Moin Joachim,

ja, in der Kritischen Theorie tut man sich schwer mit dem Akzeptieren von Naturnotwendigkeiten, insofern bin ich ein untypischer Sympathisant. Besser bzw. überhaupt zusammen kommen Natur und Kultur bei den Methodikern in der Nachfolge Lorenzens. Mit seinem Schüler Janich steht der in einer propositionalen Sprache als Abblild der Welt beschriebene naturgesetzlich reagierende Organismus der zwecksetzungsautonomen Person mit ihrer auffordernden Sprache der Kooperation gegenüber. Der Kulturalist Janich suchte einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen postmoderner Beliebigkeit und klassischer Methodenstrenge in einer erneuten Wende – nach linguistic turn und pragmatic turn – zum methodischen Kulturalismus. 

Als zwecksetzungsautonome Person sehen wir uns doch beide gerne, oder? Zugleich sind wir aber auch naturgesetzlich reagierende Organismen. Methodisch nachvollziehbar lassen sich Zwecke schwerlich im Widerspruch zu den Naturnotwendigkeiten realisieren. Insofern sich Person und Organismus, Zwecksetzung und Mittelwahl trennen lassen, können auch Natur/Bio- und Soziorhythmen unterschieden werden. Gesundheit ist bspw. Zweck und Medizin Mittel. Meine Oma hat mir die wiederholte Bemerkung hinterlassen. „Jeder Wunsch wird klein, neben dem gesund zu sein.“ Aber was wären für Dich sinnvolle Zwecksetzungen? „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“? „Friede, Freude, Eierkuchen“? „Wein, Weib und Gesang“? „Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll“? „Friede und Glückseligkeit“? „Erkenntnis und Verständnis“? Meine wiederholt vorgebrachte Politmaxime wäre: „Erstrebe das soziale Optimum zwischen dem Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen und der Ausgestaltung der persönlichen Lebensmöglichkeiten!“       

IT


Am 23.08.2024 um 09:32 schrieb Landkammer, Joachim über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Lieber Ingo,
du weißt vermutlich viel besser als ich, daß „Naturnotwendigkeiten akzeptieren“ und „den Maximen der kritischen Theorie folgen“ (zwei deiner positiv konnotierten Aussagen aus deinem letzten Beitrag) stark dazu tendieren, miteinander zu kollidieren. Hat nicht gerade die „kritische Theorie“ darauf hingewiesen, daß „Naturnotwendigkeiten“ meist nichts als Ideologeme konservativer Kräfte sind? Und gerade dein Max-Planck-Leute-Zitat bestärkt mich natürlich gerade: wenn diese „inneren Uhren“ Tiere und Pflanzen „optimal an die im Tagesverlauf veränderten Umweltbedingungen anpassen“ können, dann laßt uns doch – könnte man sich vorstellen - an die heute technisch mögliche weitgehende Unabhängigkeit von Tageslicht und Jahreskreislauf „besser“ anpassen. Die von dir aufgemachte Trennung von Natur/Bio- und Soziorhythmen ist ja wahrscheinlich so einfach gar nicht aufrechtzuerhalten, weil sie ja doch vielfältig miteinander verknüpft und verhakt sind; wer sozial „progressiv“ sein will, darf sich daher durch die Naturwissenschaften und die „Biologie“, die allzugern nur zur Legitimation von repressiven Sozialnormen (z.B. durch den Mythos „Gesundheit“, früher ja auch gern „Volksgesundheit“ genannt) herhalten müssen, nicht aufhalten lassen. 
Ja, meinetwegen Freiheit als „Einsicht in die Notwendigkeit“: aber wirkliche, zu Ende gedachte, alle Alternativen mitbedenkende und ggf. offenlassende (!) „Einsicht“ müßte es dann schon bitte sein, sonst klingt mir das irgendwie zu totalitär.
JL