Freie Marktwirtschaft und die damit verknüpfte Arbeitswelt ist m.E. das derzeit einzige Wirtschaftssystem, welches sich in einer Demokratie realisieren lässt. Letztere lässt natürlich beliebige Freiräume für den Missbrauch und somit auch für deutliche Ansätze kapitalistischer Methoden. Sieht man genau hin, zeigt sich jedoch, dass sich kaum ein Klein- oder mittelständischer Betrieb erlauben kann, Mitarbeiter „auszubeuten“, Großbetriebe ohnehin nicht, da sich dort immer Vertretungen von Arbeitnehmern, i.w. Gewerkschaften finden, die über die Einhaltung entsprechender Arbeitsnormen wachen. Zudem existiert ein Arbeitsrecht, das durch entsprechende Gerichtsbarkeit umgesetzt wird. Ich denke, das gilt für den Löwenanteil aller europäischen Industrieländer und insoweit ist ein darauf bezogenes „Kapitalismus-Bashing“ letztlich nur eben dieses.
Moin Karl,
Schumpeter beschließt seine Abhandlung „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" mit einem Vergleich zwischen Demokratie und Kapitalismus. In der Demokratie würden die sozialen Ziele der Politik in ähnlicher Weise erlangt wie die Produktionsziele im kapitalistischen Unternehmen: ”Um zu verstehen, wie die demokratische Politik dem sozialen Ziele dient, müssen wir vom Konkurrenzkampf um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden, daß die soziale Funktion, so wie die Dinge nun einmal liegen, nur nebenher erfüllt wird — im gleichen Sinne wie die Produktion eine Nebenerscheinung beim Erzielen von Profit ist.“
Schumpeter hatte ich wiederholt zitiert, da er das Verhältnis zwischen Demokratie und Kapitalismus nüchtern auf den Punkt bringt. Legendär auch sein Konzept der Kreativen Zerstörung, wodurch sich der Kapitalismus technologiegetrieben fortwährend reproduziert in der 4-Phasen-Zyklenfolge: Prosperity, Rezession, Depression, Recovery. Eine systemdynamische Simulation der Kreativen Zerstörung im Vergleich mit anderen Konzepten hat Khalid Saeed vorgenommen in: "Limits to Growth Concepts in Classical Economics“.
Du müsstest Deine angenommene Alternativlosigkeit im Verhältnis von Marktwirtschaft und Demokratie schon zu begründen versuchen, ansonsten bleibt es bloß ein ständig wiederholtes ideologisches Dogma. Mir ging es um das Zusammenspiel von fossilem und kapitalistischem Imperium durch Oligopolbildung. Damit höhlt der Kapitalismus die Demokratie ebenso aus wie die Marktwirtschaft, die somit beide nicht frei sein können im Kapitalismus. Befreit würden sie im Degrowth-Kommunismus, den ich in der Mail an RF bereits als Vision Saitos erwähnt hatte.
Was bei Schumpeter fehlt, ist nicht die sozialistische, wohl aber die ökologische Perspektive. Wobei Klimakrise und Artensterben als beispielloses Marktversagen anzusehen sind im privat- wie im Staatskapitalismus. Saito hat in der ökonomischen Entwicklung Marxens drei Phasen ausgemacht, die vom Produktivismus über den Ökosozialismus bis zum Degrowth-Kommunismus reichen. Seine fünf Säulen dazu beinhalten stichwortartig: 1. den Wandel zur Gebrauchswertwirtschaft, 2. die Verkürzung der Arbeitszeit, 3. die Aufhebung uniformer Arbeitsteilung, 4. die Demokratisierung des Produktionsprozesses und 5. den Fokus auf systemrelevante Arbeit.
Das sind alles einsichtige und bereits seit dem 19. Jahrhundert diskutierte Forderungen, aber niemand hat sie bisher gegen das kapitalistische Imperium durchzusetzen vermocht. Einen Kommunismus im Marxschen Sinn hat es nie gegeben und wird es meiner Vermutung nach auch nie geben; denn was fürchten Kapitalisten mehr als Wachstumsbremsen und Enteignungen zugunsten des Gemeinwohls? Und so dürften sie wie schon vor 100 Jahren den Faschisten zur Macht verhelfen, diesmal wohl in der globalen Herrschaft von Klima-Faschismen.
Wie gesagt, damit ist nicht zum Ausdruck gebracht, dass es keinen Missbrauch in diesem „kapitalistischen“ Wirtschaftssystem gibt, dieser ist aber nicht dem System, sondern der grundsätzlichen Missbrauchsgeneigtheit von Menschen anzulasten.
Wäre es nicht sinnvoller, anstatt der „grundsätzlichen Missbrauchsgeneigtheit von Menschen“ entgegenzukommen, ihr eher entgegenzuwirken? Im Kapitalismus wird der Missbrauch leicht gemacht,— so wie in den USA durch die Verbreitung von Waffen das Töten leicht gemacht wird. Sollte also nicht eher ein Ordoliberalismus verfolgt werden, anstatt weiter dem pseudoliberalen Wachstumspfad zu folgen?
IT