Am 17. Juli 2024 09:15:30 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:
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>CZ: "Wie naiv muss man sein, um anzunehmen, das jemand, der in ein anderes Land einmarschiert, plötzlich ein Friedensengel wird?"
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>Aber der Naivitätsvermeidung ist nicht dadurch Genüge geleistet, daß man ins Gegenteil fällt und den Feind "dämonisiert" und ihm unendliche Macht- und Herrschsucht unterstellt. Rationale Einschätzungen müssen davon ausgehen, daß es auch auf der Gegenseite (politische!) "Kriegsziele" und einen demgemäß imaginativ antizipierten Stand der "Saturiertheit" des Gegners gibt, von dem wir eben unsererseits rational einschätzen müssen, ob wir (in Anbetracht aller Kosten, ihn zu verhindern!) mit ihm leben könnten. Man muß Rationalitätsunterstellungen für wesentlich halten, wenn man ein mögliches Kriegsende (wie "nachteilig" auch immer) herbeiführen will, sonst haben wir es mit einem "absoluten Feind" zu tun, den man nur noch "vernichten" kann (oder in dessen versuchter Vernichtung man sich selbst vernichtet). Und das wäre - bei allem, was es sonst noch ist - "unprofessionell".
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Für Verhandlungen unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Gegenseite bin ich immer. Sogar wenn sie sich nach innen und aussen repressiv und mörderisch verhält. Eine Feststellung der Taten ist keine Dämonisierung.
>CZ: "Abschreckung des Täters und potentieller Nachahmer ist durchaus ein Argument dafür, ihn zu bestrafen. Er wird damit bei ansonsten menschenwürdiger Behandlung teilweise, aber nicht vollständig verzweckt wie bei einem Arbeitsvertrag auch. Natürlich darf niemand nur zur Abschreckung bestraft werden, ohne dass seine Schuld festgestellt wurde."
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>Art und Ausmaß der Bestrafung (die ja nicht bei der ja-nein-Feststellung von "Schuld" endet) von der erwarteten Abschreckungswirkung abhängig zu machen, entspricht einer vormodernen Straf- und Gerechtigkeitstheorie ("Schandmauer", "Schandpfahl", Hände/Finger von Dieben abhacken, damit alle sehen: schaut, das passiert, wenn ihr auch... usw.). Modernes "rationales" Strafrecht individualisiert den Fall (Vorgeschichte des Täters, mildernde Umstände, usw.), d.h. sie versteht ihn eben nicht als "Beispiel" für ein Tun, dessen Strafbarkeit man dadurch unter Beweis stellen will. Bzw. das (also die Gewährleistung von "Rechtssicherheit") wird schon dadurch erreicht, daß der Fall überhaupt vor Gericht landet: aber dort wird dann eben nur noch "einzelfallbezogen" entschieden. (Was nichts daran ändert, daß bestimmte Urteile dann von der Öffentlichkeit so gewertet - begrüßt oder abgelehnt - werden, weil man ihnen diese Abschreckungswirkung zutraut bzw. sie sich erhofft: also z.B. diese sog. "Raser"-Urteile bei tödlichen Staßenrennen. Aber keine Staatsanwaltschaft in einem Rechtsstaat hätte vor einem solchen Urteil eine Chance, wenn sie anträte mit dem Grundsatz "da muß jetzt endlich mal ein Exempel statuiert werden").
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Art und Ausmass der Bestrafung werden nicht von grösstmöglicher Abschreckungswirkung abhängig gemacht, aber die Abschreckungswirkung ist einer der Gründe (neben anderen), eine Strafe zu verhängen. Wenn du das nicht glaubst, kann ich die Fachausdrücke Spezial- und Generalprävention mitliefern. Wohinter ich mich aber gar nicht verstecken will, sondern es leider so unvermeidbar finde wie das Gewaltmonopol.
>CZ: "Das muss jeder für sich selbst entscheiden."
>Genau. Problem ist nur: das darf meist niemand für sich selbst entscheiden. Es sind immer Entscheidungen unter dem Druck von Ideologien (Nationalismus), Moralismen ("Mut") und Gesetzen ("Wehrpflicht").
>
Das scheint mir ohne Dämonisierung mehr die Situation auf der anderen Seite als auf unserer zu beschreiben, die doch vielleicht etwas selbstreflektierter und weniger hurrapatriotisch ist, um es zurückhaltend auszudrücken.
