Am 04.04.2024 um 04:00 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Darauf bezogen hat Ingo (it) wohl Dirac (indirekt) zitiert:  In der Physik versuchen wir, etwas, was vorher niemand gewußt hat, mit Zeichen zu sagen, die jeder versteht.“

Joseph fragt prompt: „jeder?“ Und da musste ich auch lachen, denn es ist tatsächlich nicht in jedes Menschen Vermögen oder Interesse, z.B. die Theorie des „Dirac-Impulses“ zu verstehen und das im Sinne von verinnerlichen. Ich habe mir den Dirac-Impuls auch lieber am Oszilloskop angesehen und ausgemessen, als ihn zu berechnen. Und so hat man Diracs Wunsch nach verständlicher Darstellung bis dato nicht gewusster Fakten (bezogen auf Elektrodynamik etc.) vor allem auch mit technischen Mitteln abgeholfen. 



Moin Karl, 

Dirac hatte ja vor seinem Studium der Mathematik Elektrotechnik studiert. Ähnlich wie Wittgenstein geriet er beim Ingenieur-Studium auf Grundlagen-Probleme und wandte sich der Mathematik zu, während Wittgenstein sich der Philosophie verschrieb. Ebenso erging es ja auch Broch und Musil, die als Ingenieure anfingen und sich dann der Mathematik und Philosophie zuwandten, um endlich Schriftsteller zu werden. Und ähnlich war es bei uns. Du gingst weiter in die Philosophie, ich in die Physik. 

Das obige Zitat aus Dath’s „Dirac“ erheitert mich immer wieder; denn vollständig heißt es ja: „In der Physik versuchen wir, etwas, was vorher niemand gewußt hat, mit Zeichen zu sagen, die jeder versteht. In der Dichtung ist es genau umgekehrt.“ Denn ist es nicht so, dass „in der Dichtung versucht wird, etwas, was vorher jeder gewußt hat, mit Zeichen zu sagen, die keiner versteht“? Im Bildungsbürgertum wird viel von Dante gehalten, aber wer hat die Göttliche Komödie wirklich gelesen und hinreichend interpretiert? 

An Dirac’s Delta-Distribution dagegen kann sich jeder bereits im Elektronik-Praktikum oder mit dem -Baukasten herantasten via Dirac-Impuls oder „Delta-Funktion“. Das interessiert auch bildungsferne Proleten, denen schöngeistige Literatur fremd ist. Auch kennt jeder normalsinnige Mensch das alltägliche Verliebtsein, einschließlich seiner schwärmerischen Überhöhungen. Aber Dante bleibt damit unverständlich. Insofern hat Dirac natürlich recht. 

Zudem meinte Dirac etwas Neues. Neue Gefühle oder Empfindungen allerdings kann es nicht geben, nur Verfeinerungen, etwa zum Geschmacks- oder Musikkenner. Aber die kann niemand sonst nachvollziehen. Anders in der Mathematik. Wer sich in sie einarbeitet erreicht ein (im Prinzip) für alle nachvollziehbares Verständnis, bspw. der Delta-Distribution oder der Dirac-Gleichung. Und im Gegensatz zu unserem beschränkten Gefühls- und Empfindungsspektrum ist die Mathematik unendlich vielfältig, so dass die Natur nicht nur zunehmend genauer, sondern auch vielfältiger untersucht werden kann. Per Literatur konnte noch kein neues Teilchen nachgewiesen werden, wohl aber per Mathematik. 

IT