Am 04.05.2023 um 11:32 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:Am 23.04.2023 um 19:32 schrieb Rat Frag über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:Am Mo., 17. Apr. 2023 um 02:14 Uhr schrieb Karl Janssen über PhilWeb
<philweb@lists.philo.at>:Unbenommen diesbezüglich tiefenpsychologischer Forschung und zahlreicher Thesen zum Phänomen der Emotion, vornehmlich wohl jene von Izard und Plutschik, würde ich Emotion als basale motorische Erregung sehen, die in erster Linie eine Überlebensfunktion hat und damit ein entscheidender Faktor in der evolutionären Ontogenese ist.
Darf ich da um mehr Kontext bitten?
Zuletzt hatte ich zur Begrifflichkeit von Emotion geschrieben, um Ratfrags Wunsch nach diesbezüglich entsprechendem Kontext nachzukommen. Zufällig (gibt’s überhaupt Zufall?) erschien in der gestrigen Ausgabe der faz ein Interview mit der Emotionsforscherin Sarah Chaney. Dort wird der Zusammenhang zwischen dem Wort „normal“ und der „Angst vor Einsamkeit“ thematisiert und dabei die Frage erörtert, wie der Begriff von Normalität in den heutigen Sprachgebrauch gekommen ist.
Unbenommen des Begriffs „Normal“ als metrologisches Vergleichsnormal (als Präzisionsmessgerät zur Kalibrierung) wurde das Wort „normal“ als neue Wortschöpfung erst seit etwa 200 Jahren in die Alltagssprache eingebracht, womit erstmals ein gesellschaftlich verankerter Vergleichsbegriff für „das Normale“, wohl als allgemein gültiges „Normverhalten“, etabliert wurde.
Auch der Begriff von Emotionen ist noch vergleichsweise jung, denn auch er wurde vor ca. 200 Jahren erstmals von Psychologen benutzt. Davor sprach man von Leidenschaft, von Empfindung und auch von Zorn und Wahn und sowie letztere Begriffe Einzug in die Psychologie nahmen, wurden sie als problematisch und pathologisch eingestuft. Generell galten Emotionen als unzulänglich für die physische und mentale Gesundheit und sie waren damit im Sprachgebrauch negativ besetzt, sollten möglichst unterdrückt werden; selbst öffentlich gezeigtes Mitgefühl war verpönt: „Jungs und Männer weinen nicht“. Von wegen, möchte und darf man heute sagen.
Doch zurück zu Normalität und der Frage, was sie mit Emotion zu tun hat?
Sehr viel, wie es sich heute mehr denn je zeigt. Die zur gesellschaftlichen Norm erhobene Konformität, wie sie durch Medien, insbes. die sog. sozialen Netze (Instagram etc.) propagiert wird, vermittelt insbesondere affektiv veranlagten Menschen einen gewissen Zwang zur Anpassung an Zeitgeist, Moden und Verhaltensweisen. Damit werden Ängste oder zumindest Sorgen erzeugt, nicht dieser Lebensart entsprechen resp. folgen zu können. Das zeigt sich bereits im Schulalltag, wo Abweichungen von der „Norm“ mit Mobbing begegnet wird. Und diese Norm wird als Ideal quasi einem statistischem Durchschnitt gleichgesetzt und als das „Normale“ bzw. als das Normalsein definiert.
Diese Thematik führt auch geradewegs in die Gender-Frage, d.h. nach Normalität bezogen auf eine eindeutige geschlechtliche Zuordnung, die sich in der aktuellen Diskussion zuspitzt, ob denn das Geschlecht lediglich ein „soziales Konstrukt“ sei.
Per se ist die Differenzierung der Geschlechter an die Genetik von „Bauplänen“ aller Vielzeller gebunden, d.h. auch für den Menschen gültig. Dennoch gibt es Abweichungen, wie diese sich im Verlauf der Evolution ergeben und ohne eine klar erkennbare Funktion erhalten haben. Das kann sogar bis zur Dysfunktion und damit zu nicht möglicher Fortpflanzung reichen. Auf davon betroffene Menschen bezogen, bedeutet dies ein Entwicklungsmerkmal mit erheblichem Potential zu Diskriminierung.
Bezogen also auf das heutige Verständnis von Normalität ergibt sich für die Frage nach der Bedeutung von Emotion, dass Ängste und Sorgen, nicht dem Norm-Durchschnitt anzugehören, zu einer bisweilen erheblichen psychischen Belastung führen kann; natürlich hängt diese Frage von der jeweiligen psychischen Konstitution, vom Selbstbewusstsein und vom sozialen Umfeld ab, was sich insbesondere auch an Menschen zeigt, die sich grundsätzlich keiner gesellschaftlichen Norm unterordnen.
Grundsätzlich denke ich, stellt sich immer die persönliche Frage, mit was man sich eigentlich zu vergleichen hätte und vor allem, ob man sich immer einem Vergleich zu stellen, resp. einen Abgleich mit geltender Normalität vorzunehmen hat.
Soweit noch einmal einige Gedanken zu Emotion und deren Verbindung zu gesellschaftlicher Normativität.
Bester Gruß in die Runde! - Karl
PS: Die Art benannter Emotion würde einem KI-System per se nicht zu eigen sein; in welcher Form man Angst und ähnliche Gefühlsregungen dort hinein programmieren könnte und vor allem, wie diese sich dann dort darstellen bzw, auswirken würden, ist eine spannende Frage.