Am 18.10.2022 um 02:44 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Ob man nun Burkhard Heims hierarchisch geordnete Dimensionen „top down“ aus einem übergeordneten Informationsfeld gesteuert und damit eher eine unidirektionale Beziehung zwischen diesen Ebenen sehen will, demnach die „höchste“ Dimension als immateriellen Raum wertet und einer wie auch immer definierten Göttlichkeit zuschreibt: Es ist und bleibt die Angelegenheit eines jeden einzelnen, sich sein eigenes Weltbild zu schaffen. Wer - wie Ingo –  darauf bezogen sein Nervensystem angegriffen sieht, sollte sich auf seine eigene Weltsicht beschränken und die Freiheit anderer Menschen respektieren, das ihnen zusprechende Weltbild zu hegen.

Für mein Teil kann ich Burkhard Heims Modell durchaus etwas abgewinnen, präferiere jedoch Barads Denkansatz:

„Perhaps this is why contemporary physics makes the inescapable entanglement of matters of being, knowing, and doing, of ontology, epistemology, and ethics, of fact and value, so tangible, so poignant.“

Dabei sehe ich die (dynamische) Verschränkung von Materie (in jeder Form) mit Geist (Bewusstsein, Wissen, Erkenntnis etc.) nicht als unausweichliche Verstrickung, sondern als essentiell notwendige Intra-Action  für alles Leben. Diese Lebenswelt betreffend natürlich auch die Verantwortung tragende Rolle der Wissenschaft, vornehmlich der Ontologie und Erkenntnistheorie, bislang vorherrschende und zugleich obsolete Vorstellungen von „Gott und Welt“ zu transzendieren. Das könnte Barad mit ihrem „new materialism“ und der Notwendigkeit einer neuen Metaphysik gemeint haben.

it: „Jetzt frage ich Dich, ob Du ernsthaft Barad mit Heim in Verbindung zu bringen gedenkst?“

Das kann Ingo nun für sich werten und eine Antwort darauf finden. Joseph wird wohl seine Schadenfreude etwas mindern müssen, da ich keineswegs „mein Schönstes, Bestes mit Füßen getreten sehe“. Wer könnte denn darauf treten, ohne sich den Fuß zu verrenken?


Moin Karl, 

im Vergleich mit Heims mathematisch-idealistischen 12d-Spekulationen kommen Barads Interpretationen der Verschränkungs-Experimente eher physikalisch-realistisch daher, bleiben aber nicht minder spekulativ. Wie Deine obigen Sätze zeigen, scheinst Du ihr kritiklos zu folgen. Dabei handelt es sich bloß um dogmatische Glaubenssätze. Warum immer wieder diese metaphysischen Überhöhungen? Bohr war seinerzeit bescheidener als er sich mit seinem Phänomenverständnis noch auf die Experimentiersituation bezog. Ich halte das Universum auch für verehrungswürdig und neige zum Kniefall vor dem faszinierenden Sternenhimmel in klarer Nacht weitab der Stadt. Mir liegt es allerdings fern, vornehmlich mich oder das göttlich übersteigerte Menschliche darin sehen zu wollen. Welch eine Anmaßung! 

"The Possibilist Transactional Interpretation" PTI Ruth Kastners bleibt näher am Experiment und ist insofern auch nachvollziehbarer, ohne dass die "Mysterien der Quantenwelt“ wegdiskutiert würden. Ich hatte in der Mail an JH ja angedeutet wie die PTI zur quantitativen Bewusstseinstheorie taugte, um beim Thread zu blieben. Wie gelangst Du denn im Detail, Schritt für Schritt formal wie empirisch nachvollziehbar und nicht nur vage ahnungsweise, von der Quantenverschränkung zur „essentiell notwendigen Intra-Action für alles Leben“? 


Ich hatte in besagtem Beitrag vom 5.9.19 auch von „Tersteegens Freiheit“ gesprochen. Daher reiche ich sein Gedicht hier nach:

Ein Tag, der sagt dem andern,
mein Leben sei ein Wandern
zur großen Ewigkeit.
O Ewigkeit, so schöne,
mein Herz an dich gewöhne
mein Heim ist nicht von dieser Zeit.
Gerhard Tersteegen (1697 – 1769)


Das ist schön gedichtet vom Mystiker Tersteegen. Die ersten beiden Zeilen hörte ich von kleinauf immer wieder bei meiner Mutter in Anbetracht des häufigen Wolkenziehens hier im Norden. Der Mystiker hatte die „große Ewigkeit“ vielleicht bei der Andacht vor dem nächtlichen Sternenhimmel erahnt und sich dort hineingesehnt. Das können wohl viele Menschen nachfühlen, aber warum daraus einen Glaubensdogmatismus machen? Mit dem gerieten ja schon die Mystiker in Konflikt. 

Zu wiederholen lohnt sich auch das Gedicht Emily Dickinsons (1830 - 1886): 

”Ich hauste so als wär' Ich draußen, 
Und bloß mein Körper drin
Bis eine Kraft mich da entdeckte 
Und pflanzt' den Kern mir ein — 
Da wandte sich der Geist zum Staub 
`Du kennst mich, alter Freund',
Die Zeit ging aus um's zu berichten
Und traf die Ewigkeit.“ 

IT