Am 02.09.2023 um 12:01 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
Moin Karl,ohne Übertragung der Industrialisierungsfolgen auf die nichtindustrialisierten Völker hätte es kein exorbitantes Bevölkerungswachstum gegeben. Andererseits könnten 10 Mrd. Menschen problemlos nachhaltig auf der Erde leben. Missionierungswahn und Profitgier beförderten wesentlich das fossile im kapitalistischen Imperium, egal ob privat- oder staatskapitalistisch. Es bleibt die Frage, ob sich die wenigen Demokratien unter den vielen Autokratien werden halten können?
Waren es Hitze der vergangenen Wochen, Urlaub, Ferien oder einfach ein Abschalten von diesem ZUVIEL von allem, das uns tagtäglich die Hirne füllt und bisweilen „vernebelt“, was die philwb-Aktivitäten zum Erliegen gebracht haben?
So stehen also noch Antworten aus und ich möchte nun an Deine jüngste Argumentation anknüpfen, Ingo, mit der Du das Aufkommen des fossilen und damit verbunden des kapitalistischen Imperiums begründet hast.
Zweifellos ist der Kapitalismus in seiner ungehemmten, d.h. auf pure Gewinnmaximierung ausgerichteten Ausprägung Ursache für den ungeheuren Ressourcenverbrauch, für Ausbeutung von Menschen, gewissermaßen als Arbeitstiere vornehmlich eben in produzierenden Ländern, wo durch niedrige Arbeitslöhne hohe Stückzahlen an sog. Wirtschaftsgütern auf die Weltmärkte geworfen werden. Und für derartige Massenproduktion und - ausbeutung steht in vorderster Line ein selbsternannt nicht kapitalistisches, sondern kommunistisches Politsystem.
Man hat dort schnell erkannt, dass Ideologie ohne „kapitalistisch“ angelegte Wirtschaftsmacht schlichtweg das pur erstere ist und somit ein Staat allenfalls als autoritär geführtes System aber eben nicht als Wirtschaftsstaat, resp. -macht funktionieren kann. Diesbezüglich greifen nicht mehr die hergebrachten Muster gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Zuordnung in klassendenkerischer Weise.
Die Methoden, ein Wirtschaftssystem, ein Gemeinwesen und damit entsprechende Bevölkerungsgruppen in unterschiedliche Klassen einzuteilen, ist ein höchst riskantes Unternehmen, da dies zwangsweise zur Spaltung einer Gesellschaft führt, wie diese sich hierzulande nun am Aufkommen radikaler Gruppierungen (gleich welcher politischen Ausrichtung) unschwer erkennen lässt. Das damit verbundene Erstarken antidemokratischer, antipluralistischer Gesinnungen führt dann geradewegs zu autokratischen Politsystemen und Staatsformen.
Das undifferenzierte „Bashing“ gegen Kapitalismus führt letztlich nur zu seiner Stärkung, wie er sich da und dort tatsächlich als „Raubtierkapitalismus“ zeigt. Das gilt vornehmlich für die plumpe Entgegensetzung von Kapitalismus und Kommunismus, bzw. Sozialismus. Letztere Systeme haben in ihrer radikalen Ausprägung bislang weltweit eben genau das bewirkt, was man dem Kapitalismus aus dieser Richtung vorwirft: Ausbeutung von Menschen, wie sie etwa in der DDR durch die subtile Methode der Vorgabe von Arbeitsnormen oder dem Zwang zur Erfüllung von Planvorgaben zur Steigerung der Produktion angewendet wurde.
Ich denke, dass die hierzulande weit überwiegend praktizierte freie Marktwirtschaft immer noch das hinreichend beste Wirtschaftssystem ist. Dass es nicht frei sein kann von kapitalistischen Einflüssen, ist eine „Kröte“, die es zu schlucken gilt. Alles andere Denken und Fordern ist weltfremde Sozialromantik und sie übersieht in ihrer Kritik, dass Kapitalismus nur dort in seiner üblen Ausprägung existieren kann, wo kein staatlicher Einfluss im Sinne von Regulierung, d.h. politische Vorgabe entsprechender Rahmenbedingungen gegeben ist.
Freie Marktwirtschaft und die damit verknüpfte Arbeitswelt ist m.E. das derzeit einzige Wirtschaftssystem, welches sich in einer Demokratie realisieren lässt. Letztere lässt natürlich beliebige Freiräume für den Missbrauch und somit auch für deutliche Ansätze kapitalistischer Methoden. Sieht man genau hin, zeigt sich jedoch, dass sich kaum ein Klein- oder mittelständischer Betrieb erlauben kann, Mitarbeiter „auszubeuten“, Großbetriebe ohnehin nicht, da sich dort immer Vertretungen von Arbeitnehmern, i.w. Gewerkschaften finden, die über die Einhaltung entsprechender Arbeitsnormen wachen. Zudem existiert ein Arbeitsrecht, das durch entsprechende Gerichtsbarkeit umgesetzt wird. Ich denke, das gilt für den Löwenanteil aller europäischen Industrieländer und insoweit ist ein darauf bezogenes „Kapitalismus-Bashing“ letztlich nur eben dieses.
Wie gesagt, damit ist nicht zum Ausdruck gebracht, dass es keinen Missbrauch in diesem „kapitalistischen“ Wirtschaftssystem gibt, dieser ist aber nicht dem System, sondern der grundsätzlichen Missbrauchsgeneigtheit von Menschen anzulasten.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl