Moin Karl,

Christian Harnischmacher hat sich 1997 in seinem "Entwurf einer subjektorientierten Theorie des Musikunterrichts" Gedanken über eine "Perspektivische Musikdidaktik“ gemacht. Darin hebt er hervor: "Das Wechselverhältnis aller drei Komponenten (SUBJEKT, OBJEKT, MATERIAL) zeichnet das Phänomenale der Musik aus. Als ein Subsystem der Kognitionen in einem selbstexplikativen und selbstreferentiellen System lassen die drei Komponenten bis zu einem bestimmten Grad eine bewußtseinsmäßige Selbstwahrnehmung zu. Dieses gilt jedoch nicht für das Zusammenwirken, bzw. die spezifische Organisation (Systemsprache des Gehirns) der Komponenten. Die Selbstreflexion beschreibt von dem Phänomen ‘Musik’ nur perspektivisch eine Art kognitive Oberflächenstruktur. Das Subsystem der Kognitionen ist wie alle anderen mentalen oder emotionalen Prozesse in den somatischen Bereich eingebettet. Es existiert nur in einem vitalen Körper. Entsprechend wird der somatische Bereich als grundsätzlich angesehen. Die sensorischen und motorischen Aspekte bilden sozusagen den (Nähr-)Boden der Pyramide."

https://www.pedocs.de/volltexte/2022/25081/pdf/AMPF_1997_Band_18_Harnischmacher_Perspektivistische_Musikdidaktik.pdf

Was erschließen uns Worte vom Nährboden unserer Simmungen aus dem somatischen Bereich? Mir ist natürlich auch das Akustiklabor vertraut, ebenso viele Diskussionen über Bewertungskriterien für Art und Wiedergabe von Musik. Wenn ein Musikkenner und Liebhaber der Schubertlieder etwas als großartig bewertet ist es kaum vergleichbar mit dem Urteil eines Schlagerfans, obwohl beide das Wort „großartig" verwenden. 

Ich hatte ja auch von der tollen Simmung geschrieben, die jemanden begeisterte. Die gleiche Situation kann auf andere langweilig, öde oder gar abschreckend gewirkt haben. In dem grandiosen Filmroman "Die Zweite Heimat" von Edgar Reitz kommt eine Szene vor, in der sich der aufs Oktoberfest verschlagene Musikkenner und Kunstliebhaber Hermann über die widerwärtige Stimmung dort empört. 

Die philosophische Phänomenolgie scheint mir wesentlich eine Subjektivierung des Idealismus zu sein und damit grundsätzlich erlebensbezogen. Unser Erleben aber ist jeweils nur uns selbst zugänglich und wird verumgangssprachlicht verfälscht wenn nicht widersinnig. In "Radikalphänomenologische Narrativität und Transparenz des Lebens“ hat der Leibphilosph Rolf Kühn „Elemente einer erneuerten religionsphilosophischen Sprachanalyse“ begonnen. Er schreibt in der Zusammenfassung: "Wenn es aber radikalphänomenologisch eine ursprüngliche Vorgegebenheit des Lebens gibt, dann ist dessen reine Immanenz nicht mehr von einer Wortbezeugung abhängig, sondern das tiefere „Performativ“ ist hier die Unmittelbarkeit der lebendigen Affektion, wie sie in jedem von uns spricht."

https://mthz.ub.uni-muenchen.de/MThZ/article/view/5065/5331

Ich hadere bereits mit den Anfängen; denn das Leben ist nicht ursprünglich vorgegeben sondern geworden vorhanden und eine lebendige Affektion spricht auch nicht. Die Rezeptivität des Lebens geht dem Verstehen voran, das heißt aber nicht, dass die Umgangsrache darauf bezogen werden könnte. Sie entsteht aus der Alltagspraxis heraus. Thomas hatte ja bereits fehlende Bezüge auf die Interaktionsdynamik bei den Leibphilosophen bemängelt.    

IT

Am 07.01.2025 um 00:13 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Am 06.01.2025 um 13:13 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

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Was ich beim Musikhören erlebe, ist natürlich nur mir leiblich gegeben, aber das Schallfeld ist von den Quellen her über den Raum bis in mein Innenohr genau bestimmbar. An Fechner und Helmholtz knüpfte ja Bekesy mit seiner Physiologie des Hörens an. Beim Übergang ins auditive Projektionszentrum wird es sehr kompliziert und entsprechend anspruchsvoll die mathematischen Modelle. 

Kurz geschrieben: Ich sehe nicht, wie mir irgendeine "Qualität" beim Nachvollziehen meiner (inneren) Stimmungen wie der (äußeren) Stimmen helfen kann. Worte, die für Qualitäten stehen sollen, sind doch viel zu vage als dass sie ein Schallfeld charakterisieren könnten. Das mathematische Modell dagegen gewährleistet nicht nur die formale Gegenständlichkeit der stimmlichen Interaktionen, sondern auch ihren physischen Verlauf nach Frequenz, Zeit, Dynamik u.a. 

Hierzu würde ich gerne aus fachlicher (NT) Sicht etwas beitragen. Seinerzeit hatte ich mit einem Ingenieurteam HiFi-Verstärker entwickelt, mit denen hochwertige Lautsprechersysteme (Bass-/Mittel-Hochton) angesteuert und in sog. Aktiv-Lautsprecherboxen dann als Referenz bei Rundfunkanstalten eingesetzt wurden. Natürlich wurden diese Schallfelder zunächst technisch vermessen (Frequenzgang, Impedanz, Klirrfaktor, Schalldruckpegel, etc.) aber dann eben auch subjektiven Bewertungen unterzogen, wo vor allem Hör- und Blindtests durchlaufen werden, deren subjektive Höreindrücke bzgl. Klangqualität und Leistung in den Testablauf einbezogen wurden.

Darüber hinaus sind Blindtests und Hörtests wichtige Methoden, um die Klangqualität und Leistung von Lautsprechern, also insgesamt die Qualität der abgestrahlten Schallfelder zu evaluieren, Wie anders als mit Worten liessen sich derartige quantitativen Merkmale allgemeinverständlich ausdrücken?

KJ

PS: Womöglich habe ich Deine Intention falsch interpretiert, Ingo. Für diesen Fsll mag mein o.a. Beispiel zu Aussagen über Qualitätsmessungen und -bewertungen allgemeingültig sein.