jh: „Nach alledem muss ich gestehen, und Karl vermutlich auch, dass Ingos Hinweis auf eine Vorsache des Jahres 1908 korrekt war. Sicher kann der eine oder andere sich um das Geschriebene drum herum streiten, das in der vollständigen Vorsachen-Angabe des Allwissenden korrekter vorkommen würde, und anderes nicht vorkommen würde, etwa das, was ohne Belang wäre. Bemerkung: Allwissender nur als Fiktion, also ich habe nicht im geringsten an ein höheres Wesen gedacht.“


Da muss ich nichts eingestehen, Joseph, denn unter Deinem hier angeführten Gesichtspunkt der Faktizität der von Ingo angemerkten Technisierung der Mobilität durch das Automobil ist diese „Vorsache“ durchaus nicht abzuweisen. Meine Kritik zielt auf den ideologischen Aspekt von Ingos Aussage und dieser ist wohlfeil.

Es geht eigentlich um die Art und Weise, wie der Mensch Technik grundsätzlich einsetzt und hier liegen – wie bei allem menschlichen Denken und Handeln Gebrauch und Missbrauch eng beieinander.

Ich hatte kürzlich das Beispiel vom Hammer genannt, mit dem man Häuser bauen aber auch Menschen erschlagen kann. Ich denke, es sollte allen klar werden können, was damit ausgesagt sein soll: Eben das potentielle Missbrauchsrisiko jeder Handlung von Menschen. Hinzu kommt das eigentliche Problem der Menschheit, nämlich die bewusste Übertretung von Geboten und Gesetzen, seien sie religiöser oder säkularer Abkunft. Neid, Missgunst, Habsucht, Mordlust usw. sind die offensichtlich nicht zu überwindenden Grundübel der Menschheit.

Hier wird immer wieder gegen Religion argumentiert, doch sie ist es, die Menschen diese Gebote von klein an vermittelt. Wen sollte es wundern, wenn eine gottlos (oder einfach nur geistlos) gewordene Welt immer mehr aus den Fugen gerät. Am Ende war sie das immer schon – wie in der Bibel beschrieben. Das hier ist keine Weihnachtspredigt, denn welches Bild ich von Religion oder einem Gott habe, wurde von mir ausgiebigst dargelegt. Ein Gottesbild ist m.E. ein Sinnbild und man könnte es als göttliche Wesenheit einem Sinnfeld zuordnen. Sinnhaftigkeit von Leben und Welt, die sich durch Einhaltung von Regeln und Gesetzen konstituiert. Gottes Schöpfung achten - könnte man auch sagen, doch das Wort löst hier bekanntlich Schnappatmung aus.

Natürlich kann man hier sofort wieder beginnen, die Herkunft, die Ersteller von Regeln und Gesetzen abgrundtief zu kritisieren, denn auch in diesem Kontext gilt: Versuch und Irrtum. Wie eben auch bei der Technisierung im Verlauf der Menschheitsgeschichte. Dass diese nicht reibungslos, d.h. niemals perfekt, sondern nur als jeweils iteratives Voranschreiten verlaufen kann und dies eben auch nach dem Gesetz von Zufall und Notwendigkeit, sollte allen hier klar sein. Dem Zeus war es klar, als er den Raub des Feuers (also die Techne) durch Prometheus bestrafte:

Ausgedrückt in der Textpassage des Aischylos, wo der an den Felsen geschmiedete Prometheus den Grund seiner Bestrafung durch Zeus nennt:

"Chorus: Gingst du in diesem deinem Tun nicht weiter noch?

Prometheus: Die Menschen ließ ich nicht voraussehn mehr ihr Los. [Moros],

Chorus: Welch ein Heilmittel fandst für diese Krankheit du?

Prometheus: Hoffnungen [Elpis], blinde, pflanzt ich ihren Herzen ein.

Chorus: Höchst hilfreich war, was so dem Erdvolk du geschenkt."

Prometheus versäumte es, die Menschen vor unzulänglicher Nutzung des Feuers (Technik aller Art) zu warnen und wurde daher bestraft. Es ist offensichtlich die Nichtabsehbarkeit der Konsequenzen (heute würde man sagen, fehlende Technikfolgeabschätzung), aber als eigentliches Problem eher das Nichtverlassen von (bewusst wie unbedarft) irrtümlich eingeschlagenen Wegen - wie ich das hier schon mehrfach anmerkte -, welches diese augenscheinlich nicht mehr zu leugnende Klima- resp. Umweltkrise herbeigeführt hat.

Daran knüpft Ingos Technikkritik zurecht an; sie klingt mir aber zu sehr von der unvermeidlichen Realität menschlicher Missbrauchsgeneigtheit abgesetzt, d.h. es ist nicht die Technik (Feuer als Techne) an sich, nicht die mit der originär erfolgten „Organverlängerung“ durch die Erfindung des Hebels einhergehende Zivilisation, sondern die moralische Verderbtheit eines beachtlichen Teils der Menschheit, wie er sich über alle Jahrtausende hin erhält und fortlaufend Unheil in diese Welt bringt. Dieser Missstand würde sich jedoch auch nicht ändern, sollte sich die Menschheit eines künftigen Tages in die Steinzeit zurück bomben: Schma Waldemar!


