Am 15.03.2023 um 12:33 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Und ich frage mich, wie Du ernsthaft den phantastischen Mechanismus (Universum) für „erfunden" halten kannst, wenn auch nur im übertragenen Sinn. Gerade der immer wieder von den meisten Menschen grenzenlos übertragene Sinn von Worten ist es, der zumeist bloß Unsinn hervorbringt. Menschen erfinden Mechanismen, aber was hat das mit der meso-/makroskopischen, also lebenspraktischen Stellung des Menschen im Universum zu tun? Wer das Universum für einen Mechanismus hält, wird es für „erfunden“ halten können. Aber warum soll es sich nicht um einen aus sich selbst heraus entwickelnden Organismus handeln, der nach inneren Wirkungsprinzipien verstanden werden kann, ohne an einen erfundenen Erfinder denken zu müssen? 

Moin moin Ingo,
die nicht zu übersehende und damit wohl auch nicht zu leugnende erstaunliche Feinabstimmung hat bislang keine letztgültige Erklärung in den Naturwissenschaften. Das bezieht sich selbstredend zunächst auf bislang von der Forschung entdeckte bzw. ermittelte Naturkonstanten (um deren eigentliche Präzision und Allgültigkeit es mir ging), die man schlichtweg nicht als willkürlich oder dem Zufall entstammend beschreiben kann.
Immer noch hat man es mit einer ganzen Gruppe fundamentaler Kenngrößen zu tun, die sich nicht aus anderen, schon bekannten Größen ableiten lassen. Wir können oder sollten diesen Dialog hier nicht zu einem Physik-Proseminar werden lassen; konsensfähig an diesem sollte eigentlich sein, dass für eine Reihe von Naturkonstanten die Frage nach deren Ursprung immer noch ungeklärt ist.
Ob man sich diese Frage überhaupt stellen und diese Größen nicht einfach nur zur Kenntnis bzw. mit diesen im Sinne von „shot up and calculate“ rechnen sollte, kann getrost offen bleiben. Offen bleibt bislang auch die Suche nach der TOE, die allen (weit mehrheitlich) pur materialistisch ausgerichteten Forschenden endlich die sehnlichst erwartete Gewissheit geben würde, dass Leben, Welt und Kosmos aus purer Zufälligkeit, so eben mal aus sich heraus, jedoch keinesfalls aus irgendeinem Schöpfungsakt, entstanden sind.
Warum sollte man diesen Zeitgenossen deren Hoffnung nehmen? 
Was Dich anbelangt, Ingo, glaube ich nicht, dass Du diesbezüglichen Hoffnungen anhängst oder diese für ein erfülltes Leben bräuchtest; Du gehst schlicht und einfach von einem „aus sich selbst heraus entwickelten Organismus“ aus, eine Vorstellung, die ohne jeglichen gedachten, angenommenen oder geglaubten „Erfinder“ (sprich Schöpfer) auskommt. 
Und um letzteres zum Ausdruck zu bringen, geht es Dir hier immer wieder, da Du eben jedem Gedanken an Schöpfung, an Kreation radikal entgegen stehst. Warum auch nicht!? Es ist schließlich Deine Sicht auf diese Dinge. 
Doch es gibt eben auch entschieden andere Sichtweisen auf diese Zusammenhänge und ich nehme mir die Freiheit, meine Sicht (auf die ich definitiv keinen Anspruch auf Gültigkeit erhebe) darzulegen.
Meine Sicht auf diese Thematik ist ebenso nicht auf einen einmaligen „Schöpfungsakt“ im gesamten! Wortlaut der Genesis ausgerichtet; wie könnte das denn überhaupt sein, wenn man sich mit Naturwissenschaft, insbes. Kosmologie beschäftigt!? 
Doch warum sollte ich mich partout gegen eine metaphorisch angelegte Schöpfungsgeschichte (wie sie ähnlich nicht nur im Christentum verbreitet ist) und damit gegen die Sichtweise der Mehrheit der Menschen (lassen wir Kreationisten bitte aus dem Spiel!) stellen, wo doch verständlich (heute sagt man: nachvollziehbar) ist, dass all jenen, die keine entsprechende Bildung haben (können), nur diese bildliche Vorstellung bleibt, um überhaupt einen Anhalt zur Erklärung dieser Zusammenhänge zu haben – und seien sie noch so naiv. 
Solange damit kein Unheil angerichtet, kein Unrecht (wie zuletzt bei diesen Zeugen des Jehova) geschieht, laufen diese Vorstellungen halt ins Leere.
Doch nochmal explizit Du Deiner Einlassung:
it: „Und ich frage mich, wie Du ernsthaft den phantastischen Mechanismus (Universum) für „erfunden" halten kannst, wenn auch nur im übertragenen Sinn….“
Natürlich war das im übertragenen Sinn gemeint. Und genau eben auch aus dem Grund, die Dinge hinter den Dingen  hier mal nicht nur hochkomplex und abstrakt auszuformulieren resp. auf derartige Ausarbeitungen (papers etc.) zu verweisen.
