Lieber Joseph, lieber Karl,

die Hindernisse, die ein Konvergieren der semantischen Achsen erschweren oder unmöglich machen sind in dem von Dir, Joseph zitierten Aufsatz von Stegmüller gut beschrieben:

Phase 1

Es wird oft zu den Sätzen des anderen oft nein gesagt, und es wird anderes gesagt. Es wird anders argumentiert, und die Beschreibungen des Gegners rufen Zweifel hervor. Trotzdem versteht jeder, wovon der andere ausgeht und was er insgesamt denkt. Die Hoffnung auf endgültige Übereinstimmung bleibt bestehen. Die Diskussion nutzt sogar für die beidseitige Verbesserung. Phase 2

Hier ist die gewählte Ausgangsbasis oder die anerkannten Denkmethoden völlig verschieden. Das Gespräch kann enden, weil es nichts bringt. Es wird noch verstanden, was der andere mitteilen will, aber nur so nebenbei, jeder muss eigene die mögliche Kritik im Lauf seiner Rede unterdrücken. Trotz Unterschiedlichkeiten kann ein sporadischer Gleichgang möglich sein.

Phase 3

Die Kommunikation bringt beiden nichts. Beide glauben noch, dass der andere z.B. nach Erkenntnis und Wahrheit strebt, und nicht nur nach beliebigen Werten.
Phase 4
Hier ist es jedem ein Rätsel, mit was der andere sich überhaupt beschäftigt. 


In unserem Austausch gelingt die Erstellung eines Einvernehmens daher aktuell nicht. Jetzt muss man zwischen dem aktuellen Geschehen einerseits und dem, was künftig vielleicht doch möglich ist unterscheiden. Und hier ist ein wechselseitiges Verstehen ja keinesfalls ausgeschlossen. Diese Bezugnahme auf künftig vielleicht Mögliches bezieht sich auf die Möglichkeitsebene, und ein semantisches System ist immer beides: aktuell verwirklicht, und zumindest zeitweilig bleibend möglich. Anders gesagt: 

Also gilt: Auch wenn aktuell kein Konvergieren vorliegt, kann es ein semantisches System der Möglichkeit nach sein, wenn es das Potential zur Neuorientierung, zum Einarbeiten und Anpassen grundsätzlich gibt. Dann ist es ein semantisches System im Wartestand, wie z. B. ein Netzwerk, in dem viele nicht kommunizieren, der Möglichkeit nach aber kommunizieren und erfolgreich kommunizieren könnten.


Wobei der Ausdruck „Möglichkeit“ zu blass ist, denn es ist nicht nur eine Frage, ob gegeben oder nicht gegeben, sondern auch eine Frage der Energie, die überhaupt der Möglichkeit nach investiert werden kann. Bei mir war es so, dass mir nichts anderes übrig blieb, als Englisch zu lernen (in der Schule grottenschlecht), und ich die Energie investieren musste. In Deineer Lebenssituation kann es ja sein, dass Du die Energie für anderes, Dir Wichtigeres aufbringen möchtest, und das bedarf keiner Begründung, das ist einfach so. 


Zur Möglichkeit gehört somit die der Möglichkeit nach verfügbare semantische Energie dazu.

So viel auf die Schnelle und auf Deutsch :-)

Viele Grüße

Thomas

Am 15.03.2023 um 03:33 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:



Am 15.03.2023 um 02:37 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Am 14.03.23 um 19:24 schrieb "Dr. Dr. Thomas Fröhlich":
Mein Kommentar auf Latein, wie von Dir vorgeschlagen: sancta simplicitas… aber auch: per aspera ad astras…. vielleicht wird es ja wieder, und Du lässt Dich zur Lektüre fremdsprachiger Texte herab, wenn Sie denn Deinen Standards genügen?

Eine Version auf Chinesisch liegt übrigens leider noch nicht vor.

Einverstanden, Spaß beiseite. Mein Einwand geht dahin, dass es mir nicht möglich ist, in zwei Sprachen gut zu sein, auch wenn ich zweisprachig wäre. Wenn es Personen gibt, die es können, bin ich froh darüber, nur haben sie viel Arbeit damit, auch Zeitverluste, wenn sie es ernst mit ihrem Denken nehmen. Die Probleme sind bekannt, ich kann nur an sie erinnern. Die folgenden Frage wird Mehrsprachigen gestellt: In welcher Sprache träumst du, in welcher denkst du? Diese Frage geht kann aufgeteilt werden in: Übersetzt du jedes Wort in eine dir eigene Sprache? Und wenn ja, welche? Ist es nicht schwer, in mehr als einer Sprache zu denken?


Mehrsprachig, das werden hier nicht die meisten Teilnehmenden sein, Joseph, doch English ist in der heutigen Welt nahezu ein Muss. Das heißt nun nicht, dass jeder diese Sprache beherrschen müsste, nur hängt die Sache daran, ob man z.B. beruflich gezwungen ist, in Englisch zu kommunizieren. So auch im Bereich der Wissenschaft. Dort ist es unumgänglich, zumindest Exzerpte, Einleitungen, Schlussfolgerungen etc. in wissenschaftlichen Arbeiten zweisprachig, hier also deutsch und english anzufertigen. In großen Firmen wird oftmals die gesamte Korrespondenz (in Schrift und Wort) in english abgewickelt. 

Was nun philweb anbelangt, ist das natürlich nicht gefordert. Doch mittlerweile ist's nun gar kein Problem mehr, sich eine Passage im Google-Translater übersetzen zu lassen. Nur wenn grad kein Netz verfügbar ist, muss so ein Text halt mal etwas zurück gestellt werden.

Spezielle, fachgebundene Texte, wie zuletzt der von Thomas hier eingestellte, sind natürlich nicht so einfach mal übersetzbar, zudem noch das Problem aufkommen kann, dass man die Thematik z.B. eines Fachaufsatzes ohnehin erst mal inhaltlich selbst in der eigenen Sprache verstehen muss.

Ob ich in Englisch träume? ich weiss es nicht. Meine Frau sagt, ich würde öfter im Traum sprechen, zumeist unverständlich, manchmal irgendwas in english. Das mag damit zusammenhängen, dass ich fast alle (nicht nur wissenschaftliche) Literatur english lese oder höre. Das hängt auch mit Deinem Anliegen zusammen, Literatur ohne große Aufwand und Kosten zu „konsumieren“, mir geht es weniger um diese, sondern darum, nicht noch hunderte mehr Bücher hier rum stehen zu haben; die lasse ich lieber im Internet, wo sie alle wohl geordnet (z.B. Kindle) versammelt sind. 

Ach ja, noch zu Büchern: Ein Freund besuchte mich vor Zeiten und fragte angesichts voller Bücherregale, was ich denn mit all dem Zeug wolle – etwa nach dem Motto: Philosophie ist die Erinnerung an das, was wir immer schon wussten. Jedenfalls war ich irgendwie beschämt und erst nach Tagen hatte ich die Antwort (für mich) gefunden: Es ist das in Verbindung treten, in Resonanz kommen mit einem Autor, ein stiller Austausch von hinreichender Gleichgesinntheit. Ein gutes Buch ist auf jeder Seite gut, sagt man und nur solche sollte man lesen.

Bester Gruß! - Karl




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