Bester Gruß! - Karl



Am 19.12.2022 um 05:18 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Am 19.12.22 um 01:27 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:
Wohlfeil, aus heutiger Sicht auf die Vergangenheit der Technisierung zu blicken, um daraus auch noch ideologisch Kapital zu schlagen unter dem Deckmantel heute notwendigen Umweltschutzes. (Satz 1)

Der Satz vorhin ist als Antwort auf einen Teil des folgenden Absatzes zu denken, der von Ingo geschrieben wurde:

"was Du beim Anprangern der angeblichen Doppelzüngigkeit und Heuchelei vergisst, ist, dass die Krisensituation, in die uns das fossile Imperium gebracht hat, mit niederträchtigem Vorsatz und rücksichtslosem Eigennutz herbeigeführt wurde — und weiter befeuert wird. Wie viele grausame Kriege wurden nicht schon darum geführt und wie viele überflüssige Verbrennungsmotoren für Autos und Transportfahrzeuge produziert. Die profitgierige und umweltzerstörerische Kompanei zwischen Auto- und Ölindustrie begann 1908 mit der Massenproduktion des Ford-Modells T. Darauf hatte ich wiederholt hingewiesen, aber immer und immer und immer wieder werden die gegenwärtigen Verhältnisse dargestellt, als ob es sich um Naturnotwendigkeiten handelte. Die Misere ist menschengemacht und wenn schon damals der elektrifizierte Schienenverkehr konsequent ausgebaut worden wäre, gäbe es heute nichts zu jammern über die absurden Pendlerprobleme und Staus auf den Straßen. In autofreie Städte muss nicht gependelt werden, da sich in ihnen leben lässt und hinreichend ausgebauter Schienenverkehr ist nicht auf Autobahnen angewiesen. Eine an Menschen und nicht an Autos angepasste Stadt- und Siedlungspolitik wäre schon vor hundert Jahren möglich gewesen." (Am 18.12.2022 um 12:43, Ingo Tessmann)

Von oben herab nehme ich mir die Erlaubnis, auf Beides zu antworten.

Erinnerungswissen, nehme ich an:
Wenn Vor-Sachen (im üblichen Sprachgebrauch: Ursachen) angegeben werden, dürfen diese zu jedem Zeitpunkt der Vergangenheit angegeben werden. Weder von dem Sprachgebrauch, dem Umgangswissen, noch von einer wissenschaftlichen Vorgehensweise her, ist der Zeitpunkt in der Vergangenheit fest zu denken. Plato war bekanntlich damit unzufrieden, und andere auch. Bei der Ursache-Bestimmung kann immer gestritten werden, wenn vom Zeitpunkt der Vorsache abgesehen wird. Ein Allwissender könnte die Vor-Sache zu jedem Zeitpunkt, zudem in voller Breite im Sinne von Multikausalität angeben, und zudem mit größter Genauigkeit und Korrektheit in jedem möglichen Sinne. Unabhängig davon, ob nur materielle oder immaterielle Vorsachen angegeben werden dürfen. Es kann sogar dazu gestritten werden, ob denn tierische Triebe oder menschliche Absichten als Vor-Sachen vorkommen dürfen. Eine weitere Bemerkung: Der Zufall, gemäß Wort im Betreff kann auch in der vollständigen Ursache-Bestimmung vorkommen. (2)

Daraus folgt: Es ist erlaubt, in der "Vergangenheit der Technisierung" einen bestimmten Zeitpunkt (1908) und die Sache zu dem Zeitpunkt als Vorsache aktueller Sachen anzusehen. Das ist nur eine Subsumtion in Bezug auf den vorherigen Absatz.

Der obige Satz 1 nimmt Bezug auf den "heute notwendigen Umweltschutz", und enthält implizit die Aussage, dieser sei in der "Vergangenheit" noch nicht notwendig gewesen. (Implizit heißt schließlich nicht "mit Behauptung, dass".) Dies kann also nur als Bemerkung angesehen werden.

Zudem kann ich mir vorstellen, dass Karl Janssen dem Immanuel Kant zustimmen würde, dass jeder die Konsequenzen seiner Handlungen vorausdenken sollte, und das nicht tun sollte, was nachher in der Zukunft unerwünscht ist. Ich habe dies einfach so kindisch hin geschrieben, es ist komplizierter. Und doch bemerke ich hier, dass ein Allwissender zusätzlich zur Fähigkeit der Angabe aller Vor-Sachen diejenige aller Nach-Sachen haben müsste. Eine weitere Bemerkung, analog zur obigen (2), nach der der Zufall auch hier vorliegen kann: Je nach "Entscheidung" durch den Zufall müsste der Allwissende mehrere Folge-Möglichkeiten beschreiben können. Ob das ihm auch noch zugetraut werden kann, ist offen. Dann wäre er schließlich eine Art Super-Allwissender.

Da ich kein Allwissender bin, muss ich wohl kläglich sagen: Es kann sein, dass nur versucht werden kann, mit teilweisen Fähigkeiten, die Vorsachen bzw. die Nachsachen zu sagen.

Nach alledem muss ich gestehen, und Karl vermutlich auch, dass Ingos Hinweis auf eine Vorsache des Jahres 1908 korrekt war. Sicher kann der eine oder andere sich um das Geschriebene drum herum streiten, das in der vollständigen Vorsachen-Angabe des Allwissenden korrekter vorkommen würde, und anderes nicht vorkommen würde, etwa das, was ohne Belang wäre. Bemerkung: Allwissender nur als Fiktion, also ich habe nicht im geringsten an ein höheres Wesen gedacht.

JH


_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb@lists.philo.at
Zur Abmeldung von dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave@lists.philo.at