Hier geht es doch eigentlich darum, solche Thematik auf einer breit angelegten Plattform zu diskutieren, was selbstredend für eine derart komplexe Thematik schwer zu bewerkstelligen ist. Aber wie gesagt, hier wird kein Pro-Seminar für Astrophysik angeboten und das sollte man denn auch Fachleuten überlassen. Aber andererseits wollen wir hier auch kein Fragespiel betreiben nach dem Motto „Sag mal du als Physiker…“ 
Was ich mit „phantastischem Mechanismus“ meinte, war schlichtweg der Verwunderung über die hochpräzise Feinabstimmung von Naturkonstanten und den damit in Verbindung stehenden kosmischen Zusammenhängen Ausdruck zu verleihen.
Wir können nun, wie Joseph, einen Wettbewerb über geeignete Wort- und Satzwahl bzw. -gestaltung veranstalten. Doch eigentlich sollte ich davon ausgehen, dass jede hier direkt angesprochene oder mitlesende Person, im Grunde versteht, was ich zum Ausdruck bringen wollte. Ansonsten bleibt die Möglichkeit der Nachfrage, des Nachhakens – eben so wie Du es gemacht hast. Doch auch Du hast genau verstanden, was ich ausdrücken wollte, es ging Dir nur darum, dem vermeintlichen Bezug auf ein Schöpfertum zu korrigieren.
Weil wir nun schon dabei sind - Du fragst:
Aber warum soll es sich nicht um einen aus sich selbst heraus entwickelnden Organismus handeln, der nach inneren Wirkungsprinzipien verstanden werden kann, ohne an einen erfundenen Erfinder denken zu müssen?“
Es geht also um den Ursprung des kosmischen Geschehens, den Ursprung des Universums. „ Big Bang?“ Daran (in seiner klassischen Formulierung) glaube ich seit langem nicht mehr. Auch darüber hatten wir hier schon geschrieben. Meine Präferenz geht in die Richtung von Penrose' zyklischem Universum. Da braucht es keinen Schöpfer, von dem Penrose als Atheist ebenso wenig ausgeht wie Du und ich.
Nur frage ich danach, welches Prinzip diesem zyklischen „Mechanismus“ zugrunde liegt. Kritiker der Penrose-These halten diese für mathematische Spielerei. Mathematik wieder mal! 
Doch ich gehe davon aus, dass die allgültige Naturgesetzlichkeit in der Sprache der Mathematik formuliert ist. Penrose ist Meister dieser Sprache, also sollte sich jeder seine eigenen Gedanken hinsichtlich der Validität seiner Thesen dazu machen!
Christliche Religion hat ihre eigenen Gedanken dazu formuliert, die sich - bezogen auf  den „Weltenanfang“ wunderbar in den ersten Worten des Johannes-Evangeliums ausdrücken:
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott“. 
Und wie oft von mir gesagt, Gott als Begriff ist für mich nicht diese anthropomorphe Mythengestalt und kein Schöpfer, sondern weitaus mehr der Inbegriff für kosmische Intelligenz, wie Du diese  hier – natürlich ohne Bezug auf einen Gott - eingeführt hast.
Das Wort sehe ich hier als immaterielle Substanz, ein mathematisch formuliertes Naturgesetz als primordiales Prinzip.
Einen aus sich selbst heraus entwickelten Organismus jedoch als Urbeginn anzunehmen, erscheint mir ebenso verwegen, wie die dreiste Behauptung des Münchhausen, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf (Quantenschaum) gezogen zu haben.

Bester Gruß! - Karl


Du ignorierst sowohl die Grenzen der Umgangssprache als auch die Grenzen physikalischer Theorien. Hinsichtlich der Umgangssprache gilt das auf ihre je eigene Weise auch für Joseph und Thomas. Beide haben ja gerade auf Stegmüller verwiesen und seine beiden Bände zu den Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie sind vielfach gelesen worden. Stegmüller war ja analytischer Philosoph und seine Nachfolger betreiben seit 2010 das "Munich Center for Mathematical Philosophy“. Insofern wäre es auch für Philosophen ein gangbarer Weg, zunächst so vorzugehen, wie ich es Joseph gegenüber vorgeschlagen hatte: Mathematisch aus den grenzenlosen, unendlich kleinen und großen Kontinua von Möglichkeiten kommend nach und nach vergröbernd bis in die Wirklichkeit der irdischen Biosphäre mit ihrem Technotop zu gelangen, in dem wir leben. Max Tegmark ("The Mathematical Universe") und Alain Badiou ("Being and event") z.B. arbeiten ja bereits in ähnlicher Weise. 

IT


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