Am 12.03.2024 um 19:16 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Korrektur: Es ist wahrscheinlich irreführend zu sagen, dass man Formen in der Natur antrifft, wenn es sich nicht um tatsächliche Formen, sondern eher um so etwas wie Denkformen handelt. Was man findet, sind Tatsachen, deren Existenz man mit Hilfe dieser Formen unter bestimmten tatsächlichen Voraussetzungen vermutet (oder "formal bewiesen") hatte. Dann kommt es wahrscheinlich auf die Richtigkeit der Voraussetzungen (Naturkonstanz) und der Rechnung an.


Moin Klaus, 

ja, wir verfallen immer wieder dem Anthropomorphismus und unseren Vorurteilen. Deshalb orientiere ich mich an Einstein, weil er ein Mensch war, der ein  weitgehend invariantes Leben führte und sich entsprechend neutral in die Natur einfühlte. Folglich verließ er sich nicht auf die Umgangssprache mit ihren stets mitgedachten Qualitäten, sondern wählte die Mathematik mit ihren lediglich mitgedachten Quantitäten. Zugespitzt formuliert: Wir sehen in allem Qualitäten, in der Natur aber gibt es nur Quantitäten. 

Nehmen wir das Beispiel der 43,1 für die Periheldrehung der Merkurbahn. Die ist empirisch, da aus aufgezeichneten Beobachtungen in Bogensekunden pro Jahrhundert berechnet. Die Ellipsenbahn und ihre Unterteilung ist menschlich und entstammt der euklidischen Geometrie. Newton hatte die Planetenbewegungen physikalisch als Wirkungen auf die Ursache Gravitationskraft in seinem mathematischen Gravitationsgesetz zurückgeführt. Eingeschränkt auf die Merkurbewegung folgt daraus eine Hypothese, die allerdings falsch ist. Siehe dazu "The advance of Mercury's perihelion, … a presentation at the undergraduate level": 


Newton hatte seine Gravitationstheorie aus geometrisch beschriebenen Beobachtungen von Planetenbewegungen heraus konstruiert und ein Bewegungsgesetz formuliert. Einstein sah in der Natur nicht nur die Bewegungen, sondern auch das, was in ihnen gleich blieb, die Invarianten. Die euklidische Translationsinvarianz der Newtonschen Mechanik wird heute Galilei-Invarianz genannt, die minkowskische der Elektrodynamik Lorentz-Invarianz. Was käme wohl heraus, wenn Einstein von einer Riemannschen Invarianz ausginge? Die Einstein-Invarianz oder das allgemeine Relativitätsprinzip hatte  eine hinreichend invariante Feldgleichung zur Folge, die eingeschränkt auf die Merkurbahn berechnet 43,03 ergab im Vergleich mit beobachtet 43,11 +-0,45.   

Die Periheldrehung der Merkuhrbahn sehen wir wohl beide als Tatsache an und die Planetenbahn als tatsächliche Bahn. Beides aber sind menschliche, da geometrische Formen. In der Natur gibt es sie nicht, wir sehen sie nur in ihr. Empirisch ist lediglich die 43,1, die aufgezeichnet und berechnet mit der formal bewiesenen Größe übereinstimmt. Nach der einfachen Formulierung seiner Invarianz hatte sich Einstein in die Riemannsche Geometrie einzuarbeiten und in ihr aus der Invarianzforderung heraus seine Feldgleichung zu beweisen. Die Einschränkung ihrer unendlich vielen Lösungen auf die Berechnung der Periheldrehung der Merkurbahn war dann vergleichsweise trivial. Aber Beweis der Feldgleichung und Folgerung daraus mussten stimmen (Richtigkeit). Ebenso musste es das Sonnensystem noch geben (Naturkonstanz). Nach Galilei-, Lorentz- und Einstein-Invarianz ist es gegenwärtig die Schleifen-Invarianz der LQG, die die Denkformen so weit über die Tatsachenformen hinaus geführt hat, dass empirische Tests vorerst nicht möglich sind, obwohl es wahrscheinlich noch lange das Universum geben wird. 

IT