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Am 15.07.2022 um 11:40 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Hi Karl, 

in Verbindung mit den vielen Interpretationen der Quantenmechanik hatten wir vielfach die Unterscheidung von Formalismus und Interpretation thematisiert. Auf die Einzeller bezogen, bildet die chemische Reaktionskinetik den Formalismus und die "homeostasis of cellular properties (e.g., firing rate), or of abstract information-theoretical properties“, wie bei Romain Brette zu lesen, die Interpretationen. Du hältst die Interpretation als „Informationsverarbeitung“ für wesentlich, ich aber den Formalismus der Reaktionskinetik, der hinreicht, um die Bewegungsvielfalt der Einzeller beschreiben zu können. 


Ja genau, das zeigt doch wiederum unsere unterschiedliche Art der Sichtweisen auf „Gott und Welt“.

Eigentlich sollte das kein Problem sein, da die Wesensarten der Menschen glücklicherweise - oder besser gesagt - wohlweislich verschieden angelegt sind.

Du siehst als „Methodiker“ vornehmlich den Formalismus hinter einer Sache bzw. suchst diesen zu ergründen und ich bin (natürlich neben dem Formalismus) an deren Interpretation interessiert, was man meiner Neigung zur Philosophie zuschreiben könnte. 

Meinem Beruf als Ingenieur entsprechend dominieren Formalismen (also technisch gesehen: wie funktioniert etwas) das Tätigkeitsfeld, das dann meist von anderen interpretiert wird.

Meine zweite, philosophisch orientierte. Seele dreht den Spieß um. Da will ich das WARUM und nicht das WIE einer Sache wissen. Interessant wird es aber, wenn beide Fragen in einen Zusammenhang gebracht werden, wie Nietzsche es ausdrückte: „Wer das Warum (einer Sache) kennt, kann jedes Wie ertragen“ (sinngemäß).

Vielleicht doch noch kurz zum Paramecium:

„Paramecium, a “Swimming Neuron“; Einen Einzeller unter dem Gesichtspunkt „integrativer Neurowissenschaft“ als Neuron anzunehmen, ist m.E. ein engagierter Forschungsansatz von Neurowissenschaflern, der vermutlich von Biologen nicht sogleich gewählt worden wäre.

Interdisziplinär jedoch wird es dann aber interessant, wenn beide Sichtweisen zu einer gewissen Kongruenz führen, ebenso wie die Sicht auf Funktionsweise und deren Interpretation eines Mechanismus. 

Es findet bei dieser plump erscheinenden Vor-/Rück-/Drehbewegung beim Bewegungsablauf des Paramecium offenbar ein dynamischer Gleichgewichtsprozess statt, der einerseits die biochemische Reaktionskinetik und anderseits die diese auslösende Sensorik umfasst. 

Romain Brette schreibt im benannten Artikel: „ the avoiding reaction of Paramecium is more akin to a decision based on sensory inputs, than to a modulation of the spontaneous turning rate“

Diese entscheidungsbasierte „Auswertung“ der sensorisch erfassten Reize (Hindernis, Licht, Temperatur, Chemie etc.) entspricht für mich einer Art Informationsverarbeitung, nicht mehr – nicht weniger. Wenn Brette auch schreibt: „… homeostasis of cellular properties (e.g., firing rate), or of abstract information-theoretical properties“ dann bestätigt sich doch, dass bei diesem Gleichgewichtsprozess (Homöostase) abstrakte informationstheoretische Eigenschaften eine Rolle spielen, wie etwa Änderungen des Membranpotentials der Pantoffeltierchen als photophobe Reaktionen auf äußere Lichtreize und andere Reizeinwirkung.

Soweit mein mittlerweile etwas vertieftes Wissen über Pantoffeltierchen, das ich ohne die Diskussion hier niemals gewonnen hätte. Im Vergleich zu denen, die sich damit forschenderweise intensiv beschäftigen, bleibt es (wie Du sagen wirst) stümperhaft - so what!

Durch Diskussion und damit ggf. erzwungener Beschäftigung mit beliebigen Themen jeweils ein Stück weiter und tiefer die Welt zu verstehen, das könnte Ansporn für den Erhalt von philweb sein.


Bester Gruß! - Karl


PS: grad sehe ich Deinen Videoclip vom Saugroboter 😊😊 nun, wenn ihr dabei nicht sonstiges widerfahren ist ....

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