Am 10.03.2023 um 01:28 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Was soll man hier noch schreiben, wenn sogleich alles immer mit Totschlag-Argumenten wie „Geschwafel“ abgekanzelt wird?

Was hat diese Bemerkung mit meinem Hinweis auf Wheeler und Bohm zu tun? Auch diesen Persönlichkeiten der Wissenschaftselite sollte man einen Wandel ihrer Ansichten sowie deren persönliche Auseinandersetzung mit schwierigen Themen zugestehen, die sich heute als Diskrepanz zwischen Idealismus und Materialismus darstellt.

Mich stört schlichtweg diese herablassende Sicht auf forschende Menschen, die sich - wie wir selbst auch - schrittweise ein Weltbild erarbeiten wollen, das der sinnlich erlebten, gleichwohl letztlich nicht erkennbaren wirklichen Wirklichkeit (gem. R. Kastner) möglichst nahe kommt.

Warum immer wieder diese Verächtlichkeit gegenüber Idealismus, Religion, Metaphysik (als jeweils elementarer Teil philosphischer Betrachtung) und der Huldigung einer Naturwissenschaft, so unverzichtbar bedeutsam diese auch ist, wo es eigentlich darauf ankommen sollte, Brücken zwischen Geistes- und Naturwissenschaft im Sinne einer anzustrebenden interdisziplinären Forschung zu bauen.



Moin Karl, 

Du hattest geschrieben „`it from bit'. Das steht im Kontext der Bohmschen Mechanik, die mir sehr plausibel erscheint.“ Und ich verwies darauf, dass Bohm seine Mechanik gerade nicht im Anschluss an Wheeler, sondern zur Vervollständigung der Matrizenmechanik Heisenbergs formuliert hatte. Wheeler’s vielzitierter Essay zu `it from bit’ stammt aus dem Jahr 1989, während Bohm seine Mechanik bereits 1952 veröffentlichte! Mich nerven Pseudorechtfertigungen jeglicher Ideologien. Demgegenüber anerkenne ich den Brückenschlag Kastners, die allerdings weder Bohm noch Wheeler folgt, sondern hauptsächlich Cramer und Feynman. Wir hatten das ja bereits thematisiert. 

In meinem Vorhaben, den Erkenntnisgang von Gauss bis Kastner ein wenig genauer zu verstehen, bin ich auf den Dänen Ludvig Lorenz gestoßen, der mir eigentlich in Verbindung mit der „Lorenz-Eichung“ längst bekannt geworden sein sollte. Ich hatte ihn (wie viele andere) zumeist mit dem berühmteren Holländer Hendrik Lorentz verwechselt und das fehlende t in seinem Namen stets unbewusst ergänzt. Auf jeden Fall reiht Lorenz sich in die Reihe der Fernwirkungstheoretiker ein, die ebenso von Gauss ausgingen wie die Nahwirkungstheoretiker. 

Ich habe kürzlich wieder in Bohms Büchlein über „Implizite Ordnung“ gelesen und eigentlich keinen signifikanten Bezug mehr auf mein derzeitiges Weltbild gefunden, was wieder einmal deutlich macht, wie sich Sichtweisen im Verlauf eines Lebens ändern können und ggf. auch sollten. Das ändert jedoch nichts an meiner grundsätzlichen Überzeugung, dass diese Lebenswelt nicht ein granuliert fragmentiertes, sondern - eben in Bohms Sicht - ein holistisches Gebilde ist.

Vermutlich stört sich die neue liberal-intellektuelle Elite daran, dass der „späte“ Bohm seine Thesen in eine idealistische, resp. ethische Richtung verschoben hat, die man verächtlich dem Sujet der Esoterik zuordnet. 


„Die neue liberal-intellektuelle Elite“ scheint mir auch bloß wieder eine ideologische Pseudokennzeichnung. Als öko-liberaler Bildungsprolet verstehe ich „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“. Und als solcher bringe ich esoterisches Geschwafel nicht mit bewiesener Bohm’scher Mechanik zusammen.  


Gerade ist wieder eines der unzähligen Bücher über die Quantentheorie erschienen. Diesmal ist es Christian Haller, der in „Sich lichtende Nebel“ über Werner Heisenberg fabuliert.

Auch wieder einer, der „fabuliert“. Irgendwie irritiert mich diese Zuschreibung. Wer, Ingo, frage ich Dich, ist vor Deinem Standard-Urteil des Fabulierens noch gefeit? 

Für Romanciers gehört das Fabulieren ja zum Geschäft, wobei ich das Buch Hallers nicht empfehlen kann, hat es mich doch bloß gelangweilt, da es die Nebel um die Quantenmechanik nicht zu lichten trachtet, vielmehr weiter mystifiziert. Esoterikern wird es gefallen — und weiter den „Kopenhagener Geist" verbreiten. Demgegenüber empfehlen kann ich das Buch „Schockwellen“ der öko-liberalen Claudia Kemfert, die weiter unerschrocken gegen das Fossile Imperium anschreibt. 


Ich hoffe, dass sich die Nebel wirklich lichten und nicht die verwackelte Aufnahme einer klaren Landschaft mit einer scharfen im Nebel verwechselt wird. Das Beispiel hatte schon Schrödinger 1935 in seiner Kritik an Heisenberg verwendet. Ideologiekritisch interessant bleibt die Diskrepanz zwischen Idealismus und Materialismus. Religion, Literatur und Mathematik befördern ersteren, Technik und Naturwissenschaft letzteren. Und was machen die Philosophen? Frönen sie weiter dem „Wortaberglauben“ (ein Wort, das mir natürlich gefällt), von dem Haller einleitend schreibt?

Die Philosophen? Als ob alle derer dem „Wortaberglauben“ frönen würden - das kannst Du doch wohl selbst nicht glauben! 

Ich hatte das ja als Frage formuliert; denn nur wenige Philosophen schreiben so einfach und klar wie Paul Lorenzen. Aber womöglich gehörte der zu den Regel bestätigenden Ausnahmen. Zum Wortaberglauben gehören auch die weit verbreiteten Pseudokennzeichnungen.  

IT