Die Frage, wie das Gehirn das Erleben zustande bringt, kann doch nur beantwortet werden, indem man Hirnfunktionen beobachtet, vielleicht mit bildgebenden Verfahren, und sie mit Erlebnissen und Gedanken in Verbindung bringt. Und steht man dann nicht im Prinzip vor der gleichen Frage wie vorher, die jetzt lautet, wie diese jetzt genauer beobachtete Körperfunktion diesen Gedanken oder dieses Erleben produziert?
Man hat nach reproduzierbaren Zusammenhängen gesucht, sie gefunden und ist trotzdem mit der Antwort nicht zufrieden. Vermutlich weil einem die beiden Seiten des Zusammenhangs so verschieden vorkommen, kann man die eine, die stoffliche, doch nicht als Erklärung der anderen akzeptieren. Es sei denn, man erklärt die nicht stoffliche Seite für Einbildung (wobei es aber wie immer auf den Namen am wenigsten ankommt) oder erklärt auch Materie für denk- und empfindungsfähig (auch nur eine terminologische Änderung, man sagt jetzt "Materie" statt "Leben mit allem was dazugehört").
Bei mechanischen Zusammenhängen tut man sich ja leichter, die eine Seite als Erklärung der anderen zu akzeptieren, weil beide stofflich sind.
Aber in jedem Fall geht man von Verschiedenheit aus, sobald man nach einem Zusammenhang sucht und keine Suche nach weiteren Zusammenhängen wird aus der Unterscheidung wieder eine Einheit machen können, so dass wir, wenn wir nur genau genug hinsehen, irgendwann vielleicht doch sagen können, wie die beiden Seiten nicht nur zusammenhängen, sondern eins sind.
Die Beobachtung der stofflichen Seite hängt mit einem Erleben ja nicht nur zusammen, sondern ist auch selbst eins, bei bildgebenden Verfahren ein visuelles.
Es liegt im Vorgang oder macht ihn aus, dass er die und die Farbe und Gestalt hat. Die Unterscheidung zwischen "ich sehe das so" und "es ist so" scheint mir darauf zurückzuführen und deshalb notwendig zu sein, weil man sich manchmal irrt, aber nicht Ausdruck einer äusseren und sie mehr oder weniger zutreffend spiegelnden inneren Welt zu sein.
Insofern könnte man auch von einem Zusammenhang zwischen zwei Erlebnissen reden, der einem nicht ganz so rätselhaft vorkommt. Wenn die Beobachtung wissenschaftlichen Standards genügt, möchte man aber nicht von blossem Erleben reden.
Mir scheint es so zu sein, dass wir ständig nach Naturzusammenhängen suchen, um die Natur besser zu beherrschen. Was hat das mit Verstehen zu tun? Kann man nicht nur verstehen, was man selbst gemacht hat (bei einem Motor oder einer Sprache die Bauweise) und alles andere nur mit den Worten "ist eben so" zur Kenntnis nehmen (das Verhalten der Materialien, das Verständnis der notwendigerweise hinweisenden Definitionen).
Andere Tiere lernen auch aus Erfahrung, man könnte sich sonst auch gar nicht zurechtfinden. Wir haben es nur auf die Spitze getrieben.
Ich traue mir keine Antwort auf die Frage zu, ob ein stofflicher Vorgang mit zunehmender Komplexität immer lebendiger wird. Das Erleben basiert nicht auf Regeln. Wir haben eine Regel für die Anwendung des Worts "grün", können aber nicht erklären, wie wir grün und gelb unterscheiden. "Das sieht man doch!" - oder eben nicht. Wir können unter Ausnutzung bestimmter Naturzusammenhänge eine Maschine bauen, die die Farben unterscheidet. Aber wie sollten wir ihr zum sehen verhelfen, wenn wir nicht wissen wie wir das selbst machen?

Ich hoffe, das ist nicht zu durcheinander. Ist mir leider nicht klarer.

Claus

Am 17. April 2023 12:34:19 MESZ schrieb "Ingo Tessmann über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:


Am 17.04.2023 um 02:14 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Die Frage also, warum sich überhaupt Emotionen evolutionär entwickelt und sich phylogenetisch etabliert haben, würde ich durchaus als beantwortet betrachten. Im Sinne der Evolutionstheorie (Variation und Selektion) haben sich die primären Formen von Emotion auf der Grundlage physiologischer Mechanismen überlebensstrategisch entwickelt, um die essentiellen Anforderungen zur Anpassung an die Lebenswelt (Nahrung, Fortpflanzung, Behausung, Schutz vor Witterung und natürlichen Feinden, genereller Überlebenskampf usf.) zu bewältigen.

Dabei kann man Emotion als motivationales System deuten, das auf bestimmte Reize i.A. unbewusste Mechanismen auslöst und sich als dementsprechende Reaktion zumeist auch mimisch ausdrückt. Man geht davon aus, dass Emotionen als komplexe Ketten von Reaktionen mit stabilisierenden Rückführungsschleifen (Homöostase) bei allen Organismen vorkommen.

Und somit hätte Nietzsche recht mit der zitierten Aussage, „Emotionen seien viel klarer als andere Gedanken“, denn bei Gefühlserregung setzt so gut wie immer das Denken aus. 


Moin Karl,

Nietzsche frönte ja dem literarischen Philosophieren und stand als klassischer Philologe der Mathematik fern; denn was kann klarer sein, als mathematische Gedanken? In der Theorie dynamischer Systeme sehe ich auch den Rahmen, in denen physiologische Mechanismen, Homöostase und Emotionen analysiert werden können; wobei sich die „primären Formen" nicht „überlebensstrategisch entwickelt“ haben können, da nur Menschen Strategien verfolgen, die Natur lediglich stochastisch-kausal im Evolutionsschema von Stoffwechsel, Selbstreproduktion und Mutation in der ökologischen Nische notwendig die jeweilige Selektion bewirkt.  

Clausens Frage nach dem Ursprung des Lebens ist im Evolutionsschema zu sehen, nach dem bereits die Ratengleichungen für Nukleinsäuren im Bioreaktor formuliert werden können. Von dort zu den vielzelligen Organismen ist es allerdings noch ein weiter Weg, der Mrd. Jahre währte. Aber warum sollten die weiteren Entwicklungsschritte bis hin zu Emotionen und Kognitionen sich nicht einmal in sich selbst weiter entwickelnden künstlichen Lebewesen entstehen können? In ihnen wären die Emotionen und Kognitionen natürlich ebenso subjektiv besonders wie in natürlichen Lebensformen. 

Mir scheint nicht der Ursprung des Lebens rätselhaft, sondern mein alltäglicher Wachzustand, auch Selbsterleben oder Bewusstsein genannt. Wie bringt das Gehirn diese Erlebnisfülle hervor, die nicht vermittelbar, sondern nur erlebbar oder bewusst ist. Dieses Selbsterleben, indem sich stets vielfältige Emotionen und Kognitionen überlagern in einem Wirlichkeitsraum aus Erinnerungen und einem Möglichkeitsraum aus Vorstellungen. Die ständig hirngenerierten Superpositionen all dieser Übergangszustände legen eine algebraische Beschreibung wie bei quantenmechanischen Verschränkungen nahe. Aber die bleibt der Innenwelt ebenso äußerlich wie die Umgangssprache. Und so simple Verbindungen wie bspw. Lachgas vermögen Bewusstseine einfach auszuknipsen. Ob das Bewusstseinsgeheimnis jemals gelöst werden wird? 

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