Am 07.07.2022 um 15:00 schrieb Ingo Tessmann:



Am 07.07.2022 um 01:42 schrieb K. Janssen <janssen.kja@online.de>:

Dazu würde ich gerne einen Gedanken anführen, der eben nicht einer „Verabsolutierung“ entspricht, sondern eher an Waldemars Lieblingsthema der Autopoiesis resp. Selbstorganisation (als eben Prozessauffasung von Information) anknüpft:

Nehmen wir ein Paramecium (Gattung der eukaryotischen, einzelligen Ciliaten), das sich in einer Brackwasserlache auf ein Hindernis zu bewegt. Dort angestoßen, registriert es der Einzeller und speichert diese Information (wo auch immer) ab, um diese Stelle beim nächsten Anlauf zu meiden. Auf diese Weise bildet sich ein Bewegungsmuster, das diesem hirnlosen Wesen zur Koordination seiner künftigen Fortbewegung dient.




Hi Karl,

zum Paramecium gibt es die lesenswerte Jugend-forscht-Arbeit von Sebastian Benden und Veronika Unger: „Was steuert das Pantoffeltier?“  

https://jufo.stmg.de/2006/Pantoffeltierchen/Pantoffeltierchen.pdf 

Darin beziehen sich die Forschenden aber gerade nicht auf im Zimmer herumlaufende Roboter, sondern auf nanotechnische Anwendungen. Und wenn Du schwach in Biologie bist, warum greifst Du nicht nach einem Lehrbuch? Aufschlussreich zum Paramecium ist bspw. Kükenthal: „Zoologisches Praktikum“. Darin ist von Information ebenso wenig die Rede wie bei den Jungforschern. Die Einzeller funktionieren chemisch, d.h. letztlich quantenmechanisch. Gleichwohl stört mich die anthropomorphe Redeweise. Pantoffeltiere „verhalten" sich nicht, sie reagieren bloß auf Reize.

Perfekt, dieser Literaturhinweis auf die Arbeit von Sebastian Benden und Veronika Unger. Wenn diese Youngster (damals) meinten, die ersten „Nanomaschinen“ würden nicht von Maschinenbauern sondern von Biologen gebaut werden, wird sie die Realität – bezogen auf feinwerktechnische Kenntnisse – eines anderen belehren.

Definitiv zutreffend gehen die beiden jedoch davon  aus, dass es höchst wahrscheinlich zuerst Biologen sein werden, die der Natur das „Geheimnis“ hinsichtlich (Ockhams Sparsamkeits-Prinzip folgend) primitivster Antriebs- und Steuerungsmechanismen derartiger Geschöpfe entlocken werden. Das zeigt doch geradewegs den Vorteil der Arbeitsteilung in der Forschung (wie im gesamten Lebensbereich), die sich durch verschiedene Interessenlagen resp. Talente in unterschiedlichsten Berufen ausbilden. Warum sollte ich mich daher als Nachrichtentechniker in dicke Fachbücher der Biologie einlesen? Vielmehr setze ich darauf, durch verständlich dargelegte Fachbeiträge von Biologen ein hinlängliches Grundverständnis für dieses Fachgebiet zu erwerben. Oder eben auch – wie Dein Hinweis auf diese Arbeit es bewirkt – aktuell und spontan sich in eine fachfremde Thematik hinein zu denken.



Bei Kükenthal ist zu lesen: „Die Fortbewegung der Paramecien wird durch den rhythmischen Schlag der zahlreich über den ganzen Körper verteilten Cilien bewirkt. … Stößt ein Tier auf ein Hindernis, so schwimmt es zunächst, durch Umkehr des Cilienschlages, ein Stück zurück, hält an, beschreibt mit dem Vorderende einen kleinen Kreisbogen und schwimmt in der so gewonnenen neuen Richtung wieder vorwärts. … Dasselbe Verhalten kann man beobachten, wenn das Tier bei der Vorwärtsbewegung in ein Reizfeld gerät, das ihm nach Art oder Stärke nicht zusagt.“ Als ob einem Einzeller etwas „zusagen“ könnte!?

Diese aus Forschung gewonnene Erkenntnis ist unbenommen aber diese biochemischen bzw. elektrisch evozierten Mechanismen zur Fortbewegung waren nicht Grundlage für mein Beispiel. Dieses sollte hinsichtlich der selbststeuernden/selbstregulierenden  Funktionen eines Paramecium analog derer eines Saug-Roboters dienen und nicht auf die Funktion des Antriebs bzw. der Fortbewegung der Pantoffeltierchen abheben, worauf es den Jungforschern zum Bau einer Nanomaschine ankam, ebenso wenig auf die trivial funktionierende Antriebstechnik eines Roboters. In diesen beiden Fallbeispielen spielt Information nicht die Rolle, in der ich sie zu beschreiben versuchte (information ist nicht gleich Information). Daher findest Du auch keinen Informations-Begriff in der angeführten Arbeit, denn das war nicht das Thema der Jungforscher.

