mir erscheinen Deine Beiträge nicht grundsätzlich abwegig, in einigen (vornehmlich naturwissenschaftlichen) Bereichen haben wir m.E. hinreichenden Konsens.
Moin Karl,
Friederike Schmid von der Uni Mainz beschließt ihre Einführung in die Quantenmechanik mit einem Anhang: Geschichte und Deutung der Quantentheorie mit ausgewählten Texten für Studierende mit Interesse an Grundlagendiskussionen. Darin heißt es: "Es stellt sich die Frage, wie eine klassische Welt auf der Basis einer universell gültigen Quantentheorie überhaupt möglich ist. Das Zauberwort, mit dem das Unerklärliche erklärt werden soll, heißt Dekohärenz. Damit ist das sich Herausbilden einer klassischen Welt aus einer quantenmechanischen Basis gemeint, die Emergenz von klassischen Eigenschaften aus einem im Allgemeinen nichtklassischen Verhalten. Wie diese Dekohärenz konkret aussieht und unter welchen besonderen Bedingungen sie sich ereignet, das vermag gegenwärtig niemand überzeugend zu sagen. Es gibt unzählige Vorschläge und Erklärungsmodelle, die aber alle ihre Schwachstellen haben und maßgeblichen Einwänden ausgesetzt sind.“
In der Einleitung zu seiner "Statistical Interpretation of Quantum Mechanics“ zitiert Hans Rudolf Tschudi von der ETHZ Einstein mit den Worten: "One arrives at very implausible theoretical conceptions, if one attempts to maintain the thesis that the statistical quantum theory is in principle capable of producing a complete description of an individual system. On the other hand, those difficulties of theoretical interpretation disappear, if one views the quantum-mechanical description as the description of ensembles of systems.“ Demgegenüber hob Bohr in seinem programmatischen Text zum Quantenpostulat hervor, „dass der Sinn der Theorie zum Ausdruck gebracht werden kann durch das sog. Quantenpostulat, wonach jeder atomare Prozeß einen Zug von Diskontinuität bzw. Individualität enthält, der den klassischen Theorien vollständig fremd ist.“
An das aneinander Vorbeischreiben Bohrs und Einsteins hat sich unter ihren Nachfolgern bis heute kaum etwas geändert. Tschudi zitiert dazu Mermin: "In recent paper entitled `Making better sense of quantum mechanics', N. D. Mermin writes: `More than ninty years after the invention of quantum mechanics, we find ourselves in a strange situation. Quantum mechanics works. Indeed, no theory of physics has ever had such spectacular success. Yet despite this unprecedented success there is notorious disagreement about … The sentence fades away because it is not so easy to say what the disagreement actually is about. Everybody who has learned quantum mechanics agrees how to use it. ’Shut up and calculate!’ There is no ambiguity, no confusion, and spectacular success. What we lack is any consensus about what one is actually talking about as one uses quantum mechanics. There is an unprecedented gap between the abstract terms in which the theory is couched and the phenomena the theory enables us so well to account for. We do not understand the meaning of this strange conceptual apparatus that each of us uses so effectively to deal with our world’.“
Und wir hier in der Runde schreiben nunmehr auch schon seit einem Vierteljahrhundert aneinander vorbei. Ich werde nicht müde, mich gegen die Kopenhagener und Du nicht müde für sie zu schreiben. Warum hat die Kopenhagener Deutung soviel mehr Zuspruch gefunden, sowohl unter den Physik Treibenden wie im Publikum unter dem Eindruck der unzähligen populären Schriften? Für mich steckt neben Eitelkeiten natürlich die allgegenwärtige Propaganda für eine idealistische Geisteshaltung dahinter. Ein entlarvendes Buch dazu hat ja Mara Beller geschrieben, über das wir uns hier schon einmal ausgetauscht hatten: "Quantum Dialogue: The Making of a Revolution“. Ihre Kurzfassung von 1996 ist heute frei verfügbar: "The Conceptual and the Anecdotal History of Quantum Mechanics“. Zu einer umfassenden Ideologiekritik des Herbeischreibens eines Umsturzes der klass. zur modernen Physik bin ich noch nicht gekommen. Beller hätte es wohl vermocht, starb aber zu früh. Leider werden Klein (vgl. Mail v. 19.6.) und Tschudi mit ihren statistischen Interpretationen den vielen Quantenideologen auch nicht den Wind aus den Segeln nehmen können.
Jetzt ist mir auch eine Mail zu lang geraten, also nur noch zwei Anmerkungen …
Somit wird deutlich, dass Sinnstiftungen und Moralen durchaus notwendig sind, wobei sie selbstredend funktional sein sollten.
Ich hatte doch schon RF auf den Unterschied zwischen funktionaler und nomologischer Erklärung aufmerksam zu machen versucht. Siehst Du den grundsätzlichen Unterschied zwischen beiden auch nicht? Nur die Natur genügt nomologischen Erklärungen (die logisch notwendige Schlüsse zulassen), die Kulturen lediglich funktionalen (die nur logisch hinreichende Schlüsse zulassen). Oder hast „notwendig“ bloß metaphorisch gemeint? Und stiften nicht auch die Wissenschaften Sinn und tragen zur Rationalität der Moralen durch Ethik bei? Ich leugne ja keine Qualitäten, halte sie den Quantitäten nur für nachgeordnet aus Differenzen oder Schwellen hervorgehend.
PS: Nun noch zu den Wärmepumpen. So diese in vorbildlich nordischen Ländern längst im Einsatz sind (wobei ich diese dort nicht an jedem Haus entdeckt habe), muss man doch die strukturellen Gegebenheiten vergleichend in Betracht ziehen.
Es gibt bereits Großwärmepumpen für Fernwärme, die auch von deutschen Firmen produziert werden. Nicht strukturelle Gegebenheiten scheinen mir ihren Einsatz in Deutschland zu verhindern, sondern die Machtpolitik des fossilen Imperiums. Oder nach dem Prinzip des Tauchsieders funktionierende Power-to-Heat-Anlagen, von denen gerade eine für Fernwärme in Hamburg in Betrieb genommen wurde. Der Norden hat ja seit langem Windstrom im Überfluss, aber warum der erst jetzt für Fernwärme nutzbar gemacht werden konnte, ist eine Folge der verfehlten christlichen Machtpolitik des „Kohle von Beust", der Hamburg seinerzeit ein Kohlekraftwerk bescherte, das verlustreich wieder außer Betrieb genommen werden musste.
IT