-Wahrheit.
Scheinhaft doch nur, wenn man den Wahrheitsbegriff spezifisch als solchen definiert.
Lebenspraktisch ist „Wahrheit“ das, was wirklich ist. Da besteht m.E. kein Bezug zur Metaphysik, da diese geradewegs als überempirische Ebene des Seins über die Realität hinaus reicht, sie somit transzendiert.
Man spricht oft von „ganzer Wahrheit“, die oftmals in Darlegungen von Sachverhalten bewusst oder unbewusst, bzw. gewollt oder ungewollt verschwiegen wird oder eben durch eine Lüge verdeckt oder „verdreht“ wird.
In vielen Fällen ist die „ganze Wahrheit“ eines Geschehens oder Sachverhalts ohnehin nicht zu erfassen und dann ist sie auch nicht beweisbar, obgleich sie real gegeben ist.
Selbst in der Mathematik, als solche die beweisende Wissenschaft schlechthin, verbleiben bislang ungelöste Probleme, etwa die Goldbach’sche oder Rowmann‘sche Vermutung, wo sich auch für diese Wissenschaftsdisziplin zeigt, dass sie im Prinzip unbegrenzt ist.
Wir kennen das alle noch aus Schulzeiten: „Beweisen sie, dass …“ und da saß man über einem Blatt Papier und fand es bisweilen gar nicht leicht, die zutreffenden Gleichungen hinzuschreiben und wenn sie falsch geschrieben waren, verloren sie dadurch nicht ihre objektive Gültigkeit, will heißen, dass Wahrheit nicht ihre Wirklichkeit verliert, nur weil sie nicht erkannt, bzw. bekannt ist.
Das lässt an Einsteins Frage an Niels Bohr denken, ob er glauben würde, der Mond wäre nicht existent, wenn niemand zu ihm schaut. Oder vielleicht das Postulat radikalee Konstruktivisten, wonach die Wahrnehmung des Mondes lediglich ein Konstrukt des Gehirns sei.
Weit davon sind Verschwörungstheoretiker nicht entfernt, wenn sie z. B. die Mondlandung als von den Amerikanern inszenierten Fake behaupten, etwa in Bill Kaysings Buch „We Never Went to the Moon: America’s Thirty Billion Dollar Swindle“. Ähnlich die Verschwörungstheorien zum WTC-9/11.
Wahrheit vs. Lüge. Eigentlich ist‘s einfach: Beides ist nicht in jedem Falle beweisbar, wäre es der Fall, würden viele Probleme im praktischen gesellschaftlichen Leben gar nicht erst aufkommen und selbst in der Welt der sog. strengen Beweise stehen deren Methoden zur Wahrheitsfindung in ihrer Abstraktheit nicht selten quasi blind gegenüber der realen Lebenswelt, insbes. deren psychosozialen Interaktionen.
So kann ich (im Sinne der Korrespondierenztheorie) RF zustimmen, wenn er schreibt:
„Wahrheit ist definiert als die Übereinstimmung von Verstand und Ding, oder altprachlich: Intellectus et rem.“
Und insbesondere mit seiner Aussage:
„Ein Beweis hingegen zeigt die Wahrheit nur auf. Ein Satz kann auch ohne Beweis wahr sein, sofern er mit der Realität oder eben "Wirklichkeit" übereinstimmt.“
KJ