Mir kam es bei den Beispielen auf Selbststeuerung/Selbstregulierung (und eben nicht des biochemischen bzw. mechanischen Antriebs- und Steuerungssystems) auf die Idee für Form- und Informationsbildung von Systemen (biologisch oder technisch) in ihrer Wechselbeziehung zur jeweiligen Umgebung an.

Bei den Paramecien geschieht Wechselwirkung mit ihrem Umfeld (wie in der Arbeit von Benden und Unger beschrieben) wie folgt, Zitat:
 „überwiegend Na + /K + -Pumpen vor. Diese Pumpen stoßen mit Hilfe von ATP pro Zyklus drei Na + aus und saugen K + in die Zelle. Dadurch entsteht ein Potential, das von der Konzentration der jeweiligen Ionen im extra- und intrazellulären Raum abhängt. Diese Potentiale können zum Transport von Stoffen und auch zur Umweltwahrnehmung genutzt werden. Wenn sie zur Umweltwahrnehmung genutzt werden, wird die Potentialschwankung für die Aussendung einer Amplitude genutzt.“

Daraus kann man (bezogen auf mein Beispiel) entnehmen, dass diese hirnlosen Tierchen sich nicht „blind“ durch ihr Umfeld bewegen, sondern damit (mittels bioelektrischer Signalisierung - Wahrnehmung und Auswertung von Potentialschwankungen) interagieren. Was anderes als Informationsverarbeitung soll denn diese Art der Wechselbeziehung vermögen!? Auf diese Informationsbildung habe ich mich (implizit) bezogen.
Sollte ich mit dieser Annahme absolut falsch liegen, könnte vielleicht Thomas als Biologe aushelfen.

Was Roboter anbelangt, bringe ich eher Fachkenntnisse ein und damit sind mir die dem beschriebenen Saugroboter eingebetteten (embedded) Steuerungs- und Speichermechanismen nichts Neues. Neu für mich ist die grandios technische Ausführung einer Idee, die sich mit den Anfängen der Fuzzy-Logic (Wahrscheinlichkeiten als Grundlage für Rechenoperationen im Ggs. zur Boolschen Logik) bis hin zu modernen Methoden zur „Pattern-Recognition“ (Mustererkennung) als ein Werkzeug zur „Erfassung von Unschärfe“ (den schwarzen Hut im dunklen Keller finden oder das Topfschlagen-Spiel - heiß/kalt - der Kinder) fortentwickelt hat.

Hochleistungsrechner (und in Robotern sind erstaunliche Rechenleistungen implementiert) finden mit den Methoden der KI den „Hut im Keller“ definitiv schneller als Menschen das üblicherweise vermögen. Und immer geht es dabei um Information und deren Verarbeitung! Das ist eben auch die Methode, mit der „Natur“ das von Dir benannte Naturgeschehen, beherrscht:



Alles rauscht, zittert, wackelt, schwankt, wandelt — so wiederholt hin und her bis es frei kommt bzw. vorbei kommt bzw. weg kommt. Das funktioniert schon biochemisch. Kann es sein, dass Du mit dem vorurteilenden Blick des Ingenieurs auf das Pantoffeltierchen schaust? Auf welche Untersuchung beziehst Du Dich mit Deinem obigen Verständnis vom Paramecium?

Sicher nicht auszuschließen! Dennoch sollte für jeden hier Lesenden klar sein, was ich außerhalb meines beruflich bedingten Blickwinkels auf dieses Thema zum Ausdruck bringen will. Alle (vermeintliche) Erkenntnis, alle Annahmen gründen zunächst auf subjektiven Sichtweisen, abhängig von der eingenommen resp. einzunehmenden Perspektive.

Ich weiß nun nicht, warum Du einen direkten Zusammenhang zwischen meinem  Paramecium-Beispiel (an das ich mich aus einem vor Zeiten „gelesenen“ Hörbuch erinnerte) und der Arbeit der Jungforscher hergestellt hast. Es kann natürlich sein, dass ich mich missverständlich ausgedrückt habe oder aber Du reflexartig gegen meine „Informations-Schreiberei“ angegangen bist. Im Kern stehst Du – wie Waldemar – meiner Weltsicht nicht nur wissenschaftlich, sondern ideologisch gegenüber. Doch wie würden hier unsere Diskussionen (Gleiche unter Gleichen) ausfallen, hätten wir nicht die Gelegenheit und den Ansporn, sich mit dem Denken resp. Weltbild des anderen auseinander zu setzen. Nichts als Einheitsbrei und dafür ist dieses Forum nicht gemacht.


