Am 20.07.2023 um 13:33 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:Am 19.07.2023 um 14:00 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:ZUVIEL von allem. Das bezog ich vornehmlich nicht auf eine spezifisch quantitative Ausartung von Infrastruktur etc., sondern auf ein ZUVIEL an nicht mehr psychisch zu verarbeitender Reizüberflutung. Menschen verlieren ihren inneren Halt. Ob Du und andere es hören wollen oder nicht: Haltlosigkeit geht einher mit Gottlosigkeit.Moin Karl,wenn das mehr als bloß eine beliebige Meinung sein soll, müsstest Du zumindest auf nachgewiesene Korrelationen verweisen können. Aber die hätten noch keine Kausalitäten zur Folge. Sind Dir einschlägige religionssoziologische Untersuchungen bekannt?
Ist es nicht müßig, nach wissenschaftlichen Begründungen von trivialen Verhaltensweisen im gesellschaftlichen Lebensalltag zu fragen, wo sie doch stets jedem aufgeschlossenen, wach durchs Leben gehenden Menschen vor Augen geführt werden?
Es ist doch ein nicht zu hinterfragendes Faktum in der Psychologie und Sozialwissenschaft, dass Menschen – vor allem aber Jugendliche – mit stabiler psychischer Resilienz eine hinreichende Immunität gegenüber negativen Einflüssen aus dem Alltagsleben aufweisen und damit den Problemen des Lebens generell besser gewachsen sind. Und dieser Probleme gibt es genug, vor allem dort, wo es an Lebensperspektive fehlt, wo ein Leben ohne Aussicht auf geordnete Verhältnisse, auf gute berufliche Ausbildung, überhaupt auf eine Arbeitsstelle (Prekarisierung von Erwerbsarbeit) usf. aus den Fugen zu geraten droht. Es trifft vornehmlich bildungsschwache Gesellschaftsgruppen, im benannten Fall die französische Lohnarbeitsgesellschaft zumeist in den Randbezirken großer Städte.
Immer mehr rechnergestützte Arbeit mit spezifischer Ausbildungsanforderung als quasi immaterielle Dienstleistung verdrängt hergebrachte, zugunsten prekärer Arbeitsfelder und Beschäftigung, was zu fehlendem sozialen Rückhalt, Unsicherheit und Desintegration führt. Somit geht eben auch innerer Halt verloren, Verzweiflung und Frustration breiten sich aus und bricht dann in Protestaktionen aus, die von blanker Zerstörungswut getragen sind.
Diese radikalen gesellschaftlichen Desintegrationsprozesse gründen auf dem Verlust eines sicheren sozialen Rückhalts, eben dieser von mir benannten Haltlosigkeit. Wenn ich sagte, Haltlosigkeit geht einher mit Gottlosigkeit setze ich nicht beides gleich, sondern beziehe mich dabei auch auf nachgewiesene Zusammenhänge zwischen beiden Formen derart, dass religiöse Menschen durch ihren Glauben an einen Gott auch auf dessen Hilfe setzen. Vielleicht reicht schon der feste Glaube daran, um sich letztlich selbst aus dem Sumpf zu ziehen – nach dem Motto: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. So gibt es Menschen, die im festen Glauben an diese Hilfe eher über die gefährlichen Klippen des Lebens kommen und andere, die am Schweigen Gottes und damit auch oft an ihrem Leben verzweifeln.
Menschen mit einem klaren Bezug zu wahrer Religion und einem geglaubten Gott halten sich weitestgehend an dementsprechende Regeln und dazu zählen garantiert keine Anweisungen für Chaos und Zerstörung. Sie haben in aller Regel einen inneren Halt, der auf eine fundierte Weltanschauung, Empathie und eben Gottvertrauen gründet und damit zu verantwortlichem Handeln sowohl für sich selbst als auch für die Gesellschaft führt.
Religion oder Gott nur im Munde zu führen, ist kein Nachweis für Religiosität, wie es eine junge Muslima so ausdrückte: „Im Namen Gottes wird unsägliches Unheil in die Welt gebracht, das im Bewusstsein eines Gottes nie geschehen würde.“ Das ist also der Prüfstein für wahre Religion resp. Religiosität und deren Ausübung und so zeigt sich tatsächlich der von Dir benannte Unterschied zwischen Religion als beliebiger Übergriff und echter Religiosität.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl