Am 08.10.2025 um 22:02 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
Emotional zu reagieren entspringt wohl einer zutiefst menschliche Gefühlsregung, die sich - offenbar auch stark vom Charakter einer Person abhängig - als Ausdruck von diversen psychischen , bzw. physiologischen Empfindungen zeigt. Vielleicht trifft hier, bezogen auf meine gezeigte Reaktion, der im englischen Sprachgebrauch übliche Begriff „Arousal“ eher für ein gewisses Maß an neuronalem Aktivierungspotential zu als eben Emotion. Verständlich, wenngleich nicht unbedingt akzeptabel, wenn man unsere bisweilen diametral entgegengesetzte Sicht auf „Gott und Welt“ in Betracht zieht.
Hi KJ,
ich hatte mich früher auch emotionaler und provokanter hier geäußert, versuche mich aber nunmehr an einer nüchternen Ausdrucksweise. Wäre sie Dir nicht auch möglich und sollte sie nicht ebenfalls der Philosophie angemessen sein?
Es ist ja nun wirklich interessant: Wir beide diskutieren hier im Forum nahezu seit Anbeginn zu allen möglichen Themen, wobei wir uns im MINT-Sektor überwiegend in kongruenten Sichtweisen bewegen, definitiv nicht jedoch im geisteswissenschaftlichen Metier. Und hier liegt das Problem offenbar darin begründet, dass ich durch mein Studium der Philosophie (neben Psychologie und SoWi) eben mit den von Dir erwähnten philosophischen Traditionen „groß geworden“ bin, deren Grundpositionen auch jene des Idealismus waren.
Ich habe Philosophie im Nebenfach studiert und ebenfalls deren Grundpositionen kennengelernt, die sich allerdings nicht im Idealismus erschöpfen. Du kannst also schwerlich nur mit einer Tradition groß geworden sein, sondern wirst Dich zum Idealismus hin geneigt gefühlt haben. Neigungen mögen in der Lebenswelt hinreichen, nicht aber in der Philosophie, in der es auf Reflexionen und Begründungen ankommt. Also warum neigst Du zum Idealismus?
Metier - im eigentlichen Wortsinn eher ein handwerkliches, denn ein philosophisches Betätigungsfeld. Es war die sog. Kulturphilosophie, die mit der großen gesellschaftlichen und politischen Wende im Übergang des 19. zum 20, Jahrhunderts Abstand von traditionellen geisteswissenschaftlichen Auffassungen nahm und diese Distanz mit spezifischen Kulturtheorien abseits der klassischen Philosophie zum Ausdruck brachte.
Kultur- und Sozialphilosophie hatten Idealismus und Materialismus abgelöst, die über Existentialismus, Pragmatismus, Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie in den methodischen Kulturalismus aufgegangen sind.
Die philosophische Reflexion kultureller Phänomene mit ihrem deutlich erkennbaren Abstand zu traditionellen Denkmustern ging einher mit entsprechenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Dennoch verlieren die klassischen Grundmuster der Philosophie nicht ihre Gültigkeit, warum sollte man diese vernachlässigen oder gar ignorieren. So etwa Platons Ideenlehre als eine durchaus eingängige philosophische Konzeption, wonach eben Ideen als überempirische autonome Entitäten existieren und demzufolge die empirisch wahrnehmbare, resp. mess- und abzählbare Lebenswelt transzendieren.
In der Lebenswelt kann ich nach Belieben traditionellen Denkmustern und klassisch-philosophischen Grundmustern folgen, da es kaum auf Gültigkeit, sondern allenfalls auf Plausibilität ankommt. Aber auch die wird schon sprachanalytisch untergraben. Ideen müssen keineswegs als überempirisch existierende autonome Entitäten angenommen werden, das haben doch die meth. Konstr. als Mittler zwischen Idealismus und Materialismus im Detail vorgeführt. Wenn Du mit der Transzendenz der albzählbaren Lebenswelt bspw. auf das Akutalunendliche in der Mathematik anspielst, dann wird dort ja in den Beweisen explizit darauf Bezug genommen, so dass nachvollziehbar ist, wie problematisch die Beweise sind. Mit derartig bewiesenen Strukturen lässt sich dann über die Lebenswelt und den Kosmos hinaus denken. Aber ist das mehr als SciFi?
Selbstredend scheiden sich hier die Geister, beispielsweise eben an Platons Ideen. Seien sie nun intuitiven oder inspirativen Ursprungs, sie sind hinsichtlich ihrer philosophischen Bedeutung aus dem Begriff der idéa hervorgegangen. Und hier vereint sich Historie mit Neuzeit, denn auch heute hat der Begriff der Idee durchaus mit Vorstellungen der altgriechischen idéa im Sinne von modellhafter Konzeption zu tun und eben nichts mit „Begriffslyrik“ traditionell philosophischer Denkmodelle.
Carnap bezog seine Kritik hinsichtlich der Begriffslyrik hauptsächlich auf Hegel und Heidegger. Über Letzteren machte sich auch der Formalist Hilbert lustig, wenn er 1930 in seinem Vortrag „Die Grundlagen der elementaren Zahlenlehre“ ausführte: „In einem neueren philosophischen Vortrag finde ich den Satz: 'Das Nichts ist die schlechthinnige Verneinung der Allheit des Seienden‘. Dieser Satz ist deshalb lehrreich, weil er trotz seiner Kürze alle hauptsächlichen Verstöße gegen die in meiner Beweistheorie aufgestellten Grundsätze illustriert.“
Das Aktualunendliche hatte schon Aristoteles kritisiert. Warum folgst Du also nicht auch seiner Tradition? Und was ist Dir an der meth. konstr. Verbindung beider durch Ideation und Abstraktion bei Lorenzen nicht plausibel? In den letzten 2500 Jahren hat sich die Philosophie wesentlich getrieben durch Mathematik und Naturwissenschaft weiter entwickelt. Du interessierst Dich doch auch für Relativitäts- und Quantentheorie und bist nicht bei Kepler und Galilei stehen geblieben. Was hält Dich davon ab, Dich mit Sprachphilosophie und meth. Kulturalismus zu beschäftigen und Wahrheit von Wahrhaftigkeit sowie W- und M-Wahrheit zu unterscheiden, um besser verstanden werden zu können? Meinem Verdacht nach, schmücken sich Ideologen gerne mit so hehren Worten wie „Wahrheit“, um ihren Missbrauch zu verschleiern.
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