Am 23.07.2023 um 11:55 schrieb Rat Frag über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Ist der "Besorgende Umgang" des "In-der-Welt-Seins" wirklich
wortwörtlich als Sorge zu verstehen?

Das setzt eine „ICH“-Wahrnehmung voraus, ein ICH, das sein Dasein unbedingt bis zum Ende durchhalten will. Wenn hier (sehr wahrscheinlich) ein Bezug auf den Selbsterhaltungstrieb des Menschen existiert, kann es nicht verwundern, wenn das ICH sich auch als transzendentales Subjekt zu erkennen versucht und somit in der Tat versucht ist, an die Möglichkeit der Überführung dieses ICH in eine postmortale transzendentale Ebene zu glauben.

Womit wir beim Thema wären:
Hätte eine KI ein solches Ich? Einen Selbsterhaltungstrieb?


Zunächst geht es bei dieser Frage um den Begriff von Intelligenz schlechthin. Er umfasst die Befähigung eines Lebewesens, sinnlich wahrgenommene Gegenständlichkeiten, Sachverhalte, Zusammenhänge, etc. kognitiv zu erkennen und entsprechend gedanklich ein- bzw. zuzuordnen und daraus assoziativ eine möglichst zutreffende Inferenz zu entwickeln. Dieses Vermögen ist Voraussetzung zur Lösung nahezu aller Probleme der Lebenswelt.

Entscheidend für eine intelligente kognitive Rezeption und Inferenzbildung ist, dass sie geistig bewusst und erkenntnismäßig erfolgt. Dazu ist m.E. keine explizite ICH-Wahrnehmung erforderlich, was auch damit gezeigt ist, dass mehrere Menschen etwas gemeinsam Wahrgenommenes, bezogen auf eindeutige Faktizität, in gleicher Weise kognitiv verarbeiten. 

Sobald dem Wahrgenommenen emotionale Attribute anhaften, wird deren kollektive Rezeption notwendigerweise unterschiedlich ausfallen, d.h. jeder Mensch mit seinem individuellen ICH hat eine spezifisch emotionale Rezeption und wird daher unterschiedlich auf derartige Wahrnehmungen reagieren. Hier kommt dann die Sorge, als ein „besorgt sein“ um das ICH ins Spiel. 

Es ist dann wohl dieser „personale Selbstbezug“, wie es Heidegger benennt und daraus eines Modus der „Sorgestruktur“ ableitet. Heidegger definiert das ICH im Ich-Sagen als ein in-der-Welt-seiend aussprechende ICH. Darüber mögen sich Studierende in philosophischen Seminaren den Kopf zerbrechen, mein Zugang zu dieser Thematik ist dieser verkomplizierte Denkansatz nicht.

Daher zurück zum möglichen ICH der KI. Wie o. angeführt, braucht KI kein ICH, kann es eigentlich auch nicht in seiner ganzen Ausprägung haben, da ein ICH artifiziell nur unzulänglich, nämlich ohne spezifisch emotionalen Anteil (prozessuales Geschehen im Gehirn/ZNS), nachgebildet werden kann. 

Typische Ausprägungen des menschlichen Selbsterhaltungstriebs, wie diese sich als angeborene Verhaltensweisen zur (Aufrecht-)Erhaltung des Lebens, wie sie wiederum in triebgebundenen Motiven wie Nahrungsaufnahme, Verteidigung, Eigenschutz, aber auch Aggression etc. darstellen, würden eine enorm komplexe Programmierung einer dementsprechenden KI erfordern. Partiell jedoch können solche Eigenschaften durchaus auf Grundlage von Wissensdatenbanken, sowie mit entsprechenden Algorithmen programmiert und in Verbindung mit geeigneter Sensorik zur Anwendung gebracht werden. 

ChatGPT zeigt mittlerweile, welche Möglichkeiten KI bietet und dennoch bleibt intelligenten Menschen bei dieser artifiziellen Kommunikation der Eindruck von purer Nüchternheit, eine Art Gefühlslosigkeit, wie diese sich bisweilen auch im herkömmlichen, nonverbalen - also nicht unmittelbar verbalem Austausch zeigt, der solchermaßen emotional durch Para-Sprache (Mimik, Gestik etc.), „Face to Face“ ergänzt ist.

Und überhaupt KI! Der Löwenanteil allein in unserer technisierten Gesellschaft weiß nicht, was es damit auf sich hat. Daraus entwickeln sich diffuse Ängste. Diese wären berechtigt, würde KI sich selbst durch autonom programmgesteuerte Codierung weiter entwickeln und damit verselbständigen. Derartige KI-Programme müssen allerdings in einer entsprechenden lebensweltlichen Umgebung konkret appliziert werden, dazu wird auf absehbare Zeit nur der Mensch befähigt sein. So liegt die Verantwortung beim Menschen und damit bleibt das Problem seiner Missbrauchsgeneigtheit wie bisher in Menschenhand.

Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl