Es mag in Bonhoeffers Sicht gelten: „Den Gott, den es gibt, den gibt es nicht!“, was nichts anderes heißt, als „den Gott, den ihr Menschen euch erdenkt und schafft, den gibt es nicht!“

Ich denke jetzt, dass ich den zweiten Satz, also deinen zu prüfen habe, nicht den ersten, den von Bonhoeffer.

Das Du-auch-Argument wirst du, nehme ich an, abweisen, ob berechtigterweise oder nicht. Im Satz steckt vielleicht implizit das Lügnerparadox. Es ist auch ein Zirkel im Satz, wenn er ein Wort zu etwas sagt, was er mit dem Definiens implizit herstellt. Ich gehe mal davon aus, ersetze das Wort Gott im Wort Sache. Du weißt vielleicht, dass ich dieses Wort ziemlich universell gebrauche, dass also alle bezeichneten "Sachen" zumindest Sachen sind. Du weißt auch sicher, dass die Menschen bis vor Kant auch als Sachen angesehen wurden. Ob es genauso ist, ist hier nicht relevant, aber die Etymologie ist immer ein wenig zu bedenken. Hier ist also der neue Satz:

"Die Sache, die ihr Menschen euch erdenkt und schafft, die gibt es nicht!"

Dieser Satz ist dann offenbar falsch. Wenn jemand etwas denkt, dann ist es in ihm vorhanden. Wenn jemand einen Plan macht, dann ist die reale Sache dazu nicht oder noch nicht vorhanden, oder vorerst auf Papier schon ein wenig real. Es kann aber sein, dass jemand das Rad neu erfindet, und dann staunt, wenn es das schon längst gibt.

Somit weise ich den zweiten Satz zurück, dh. ich kann den Satz nur da stehen haben, in "seiner Sicht", aber das was er damit sagen will, das gibt es nicht, wenn ich den zwei Sätzen hier oben folge. Erst wenn er die Sache herstellt, kann ich sie denken, oder wenn er mich zu Orten mitnimmt, an denen er sagt, sie zu erleben.



Ob Bonhoeffer im Gefängnis der Nationalsozialisten, wo er seine Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ (DBW 8/S. 514) das besagte Zitat: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“ unter dem Gesichtspunkt des Lügnerparadox verfasst hat, darf nicht nur bezweifelt werden, sondern eine derartige Annahme, ebenso wie die eines Zirkelschlusses muss diesbezüglich auf philosophisches Unverständnis schließen lassen, da Bonhoeffers Ausspruch sich auf seine Aussagen in „Akt und Sein“ S. 94 beziehen. Bonhoeffer sucht dort nach einer der Offenbarung gemäßen Denkweise, die das Denkgebäude der Theologie aus deren Fremdbestimmung durch idealistische und ontologische Systemphilosophien und damit aus anthropomorphen Denkmustern herausführt. Und nur mit diesem Hintergrund ist eine zutreffende Deutung seiner Aussage möglich.

Aus epistemologischer Sicht würde das angeführte Zitat bedeuten, dass menschliche Erkenntnis von Gott allenfalls nur unvollkommen, wenn nicht gar unmöglich sein kann und sich daher jedes abgeschlossene Gottesbild verbietet. Daraus folgt: Einen Gott, der gemäß einem aus anthropomorpher Vorstellung entwickelten Gottesbildes existieren soll, kann es demnach nicht geben. Das ist auch die Aussage des Dekalogs: Du sollst resp. kannst dir kein Bild von mir als deinem Gott machen. Gott gibt sich nach entsprechender Überlieferung selbst keinen Namen, keine Identität, sondern verweist auf sein Dasein: Ich bin da – JAHWE. In anderen Übersetzungen nennt sich Gott selbst “Ich bin, der ich bin” oder “Ich werde sein, der ich sein werde” oder “Ich bin, der ich sein werde”. 

Das mag man nun fundamentalontologisch verschiedentlich deuten, doch es bleibt dabei: alle diese Deutungen und nachfolgend erdachten Gottesbilder sind menschengemacht und somit per se unzureichend und damit hinfällig. Nur das kann Bonhoeffer gemeint haben und darin findet sich ungemeine Freiheit für ein jeweilig eigenes Gottesbild, das nicht theologisch oder ähnlichen Vorgaben entsprechend diktiert ist, sondern einzig einer persönlich innigen Beziehung zwischen Mensch und Gott gemäß und damit einfach nur wortlos bleibt. „Solo Dios basta“, damit hat Theresa von Avilla (Waldemar ich warne Dich!) eben genau dieses ausgedrückt. Das heißt aber auch, dass es Gott immer nur für einen bestimmten Menschen in dedizierter Art und Weise zu einer bestimmten Zeit “geben” kann und eben nicht von einer Außen- resp. Beobachterperspektive bewertet werden kann. Für alle(s) Außenstehende bleibt nur Gottes Schweigen.

Wortlos dürfte für Dich, Joseph ein Problem darstellen, denn Du kennst Dich mit Worten aus, doch nicht alles lässt sich in Worten ausdrücken!

Natürlich könnte man das Thema noch beliebig komplex ausgestalten, indem man beispielsweise Blochs Noch-Nicht-Seins-Ontologie bemüht. Damit wird das „Gottes-Zitat“: „Ich werde sein, der ich sein werde“ zum Objekt eines antizipierenden Bewusstseins im Sinne der Ontologie des Noch-Nicht-Seins auch des Menschen (als Gottes Abbild gesehen).

Aus Sicht eines metaphysischen Telos ist der Mensch (in seiner Ebenbildlichkeit Gottes) noch lange nicht, was er sein soll. Damit schließt sich der Kreis zu Waldemars fataler Sicht auf den Menschen und ich denke, wir hören hier erst mal wieder auf zu philosophieren.

Nur noch nebenbei: Gott als Sache zu definieren, und damit die Bonhoeffer-Aussage unzulässig semantisch zu verformen, verbietet sich von selbst. Als solches muss auch ich Deinen solcherart konstruierten Satz verwerfen: „Die Sache, die ihr Menschen euch erdenkt und schafft, die gibt es nicht!“ Er ist im genannten Zusammenhang schlicht falsch angelegt.

jh: „Dieser Satz ist dann offenbar falsch. Wenn jemand etwas denkt, dann ist es in ihm vorhanden. Wenn jemand einen Plan macht, dann ist die reale Sache dazu nicht oder noch nicht vorhanden, oder vorerst auf Papier schon ein wenig real. Es kann aber sein, dass jemand das Rad neu erfindet, und dann staunt, wenn es das schon längst gibt.“

Das entspricht eben Blochs „Noch-Nicht-Sein Ontologie“! Vom Noch-Nicht-Sein her denken, heißt von der Zukunft her denken und nicht die Gegenwart auf die Zukunft hin verlängern. Das bezieht sich wiederum auf unser ökologisches Thema der Umweltproblematik. Man muss Verantwortung von der Zukunft her begreifen, was nur möglich ist, wenn die Fähigkeit zur Antizipation gegeben ist, was nachweislich den Menschen grundsätzlich auszeichnet. Dieses Instrument richtig einzusetzen ist eine ganz andere Frage, nämlich die des diesbezüglich individuell ausgeprägten Vermögens.

Somit befindet sich im oben genannte Sinne auch der Mensch im stetigen Prozess seinen eigenen Lebensvollzugs und entwickelt seine ganz persönliche „Weltlinie“ in Raum und Zeit. Er ist nicht einfach da, sondern muss im Wesentlichen in Reflexion auf sein eigenes Werden (Selbststeuerung sic! Waldemar) eben dieses Werden bestimmen. Das ist Freiheit im Sinne von Zufall und Notwendigkeit und zeigt, welche Verantwortung der Mensch an sich zu tragen hätte.

Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl