Am 08.03.2023 um 15:34 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:



Wie soll also mit Mathematik geschwafelt werden? Geschwafelt werden kann natürlich über Mathematik und über ihre Anwendung im Alltag wie in den Realwissenschaften. So hat es ja Karl gerade wieder mit Bezug auf Wheeler und Bohm gemacht.

Was soll man hier noch schreiben, wenn sogleich alles immer mit Totschlag-Argumenten wie „Geschwafel“ abgekanzelt wird?

Was hat diese Bemerkung mit meinem Hinweis auf Wheeler und Bohm zu tun? Auch diesen Persönlichkeiten der Wissenschaftselite sollte man einen Wandel ihrer Ansichten sowie deren persönliche Auseinandersetzung mit schwierigen Themen zugestehen, die sich heute als Diskrepanz zwischen Idealismus und Materialismus darstellt.

Mich stört schlichtweg diese herablassende Sicht auf forschende Menschen, die sich - wie wir selbst auch - schrittweise ein Weltbild erarbeiten wollen, das der sinnlich erlebten, gleichwohl letztlich nicht erkennbaren wirklichen Wirklichkeit (gem. R. Kastner) möglichst nahe kommt.

Warum immer wieder diese Verächtlichkeit gegenüber Idealismus, Religion, Metaphysik (als jeweils elementarer Teil philosphischer Betrachtung) und der Huldigung einer Naturwissenschaft, so unverzichtbar bedeutsam diese auch ist, wo es eigentlich darauf ankommen sollte, Brücken zwischen Geistes- und Naturwissenschaft im Sinne einer anzustrebenden interdisziplinären Forschung zu bauen.



Bohm hatte seine "Suggested Interpretation of the Quantum Theory in Terms of `Hidden’ Variables" I und II 1952 vorgelegt. Zu der Zeit war er noch Materialist und hielt eine Quantentheorie ohne Bezug auf Teilchen für unvollständig. Und so ergänzte er das durch die Schrödingergleichung beschriebene Führungsfeld durch eine Bewegungsgleichung für die Teilchen. Vom Materialisten zum Idealisten gewandelt verschrieb er sich später einer "impliziten Ordnung“. An seinem Formalismus von 1952 hatte sich nichts geändert, nur an seiner Sicht darüber.

Ich habe kürzlich wieder in Bohms Büchlein über „Implizite Ordnung“ gelesen und eigentlich keinen signifikanten Bezug mehr auf mein derzeitiges Weltbild gefunden, was wieder einmal deutlich macht, wie sich Sichtweisen im Verlauf eines Lebens ändern können und ggf. auch sollten. Das ändert jedoch nichts an meiner grundsätzlichen Überzeugung, dass diese Lebenswelt nicht ein granuliert fragmentiertes, sondern - eben in Bohms Sicht - ein holistisches Gebilde ist.

Vermutlich stört sich die neue liberal-intellektuelle Elite daran, dass der „späte“ Bohm seine Thesen in eine idealistische, resp. ethische Richtung verschoben hat, die man verächtlich dem Sujet der Esoterik zuordnet.






Gerade ist wieder eines der unzähligen Bücher über die Quantentheorie erschienen. Diesmal ist es Christian Haller, der in „Sich lichtende Nebel“ über Werner Heisenberg fabuliert.

Auch wieder einer, der „fabuliert“. Irgendwie irritiert mich diese Zuschreibung. Wer, Ingo, frage ich Dich, ist vor Deinem Standard-Urteil des Fabulierens noch gefeit?



Ich hoffe, dass sich die Nebel wirklich lichten und nicht die verwackelte Aufnahme einer klaren Landschaft mit einer scharfen im Nebel verwechselt wird. Das Beispiel hatte schon Schrödinger 1935 in seiner Kritik an Heisenberg verwendet. Ideologiekritisch interessant bleibt die Diskrepanz zwischen Idealismus und Materialismus. Religion, Literatur und Mathematik befördern ersteren, Technik und Naturwissenschaft letzteren. Und was machen die Philosophen? Frönen sie weiter dem „Wortaberglauben“ (ein Wort, das mir natürlich gefällt), von dem Haller einleitend schreibt?


Die Philosophen? Als ob alle derer dem „Wortaberglauben“ frönen würden - das kannst Du doch wohl selbst nicht glauben!


KJ




IT


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