Claus
>JL
>
>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>Von: Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>
>Gesendet: Mittwoch, 17. Juli 2024 04:21
>An: philweb <philweb@lists.philo.at>
>Cc: Claus Zimmermann <mail@clauszimmermann.de>
>Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
>
>
>
>Am 17. Juli 2024 01:31:09 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:
>>CZ "Auch damit so etwas über den Einzelfall hinaus nicht Schule macht. Und das gilt m.E. sowohl hinsichtlich der Bewertung als auch hinsichtlich der Folgen einer Duldung eines Diebstahls auch im Verhältnis zwischen Staaten. Wenn man die Welt den Wölfen überlässt, lassen sie sich nicht lange bitten."
>>
>>Ja, das ist das Abschreckungsargument, das aus dem Einzel- einen Präzedenzfall, den Anfang eines slippery slope machen will, usw.
>>Aber ich weise daraufhin, daß es gerade deswegen dem Einzelfall eben NICHT gerecht wird, es tendiert dazu, ihn über Gebühr und Maß aufzuladen, ihm "symbolischen" Wert zu verleihen, ihm Wirkungen und Folgen zuzuschreiben, die nur hypothetisch sind.
>
>Wie naiv muss man sein, um anzunehmen, das jemand, der in ein anderes Land einmarschiert, plötzlich ein Friedensengel wird?
>
>
> >(Deswegen plädieren Verteidiger immer dagegen, daß ein Fall vor Gericht als "exemplarisch" verstanden wird; niemand darf nur "zur Abschreckung" von Folgetätern bestraft werden, weil ihn das (nach Kant) zum Mittel für einen Zweck macht).
>
>Abschreckung des Täters und potentieller Nachahmer ist durchaus ein Argument dafür, ihn zu bestrafen. Er wird damit bei ansonsten menschenwürdiger Behandlung teilweise, aber nicht vollständig verzweckt wie bei einem Arbeitsvertrag auch. Natürlich darf niemand nur zur Abschreckung bestraft werden, ohne dass seine Schuld festgestellt wurde.
>
>
>> Das gilt auch bei der Frage, ob man sich per Gewalt/Krieg gegen einen Aggressor wehren soll: es mag ja sein, daß es für die anderen, für die Welt, für den mittel- bis langfristigen "Weltfrieden" besser wäre, diesen Aggressor sofort zu stoppen, aber warum soll gerade ich (als zur Landesverteidigung eingesetzter Soldat) jetzt und hier dafür mein Leben riskieren? Ich darf doch bitte hic et nunc und nur für mich abwägen, es geht um mein Leben, und ich hab nur das eine. Die Abschreckungswirkung ist auch so ein externes Argument wie das "Recht", das man schön abstrakt im Seminar und an den Verhandlungstischen der Befehlshabenden diskutieren kann; für die "Frontschweine", für den je Einzelnen, für die "professionelle" Gewaltanwendung vor Ort ist es quasi bedeutungslos.
>
>
>Das muss jeder für sich selbst entscheiden.
>
>Claus
>
>>JL
>>
>>
>>>
>>>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>>>Von: ingo_mack über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>
>>>Gesendet: Dienstag, 16. Juli 2024 17:44
>>>An: Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>
>>>Cc: ingo_mack <ingo_mack@web.de>
>>>Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
>>>
>>>hallo Claus:)
>>>
>>>bist du ganz sicher, daß sich Herr Clausewitz
>>>
>>>sich eingehender mit dem Henne-Ei-Problem herumgeschlagen hat?
>>>
>>>wenn Gewalttaten (konsequent) auf ihre Ursprünge zurückgeführt werden
>>>
>>>bist du ruck-zuck beim Brudermord und der hat schlicht nur gefragt,
>>>
>>>warum er seines Bruders Hüter sein soll.
>>>
>>>ist Notlüge auch eine Form von Gewalt?
>>>
>>>
>>>Am 16.07.24 um 16:58 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb:
>>>> An dem Clausewitz-Zitat gefällt mir nicht, dass, wer sich
>>>> verteidigt, damit als Angreifer dastehen könnte. Das wird als
>>>> Täter-Opfer-Umkehr bezeichnet und wäre eine Riesenschweinerei. Man
>>>> könnte es aber auch so verstehen, dass damit ohne Schuldzuschreibung
>>>> nur gesagt wird, dass die Verteidigung in der Regel der erste
>>>> Schritt zu längeren Kämpfen sein wird, weil der Angreifer seine
>>>> Gewaltbereitschaft ja schon gezeigt hat.
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