Am 19.07.2023 um 14:00 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


ZUVIEL von allem.  Das bezog ich vornehmlich  nicht auf eine spezifisch quantitative Ausartung von Infrastruktur etc., sondern auf ein ZUVIEL an nicht mehr psychisch zu verarbeitender Reizüberflutung. Menschen verlieren ihren inneren Halt. Ob Du und andere es hören wollen oder nicht: Haltlosigkeit geht einher mit Gottlosigkeit.


Moin Karl, 

wenn das mehr als bloß eine beliebige Meinung sein soll, müsstest Du zumindest auf nachgewiesene Korrelationen verweisen können. Aber die hätten noch keine Kausalitäten zur Folge. Sind Dir einschlägige religionssoziologische Untersuchungen bekannt?  


Wenn Einstein konstatierte „Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft blind“, dann drückt er damit aus, was ich mit Gottlosigkeit meine.

Einstein hatte mit „Gott“ nichts am Hut, wohl aber mit Religiosität. Zunächst der Kontext des Zitats: „Die Wissenschaft kann indessen nur von denen aufgebaut werden, die durch und durch von dem Streben nach Wahrheit und Erkenntnis erfüllt sind. Die Quelle dieser Gesinnung entspringt aber wiederum auf religiösem Gebiet. Hierher gehört auch der Glaube an die MögIichkeit, daß die Welt der Erscheinungen nach Gesetzen der Vernunft gelenkt wird und daß diese Welt mit dem Verstand zu erfassen ist. Ohne diesen Glauben kann ich mir einen echten Wissenschaftler nicht vorstellen. Ein Bild mag dieses Verhältnis veranschaulichen: Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm; Religion ohne Naturwissenschaft ist blind.“

Der Bedeutung von Religion stellt Einstein die Religiosität voran: „Ein religiös erleuchteter Mensch scheint mir der zu sein, der sich nach bestem Vermögen aus den Fesseln seiner Selbstsucht befreit und sich vornehmlich an Gedanken, Empfindungen und Bestrebungen von überpersönlichem Wert erbaut. Die Kraft dieses uberpersönlichen Inhalts und der feste Glaube an seine uberwältigende Bedeutungsfülle scheint mir dabei das Entscheidende zu sein, ganz gleichgültig, ob man versucht, diesen Inhalt mit einem göttlichen Wesen in Verbindung zu setzen.“ Quelle: „Naturwissenschaft und Religion“ 1941. Wieder abgedruckt in „Physikalische Blätter“ 1960. 

Einsteins Haltung deckt sich mit der grundlegenden philosophischen Maxime: Transzendiere deine Subjektivität! Damit könnten Religion und Wissenschaft gleichermaßen fundiert werden. Und mir gefällt daran natürlich die Überwindung des leidigen Anthropozentrismus, den Heisenberg wieder in die Physik einführte, worin ihm die Mehrheit folgte und Einstein mit seiner neutralen Haltung ins Hintertreffen geriet. Aber was für ein Religionsverständnis hatte der halbherzige Christ Heisenberg? Und wieso beflügelte der die New-Are-Bewegung? Darüber hat Dominic Zoehrer eine Masterarbeit an der Uni Wien geschrieben: „Heisenberg's Secret Religion? `Quantenmystik' als anonyme Lebensphilosophie“. 


Religion ist ein Regelwerk, das sich im Dekalog manifestiert. Das Ergebnis von (insbes. auch individueller) Regellosigkeit in seiner fatalen Auswirkung  konnte man jüngst bei den Riots in Frankreich sehen. 

Für den Zusammenhang von Regellosigkeit und Riots in Frankreich bist Du den Verweis auf entsprechende Untersuchungen schuldig. Der Anteil muslimischer Randalierer folgt doch gerade religiösen Regeln. 


Die von Dir gehuldigten und von mir seit Anbeginn gewählten Grünen haben sich gespalten. Auf diesen Zug sind Beliebigkeits-Fetischisten aufgesprungen: „Mir ist erlaubt, was Spass macht, anderen wird abgesprochen, was mir nicht in den Kram passt.“ Mit dieser Maxime sehe ich viele Grüne, wie sie ihre selbstgestrickte Ideologie ausleben. Wasser predigen, selbst Wein saufen - die neuen Pfaffen, wie ich das so sehe.

Das ist plumper Populismus!? Andererseits: Hat es je eine andere Möglichkeit als die Wahl des kleinsten Übels gegeben? 

IT