Lieber Ingo,
Hier gilt es, einen häufigen Denkfehler zu vermeiden: um gedanklich eine Menge zu bilden, muss man das Jeweilig-als-Einzeln-Sein des Elements in Klammern setzen, das heißt, etwas Abstand nehmen, sich etwas aus dessen Unmittelbarkeit und Unbedingtheit lösen, um schließlich über dessen Sein als Grenze hinaus in Richtung möglichen anderen Seins gehen zu können. Dieses “Andere” ist als Menge von Anderen – wozu jetzt auch das vormalig einzigartige Einzeln-Sein gehört gedacht.
Hierbei kommt es auf das Wort “etwas” an: Der
Übergang vom Einzelnen zum Mit-anderen-zusammen-einzeln-Sein ist kein Wechsel
vom absolut gesetzten Einzelnen zum absolut gesetzten Anderen, sondern setzt
beides unter Vorbehalt, in Klammern, indem es sie in der Schwebe hält. Diese
Schwebe wiederum ist erneut ein Abstandnehmen, indem es beides, das
Einzeln-Sein und das Mit-anderen-zusammen-einzeln-Sein nicht als vermeintlich
fixes Faktum behandelt, sondern als Annahme von etwas, das möglicherweise
{Einzeln}und zugleich Element einer angenommenen Menge von
{Mit-anderen-zusammen-einzeln-seienden, damit realtiven Einzelnen} ist. Anders
als das absolut gesetzte Jeweilige des Einzeln-Seins und des Anders-Seins
befindet sich dann beides, das als Element einer Menge gedachte und diese Menge
im Status der Annahme, der Hpothese, der Arbeitshypothese oder opening
hypothesis, wie der Deutsch-brasilianische Gestalttheoretiker Arno Engelmann
schreibt:
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18214634/
Integr Psychol Behav
Sci. 2008 Mar;42(1):56-75.
doi:
10.1007/s12124-008-9053-z.Epub 2008 Jan 24.
From
the terrible loneliness to the wonderful agreement of human beings
Affiliations expand PMID: 18214634
DOI: 10.1007/s12124-008-9053-z
Abstract
What would be the "terrible loneliness" and
what would be the "wonderful agreement" in the present paper? The
"terrible loneliness" is the only reality that a person perceives
and/or thinks during the now going on. For the person, an enormous quantity of
occurrences is in the present moment absent. A very small quantity of
occurrences is present. The person is the only being in having this. And, this
is only during a little moment. The person never thinks about his loneliness in
this moment. On the contrary, he thinks he is plenty of people and full of
occurrences. But, if he were thinking about reality, he would live in a
terrible loneliness. How does he escape himself from this loneliness? He
thinks that the probable occurrences are real occurrences. He may be
right in a plenty of times. Going through what I call opening hypotheses—(basic
hypotheses and non-basic but important hypotheses)--and going through
what I call simply hypotheses he is able to sanction a wonderful agreement of
human beings about the known parts of the Universe. However, they are
hypotheses, not absolute realities.
—> Das ist das Meer der Möglichkeiten, aus dem in wirklichen und verwirklichenden Interaktionen dinghaft zu Fixierendes, Festzustellendes aufsteigt. Sowohl als Pfleger, Krankenschwester, Sozialarbeiter, Arzt und Therapeut muss man zugleich beide Ebenen im Blick haben: die der fixierten Tatsachen und die Welt der Möglichkeiten, letztee im Sinn von möglichen Gefühlen des anderen, möglichen Einschätzungen, die dieser trifft, möglichen Gründen aktueller, tatsächlichen Beschwerden, Ängste, Sorgen, Hoffnungen, möglichen Konstellierungen, mögliche Relevanzverteilung innerhalb der angenommenen Möglichkeitsfelder etc. Das ist das, was man außer dem maschinenmäßigen Bedienen des je Aktuellen im Hinterkopf haben muss, und ganz hinten im Hinterkopf, meinetwegen in Raumdenken verdinglichend gesagt im Stammhirn sind dabei auch die existenzielle Dimension und die grundsätzliche Sorge, Fürsorge sowie Liebe, in denen und in der man seinem Handwerk nachgeht.
So viel zur Stochastik,
viele Grüße,
Thomas
PS: und zum Meer der Möglichkeiten: das ist dünn besiedelt, wenn
es vorhersagbar immer nur je eine Möglichkeit gibt, wie im Fall immer in die
gleiche Richtung gehender Antworten – aber so ist das Leben, und immerhin gibt
es die wirkliche Gemeinsamkeit der Diskussionsgruppe als Menge, je verschieden
ihre Teilnehmer alias Elemente auch sein mögen.
Am 16.04.2025 um 17:17 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:_______________________________________________Moin Thomas,als ob ich nicht immer wieder der Stochastik das Wort geschrieben hätte! Und vor Jahrzehnten einmal formulierte ich den Imperativ: Erstrebe das soziale Optimum zwischen dem Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen und der Ausgestaltung der persönlichen Lebensmöglichkeiten! All das was Du oben schreibst betrifft einzelne Menschen, mit denen sich Mediziner und Psychologen verstehend und therapierend befassen, für Philosophierende aber nur der Ausgangspunkt sein können, um mehr als nur über sich selbst vorurteilend zu erfahren, nämlich durch Selbstkritik und Reflexion bis hin zu Mathematik und empirischer Wissenschaft.IT
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