Hi JL, 

Streitlust und Harmoniestreben sind ja gleichermaßen allgegenwärtig und befördern das Denken und Fühlen. Als nur vage naturreligiöser Mensch kann ich natürlich auf jegliche klerikale Vermittlung verzichten, da mir die erlebte und naturwissenschaftlich vermittelte Natur als unendliche Lebensgrundlage bei weitem ausreicht. Damit harmoniere ich gleichwohl mit Deinem Vorbehalt gegen die Überwindung alles Vermittelnden. Naturliebende können ohne vermittelnde Wissenschaft auskommen, Politiktreibende dagegen verfallen schnell dem Autoritarismus, sei es sich selbst oder dem Führer gegenüber. Das ist ja bei den mit Putin sympathisierenden AfD- und BSW’lern zu sehen, wobei letztere die Führerin sogar im Parteinamen führen.  

IT     

Am 13.09.2024 um 10:15 schrieb Landkammer, Joachim über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Liebe hier noch Mitlesende,
wenn es stimmt, daß nur der Streit interessant ist (polemos pater panton, oder wie das mal hieß), sind ja vielleicht die Momente wichtig, in denen zwei bisher und sonst immer Streitende sich plötzlich einig sind: müßte man nicht gerade dann diese Übereinstimmung zum Anlaß nehmen, sofort einen neuen Streit anzufangen, also aus diesem erstaunlichen und konkludierenden Konsens rasch wieder einen öffnenden kreativen Dissens machen?
Wie wäre es also, wenn man die erstaunliche Übereinstimmung von Karl und Waldemar über die Bösartigkeit und Überflüssigkeit der „klerikalen Kasten“ mal zum Anlaß nähme, eine „Verteidigung des Klerikers“ zu versuchen? Warum wird eigentlich immer so leichtfertig auf Priester, Mönche, Pfarrer und sonstige offizielle Vertreter der Kirche eingedroschen? Ist nicht „Vermittlung“, Mediation, Applikation, Durchführung eine unerläßliche Aufgabe, nicht nur in der Kirche? Es ist so ähnlich wie das weitgehend übliche Beamten- und Bürokraten-Bashing: als ob wir eine nach formalen, also: formal gerechten (nicht durch Korruption zu unterlaufenden) Regeln vorgehende Bürokratie OHNE die sog. „Bürokraten“ haben könnten. Genauso könnte man doch sagen (und genauer begründen, etwa mit Max Weber): solange man überhaupt so etwas wie „Religion“ will (egal in welcher Form, trinitarisch personifiziert, kreationistisch oder nur vage naturreligiös usw.) braucht es „Administratoren“ von Religion, Verwalter des Glaubens, der Rituale, der Institutionen, all der aus dem Glauben sich ergebenden (allzu) irdischen Konsequenzen (zu denen ja auch die dann nötige „Theoriearbeit“ der Theologen und Dogmatiker gehört). Daß der klerikale Apparat dann eine Eigenlogik und v.a. eine eigene Trägheit entwickelt, die halt leider mitunter auch mal Menschen auf den Scheiterhaufen bringt, deren Bücher man etwas später man doch wieder liest, ist nur ein Kollateraleffekt JEDES Verwaltungsgeschehens, der nicht die Notwendigkeit von „Vermittlung“ überhaupt dementiert.
Also ist nicht der Anti-Klerikale, der meint ohne Umwege und ohne „störende“ Vermittler direkt und ohne Anleitung und Hilfe zu Gott und zum Heil zu kommen, so ein bißchen wie der heutige populistische AfD-Wähler, der meint, die „richtige“ Politik mache sich dann praktisch von selbst, wenn wir erstmal all diese doofen „Politiker“ in ihrer „Berlin-Blase“ da ausschalten? Ist nicht der (fanatisch-protestantische?) Traum von der Überwindung alles Vermittelnden, Verwaltenden, Organisierenden tendenziell totalitär? 
Nur mal so, für alle Streitlustigen gefragt.