Am 29.07.2024 um 23:58 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Ob ich aber eine Tonfolge als Melodie höre oder nicht, kann ich mir so wenig aussuchen wie die Farbwahrnehmung. Es spielt keine Rolle, worauf man sich einigt. Mit Konventionen hat das nicht das geringste zu tun. Wie kann man auf so eine Idee kommen? Entschuldige, aber das scheint mir von völligem Unverständnis zu zeugen.
Unbestreitbar kann das musikalische Gehör geschult werden, wenn es vorhanden ist und wie es sich entwickelt, hängt davon ab, wovon es gefüttert wird. Aber wenn jemand sagt: "ich höre doch alle Töne, was soll denn da noch sein?", ist eine Schulung nicht möglich. So jemand könnte die Töne aber nach Belieben so oder anders zusammenfassen, wenn auch nicht zu einer wirklichen Einheit, bei der an die Teile gar nicht mehr gedacht wird.

Moin Claus, 

ja, wenn das musikalische Gehör vorhanden ist. Mein Musikunterricht liegt schon eine Weile zurück, aber ich erinnere noch gut die empört ausgerufenen Mahnungen: „Aber das hört mach doch!" Dem entspricht in Mathe die selten ironisch gemeinte Bemerkung: „Wie man leicht sieht!“ Manchen Lernenden verging leichter als anderen das Hören und „Sehen“. Und so war es in der Musik hilfreich, Melodien in ihre Tonfolgen zu zerlegen und in der Mathematik die Zwischenschritte einer Rechnung oder eines Beweises aufzuschreiben. Wobei ich mich mehr für das Schlagzeug begeisterte als für den Gesang …  

Du verwechselst da Empfindungen mit Ereignissen und Vorgängen im Wahrmehmungsapparat, die mit ihnen korrelieren, womit auch schon gesagt ist, dass sie nicht mit ihnen identisch sind. Ich habe z.B. eine bestimmte Farbwahrnehmung, wenn etwas bestimmtes im Wahrnehmungsapparat passiert. So wie man weiss, dass es dunkel wird, wenn man die Augen schliesst, hat man jetzt eingehendere Kenntnisse von den Zusammenhängen zwischen Erleben und Körpervorgängen und -zuständen. Das ist alles.
Wir bezeichnen den Himmel aber nicht als blau, wenn sein Anblick bestimmte Vorgänge im Wahrnehmungsapparat auslöst, sondern wenn seine Farbe der eines bestimmten Farbmusters entspricht, auf das wir zurückgreifen würden, wenn man uns fragt, was "blau" bedeutet: "das z.B. ist blau".
Man könnte sich natürlich darauf einigen, die Bezeichnung davon abhängig zu machen, was der Anblick des Gegenstands im Wahrnehmungsapparat auslöst. Dann würde man möglicherweise völlig korrekt blau nennen, was man früher rot nannte.

Übrigens ist es bei Farbwahrnehmungen das gleiche wie bei der Wahrnehmung einer Melodie oder eines Rhythmus: man kann nicht erklären, wie man das macht, man kann nicht sagen: ich erkenne das daran, dass...Und doch ist es ganz eindeutig.

Der Dualismus ist naheliegend, dennoch neige ich zum Monismus und nehme die gleichartige hirnphysiologische Verarbeitung der Sinnesmodalitäten in den Projektionszentren zumindest als Indiz für eine psychophysische Identität. Auch wenn Farben, Melodien und Rhythmen unmittelbar wahrnehmbar sind, lassen sie sich im Zweifel oder zur Analyse in Frequenzen oder Takte zerlegen. 

Das menschliche Auge kann über 2 Mill. Farbtöne unterscheiden, aber wie viele Worte haben wir dafür? Subjektiv mag der Farbeindruck mehr oder weniger eindeutig sein, aber wie ist er bis in die Feinheiten intersubjektiv abstimmbar? Technisch wird dafür ja mit dem RGB-Farbraum gearbeitet, mit dem schon über 2^40 Farbtöne darstellbar sind. 

IT