Biologie, da stehe ich auf sehr schwachen Füßen, aber dieses Beispiel lässt an eine technische Anwendung denken, die ich bei einem Staubsauger-Robot gesehen habe: Das Teil fährt zuerst völlig ohne Koordination durch ein Zimmer, sobald es auf ein Hindernis trifft, wird dieses abgespeichert (hier weiß ich, wie Speichern funktioniert :-)). Ist der Roboter durch alle Winkel des Raumes gelaufen, hat er einen kompletten Raumplan angefertigt und (abrufbar) abgespeichert, was beim nächsten Durchlauf nahezu jede Kollision mit Tischbeinen oder Wänden ausschließt. Das ist für mich ein anschauliches Beispiel für Selbstorganisation, die ein exaktes Raum- und Ablaufschema eines Zimmers erstellt. Nebenbei: dass dieser maßstäblich korrekte Raumplan (samt Sprachaufzeichnung) entweder in China oder Amerika landet, darf einen nicht stören. Ich habe vorsorglich die Internetverbindung mit dieser IP unterbunden, da ich diese Information nicht in „andere Hände“ transferiert haben wollte. Es geht also (wieder einmal) um Information, genauer gesagt Form und Information. Der erstellte Plan gibt Auskunft (Information) über die Form eines Raums (und mit der IP zudem Information über die nähere geografische Umgebung).  



Der Staubsauger-Robot folgt einem menschengemachten Plan, nicht aber das Pantoffeltierchen, das regt sich lediglich seiner natürlichen Lebensbildung nach: 

Genau eben nicht in meinem Beispiel, beziehungsweise nur bedingt. Es ist zwar ein „menschengemachter Plan“, den Roboter eigenständig in einem Zimmer Staub saugen zu lassen; wie er seinen Ablaufplan iterativ erstellt und verfügbar macht, ist hingegen pure Selbstorganisation bzw. -regulation. Die technische Grundlage dazu ist von Ingenieuren (IT- und Maschinenbau) erdacht (Sensorik, Mikroprozessing, Speicherung, In-Output-Interface etc.). Die o. erwähnten Methoden der Mustererkennung sind der Biologie entlehnt (wie so viele technische Anwendungen) und technisch umgesetzt.


Was wie ein blinder, iterativer Ablauf eines durch ein Zimmer laufenden Roboters aussieht, entpuppt sich als prozessbezogene  „intelligente“ Form und Informationsbildung.

Ich denke, dass dieses dem natürlichen evolutionären Geschehen von Lebensbildung und – erhalt gleicht: Einfach ausgedrückt: Wenn ein Hindernis unüberwindbar ist, wird es solange umgangen bis sich ein passabler Weg findet. Der wird dann zum „Lebensweg“ oder modern ausgedrückt zur individuellen „Worldline“. Cause and Effekt – als klassisch buddhistische Perspektive. Das mit dieser fernöstlichen "Philosophie" der Appell für weitest mögliche Hindernisvermeidung einhergeht, würde in der Tat weniger Probleme mit unserer technisierten Welt herbeiführen. Fraglich bleibt, was dann noch vom Leben bleibt. 



Inwieweit entsprechen sich originäre chemische Reaktionen in Einzellern und programmierte Bewegungen von Reinigungs-Robots?


dito


Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl

PS: Das Thema heißt eigentlich Physis vs Psyche, wie Du anmahnst. Die Physis unseres Lebensraumes ist hinreichend (wenngleich nicht erschöpfend) erforscht und beschrieben, keinesfalls jedoch die Psyche. Damit verbindet sich die gesamte Problematik in der Sicht auf das immaterielle Wesen insbes. das Bewusstsein des Menschen und seiner Wahrnehmung seiner Selbst.

Das Selbst des Menschen. Diesmal mache ich mir‘s leicht und verweise auf eine Podiumsdiskussion (The Evolutionary Origins of Self), die m.E. einigen Aufschluss dazu bietet. Ist halt in englischer Sprache geführt und wegen des komplex spezifischen Themas nicht (für jeden Zuschauer) sogleich zugänglich. In letzter Zeit fiel mir jedoch auf, dass zu fremdsprachigen Themen Übersetzungen (als Untertitel durchlaufend) angeboten werden:

https://www.youtube.com/watch?v=F-fYS4J4dbw