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Am 14.07.2025 um 17:17 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Der Artikel liest sich wie eine Klage über den Verlust des Paradieses der Unmündigkeit oder Kindheit, in dem man nur Erwartungen entsprechen musste, die von aussen an einen herangetragen wurden bis man sie vielleicht in sein Innenleben integrierte statt sein eigener Gesetzgeber zu sein. Eigentlich ist man das ja ob man will oder nicht seit der Vertreibung aus dem Paradies, in das man bekanntlich nicht zurück kann. Oder unmetaphorisch ausgedrückt: seit man denken kann, muss man es auch und kann nicht so tun, als wäre man dazu nicht in der Lage, falls man nicht von den Umständen so in Atem gehalten wird, dass man nicht dazu kommt. Verirren kann man sich dabei auch. Man kann sich z.B. alles durchgehen lassen. Es kann eben auch schief gehen.

Schiefgehen kann es bisweilen, in der Tat! Gute Zeiten - schlechte Zeiten und zumeist irgendwie mitten drin. Vielen Dank für die Genesungswünsche, wie sie mich auch per pm erreicht haben!

Hier geht’s wieder aufwärts, ohne mit dieser Einschätzung etwas voreilig sein zu sollen. Damit kommt auch wieder hinreichende Motivation auf für Diskussionen in philweb, wenngleich hier die üblichen Themen zu „Gott und Welt“ eigentlich „ausdiskutiert“ sind, zumindest jedoch zu einem gewissen Stillstand gekommen sind. 


Für ausschließlich politische Diskussionen fehlt dieser Liste gem. Impressum das Mandat, schließlich existieren dafür dedizierte Foren im Internet zuhauf. Dennoch ist philweb eine thematisch offene Liste und sollte sich somit auch nicht gänzlich und schon gar nicht allgemein gesellschaftspolitischen Themen verschließen, wenngleich sie gem. Impressum grundsätzlich der Philosophie, also der Liebe zur Weisheit zugewandt sein sollte. 


Philosophie aber eher als ein Staunen, das die essentiellen Fragen nach Sinn und Zweck allen Lebens, nach dem SEIN schlechthin in dieser Welt und darüber hinausreichend in den kosmischen Weiten stellt. Und dabei geht es nicht nur um die konkret empirische Lebenswelt, deren naturwissenschaftlich erforschte Fakten inzwischen zu einem erstaunlichen Maß dargelegt sind, ganz im Gegensatz zu den darüber hinausreichenden Fragen, wie sie die Metaphysik und somit die Philosophie stellt. 


Doch welche Antwort kann Philosophie geben? Vor allem, wenn diesbezügliche Fragen falsch gestellt und damit auch dementsprechende Antworten unzutreffend sind oder Philosophie lediglich als ideologiebezogene systemische Weltanschauung verstanden wird.


Selbstredend bedarf es systematischer Theorien zu Fragen nach Gerechtigkeit, zu Begriffen wie Wahrheit, Wissen, zu interindividuellen Denk- und Verhaltensmustern, die sich nur im gesellschaftlichen Kollektiv hinreichend objektivieren. Darauf aufbauende philosophische Prinzipien müssen daher nach basalen Kriterien geordnet sein, etwa nach Hegels Dialektik der Dreistufigkeit (These - Antithese - Synthese). 


Oft wird jedoch an derartige Prinzipien ein weltanschauliches Modell geknüpft, aber auch grundlegende, wie das der Ethik, als im Wesentlichen ein Prinzip der Nützlichkeit, wonach das Wahre, das Richtige sich dadurch zeigt, was den größten Nutzen zum Wohle von Mensch, Tier und Natur erbringt.

Doch was ist wahr, was ist richtig und was ist irrtümlich, resp. falsch?


Ist es richtig, bzw. nützlich, in einer offenbar sinnbefreiten Lebenswelt nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit, nach Liebe, nach Barmherzigkeit oder zumindest nach Billigkeit etwa im Sinne der „Drei Siebe des Sokrates“ zu fragen?

Achtsame zwischenmenschliche Kommunikation anstatt ideologisch fixierte Auseinandersetzungen?


Kann Philosophie hilfreich sein, die Auseinandersetzungen um diese Lebenswelt zu befrieden, die Abläufe und Verhaltensweisen menschlicher Gesellschaften in ihrem Alltagsgeschehen zu verstehen, diese rational zu bewerten und zu beschreiben? 


Reicht es am Ende hin, die alltäglichen Erklärungsmuster, wie sie sich in Medien des ÖR oder sog. sozialen Netzen zuhauf finden, zu verstehen, geschweige denn zu verinnerlichen? Oder gleichen diese Muster doch wieder nur den althergebrachten, immer perrenierend vorgetragenen Erklärungen, Narrativen oder Sermons und es gibt kein wirklich Neues, kein Aufbrechen in ein „Sonnenzeitalter“ und sollte Nietzsche dann recht behalten mit der „Wiederkehr des Immergleichen“? Immerwährender Tanz um goldene Kälber.


