Am 02.04.2024 um 21:56 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Am 02.04.24 um 14:14 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb:
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auf die Frage: Sind die Sätze der Mathematik Teil der Sprache oder sind die zwei Bereiche getrennt? Das wäre jedoch fast eine Gretchenfrage. 

Darauf antwortete ich mit: „Sätze der Sprache und der Mathematik sind aus der Handlungspraxis hervorgegangen, gleichwohl halte ich sie für so getrennt wie Grammatik und Logik.“ 
 

> nach Heydenreich wäre die Frage systematisch, historisch und textuell zu beantworten. Textuell wäre mit den Originalarbeiten zu beginnen, historisch in der Antike und systematisch mit Lehrbüchern. 

Das war meine Antwort auf die Frage:  "Ist Informationstheorie Mathematik, Teil der Mathematik, oder was ganz Unabhängiges?“, JH.
 

Die Frage: "Ist das üblich eingesetzte klassifikatorische, logische Denken kompatibel mit dem kausalen, das die Kladistik als Methode bewirkt? Diese Frage ist schon genauer." 

beantwortete IT nicht, vermutlich weil jeder andere Bereiche auf der Tagesordnung hat. Das ist ok.

Die Frage hielt ich für eine Ablenkung, da das bloße „klassifikatorische, logische Denken“ rein sprachlich ist und kausales Denken physischen Bezug einschließt. Kausalität und Logik kommen zusammen, wenn aus physikalischen Verlaufsgesetzen gefolgert werden kann.   


> Womit Kinder anfangen und ich mich noch erinnere, ist das nachahmende Sprechen und Zählen, sind Schriftübungen mit Buchstaben und Ziffern. Ontogenetisch primär ist die gemeinsame Handlungspraxis.   

Ja, aber es ist keine genaue Antwort. Zudem ist das Wort "Handlungspraxis" nur von wenigen Autoren benutzt, so dass nicht auf bestehende Deutungen oder gar mehrdeutige Deutungen zurück gegriffen werden kann. Lässt das was z.B. Jean Piaget herausfand, sich mit dem Wort "Handlungspraxis" grob beschreiben? 

Mit „Handlungspraxis“ beziehe ich mich auf Lorenzen, für den ja alle Wissenschaft nur aus der Verfeinerung des Alltags hervorgeht und entsprechend zu (re)konstruieren ist. Mit „Handlungspraxis“ meine ich also alltägliches Mund- und Handwerk. In der Psychologie wird methodisch konstruiertes Wissen vorausgesetzt.  


… Eine kleine Sache: Wenn das Regelbefolgen als separate Sache angesehen wird, wenn es separat gelernt wird, kann es stark werden. Aus dieser Stärke heraus wirkt es auf die Sachen (egal ob als Grammatik oder Logik), dann bedarf es nicht zusätzlich noch eines Befolgens durch die Person, so als wäre da ein kleiner Homunkulus im Kopf, der die Regeln diktieren würde, und die Person, die sie befolgt. Dass Grammatik wie Logik gelernt werden ist offensichtlich. Wie, von wo her sie stark werden, ist eine andere Frage. Das Wort „Handlungspraxis" hilft nicht oder nicht viel zur Beschreibung. 

Wo sonst als in der Handlungspraxis soll sich denn die nicht extra erwähnte Regel anders zeigen als in ihrer Befolgung? Alltäglich reden, lesen, schreiben, folgern und rechnen wir doch ständig mehr oder weniger grammatik-, logik- und arithmetikkonform, ohne die jeweiligen Regeln noch bedenken zu müssen. Dem gingen langwierige Anpassungen an das Gerede in unserer Umgebung voran und späterer Unterricht in der Schule. Kognitionsforschende und Neuropsychologen dürften bereits einiges über die jeweiligen Verarbeitungszentren und ihr Zusammenspiel bei den jeweiligen Regelbefolgungen und -verstößen im Gehirn in Erfahrung gebracht haben. Hatten wir uns darüber nicht wiederholt ausgetauscht, einschließlich der Entwicklungspsychologie, nach der das Zahl- und Folgerungs- dem Sprachverständnis vorausgeht?   

In „Physical distance to sensory-motor landmarks predicts language function“ ist zu lesen, dass "contrasting functional responses are thought to reflect opposite ends of a functional gradient capturing the topographic transition from concrete/unimodal to abstract/heteromodal cortex.“ Danach scheint es konkrete und allgemeine Regelbefolgungen zu geben: 

https://academic.oup.com/cercor/article/33/8/4305/6692555

„Flexible sensory-motor mapping rules manifest in correlated variability of stimulus and action codes across the brain“ ist zu entnehmen, dass dass Sensorik und Motorik flexibel und innig im Hirn zusammenwirken: "Perceptual decisions transform sensory signals into motor ac- tions in a flexible, context-dependent manner. Substantial progress has been made in uncovering the neural bases of such transformations during tasks in which the required mapping from sensation to action was fixed“: 

 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0896627322010327

Die "Morphological evolution of language-relevant brain areas“ enthüllt den Zusammenhang zwischen Tat- und Sprachhandeln bzw. Hand- und Mundwerk: "Our findings support the conclusion that Brodmann Area BA44 evolved from an action-related region to a bipartite system, with a posterior portion supporting action and an anterior portion supporting syntactic processes. Our findings add novel insights to the longstanding debate on the relationship between language and action“: 

https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3002266

Zu einem hinreichenden Verständnis der Sprache, geschweige denn einer Sprachtheorie, ist es noch ein weiter Weg. 

IT