Ist es die grundsätzliche Wesensart des Menschen - schon biblisch beschrieben, wie Claus dies eben mit Hinweis auf die Vertreibung aus dem Paradies anmerkte - die uns als Spezies nicht „besser“ sein, nicht zu höherem Bewusstsein wachsen lässt? 


Oder doch eben im Kern immer nur wieder Kain und Abel. Beide opferten Gott und dankten ihm für alles, was er ihnen immer wieder zum Leben gab. Kain opferte Feldfrüchte, Abel Schafe seiner Herde. Dieser Erzählung nach, nahm Gott das Opfer von Abel an, nicht jedoch das von Kain. Konnte das ein gütiger, gerechter Gott sein? Schon von Anfang an zeigt sich das Dilemma der Theodizee. Kann man aus diesem intrinsisch angelegten Defizit moralische Schlüsse per se ableiten, oder ist Moral letztlich nur wohlfeiler Moralismus?


Per Definition gibt es nicht die Moral schlechthin, im Gegensatz zur Ethik. Moralen gibt es viele, Ethik steht einzig für sich und insoweit läuft der (hier aus der taz zitierte) moralbezogene „Appell an die geteilte Welt“ ins Leere, gleichermaßen, ob er von rechten Kulturkämpfern als Moralismus abgetan oder von linken Aktivisten als Grundfeste gegen Amtsmissbrauch und Korruption überhöht wird. 


Nicht beliebige Moralen, resp. darauf gründende Appelle, sondern ein dem Menschen innewohnendes Empfinden für Ethik  (als dem verantwortbaren, wertebasiertem Handeln), ein Mitfühlen, ein Mitleiden, wie sich das in Schopenhauers „Mitleidethik“ als ein bedeutendes Element der Philosophie ausdrückt und damit die Grundlage zur Bewertung menschlichen, i.w. gesellschaftlichen Handelns ist. In dieser Bewertung spielt Moral selbstredend eine wesentliche Rolle bezogen auf reflexiv belastbare Begründungen.


Im Kern sind diese Kriterien Teil der geltenden Normen und Gesetze demokratischer Gesellschaften. Hier bedarf es keiner „Nachbesserung“ oder „Moralischer Schlüsse“ allenfalls notwendiger Anpassung an den Zeitgeist. Das Problem dabei: Zeitgeist ist derzeit (wenn nicht immer schon)  geistlos! Die Wiederkehr des Immergleichen - von Anbeginn: Kain und Abel als Schicksal dieses Lebensraumes. Und Gott? Ein sich selbst denkendes Wesen, solchermaßen um sich selbst kreisend. Mitnichten! Eher noch als ein unbewegter Beweger zu denken und als solcher in aller Munde: „Oh my God!“. Aus welchen Gefilden und zu was wollte, sollte er uns bewegen?


KJ




Andererseits: hat man nicht eine höhere Stufe erreicht, wenn man nicht nur tut, was von einem erwartet wird, sondern was man für richtig hält? Möchte man lieber eine Marionette sein? Möchte man lieber Männchen machen, weil man dann gelobt wird? Möchte man lieber jemand anderem gehören, der angeblich höhere Einsichten hat als sich selbst?
Es sieht ja nicht so aus als ob diejenigen alten Griechen, die die Möglichkeiten zum Nachdenken und Erfinden hatten, es lieber gelassen haben. Dafür haben sie ein bisschen zu viel hinterlassen, das es vorher nicht gab. Schwer zu glauben, dass sie Rollenerwartungen ernst genommen hätten, die keine selbstgegebenen Gesetze waren.
Das muss und kann nicht jeder. Aber um Selbstbestimmung kommt man nicht herum, wenn für Selbsterhaltung gesorgt ist und sie kann auch darin bestehen, dass man andere über sich bestimmen lässt.
Pragmatisch betrachtet kommen manche Menschen vielleicht zumindest vorübergehend nicht ohne vorgegebene Strukturen aus, zu ihrem eigenen Besten und damit sie keinen Schaden anrichten (dünnes Eis, ich weiss). Aber das zur Liebe zu den Fesseln oder zum Gebieter (russische Variante) zu verklären, wäre doch ein Witz.

Claus


Am 13. Juli 2025 21:31:26 MESZ schrieb "Joseph Hipp über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:
Zuerst hat IT mich zurück zum zitierten Artikel geführt, bravo. Dort habe ich dann den Text am dort zitierten Link gelesen. Hier ist er:

https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2025/07/trump-administration-supporters-good/683441/

Der Autor zitiert wiederum einen Moralphilosophen und legt praktische Überlegungen dar.

Die dort vorgetragene Geschichtsbeschreibung seit den Griechen ist bemerkenswert, mitsamt den gemachten Vergleichen in Bezug auf Moral. Die Zeit, die für dieses Thema erforderlich wäre, übersteigt allerdings meine Möglichkeiten, dazu etwas beizutragen. Allein die Suche nach kausalen Zusammenhängen in der Geschichte oder in Personen ist überaus interessant.

CZ hat weitere Fragen aufgeworfen. All das übersteigt meine Fähigkeiten und ich frage wie der alte Mann: "Was kommt als Nächstes?"

JH
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