Am 13.11.2023 um 18:27 schrieb Dr. Dr. Thomas Fröhlich <dr.thomas.froehlich@t-online.de>:

Jetzt aber zu einem Problem, das mich umtreibt: was für eine Energie ist es, die als „energetically“ von Alicja Juarrero beschrieben wird?

Diese Energie bezieht sich auf die Bildung von Kohärenz. Dynamisches Kohärieren besteht in koordiniertem, stimmigem Zusammengehen. Die Energie ist also eine solche, die sich auf systemische Koordination bezieht. Sie ist von vornherein System-bezogen. Das heißt, die Präsenz und System-bezogene Aktivität mindestens eines weiteren Elements ist vorausgesetzt. Die Aktivität dieses anderen Elements ist in dem Energiebegriff mitgedacht, er bezieht sich auf die Strukturaspekte der Interaktion mindestens zweier Elemente. 

Diese Strukturaspekte wiederum sind nicht mit ihrem absoluteen Gegenteil, der allumfassenden Unstrukturiertheit zu kontrastieren. Sie sind auch nicht zu quantifizieren. Es geht um ein nicht skalierbares Eigen- und Jeweilig-Sein der beobachteten Interaktion. Diese transzendiert notwendig das Eigen- und JeweiligSein der einzelnen Elemente, ohne es aufzuheben.

Das strukturierte Aufeinander-Bezogen-Sein der Elemente ist beschreibbar, aber, wie gesagt, nicht zu skalieren. 

Was soll man dann aber mit dieser Struktur-Energie anfangen? Sie ist ein Beschreibungsmittel für qualitative, eben Strukturierungs-Aspekte, so, wie in Chemie und Biologie nicht nur quantifizierend, sondern identifizierend-beschreibend gearbeitet und nach qualitativen Kriterien unterschieden wird. 

Die Beschreibung wiederum, und hier liegt das Problem, kann nur in Form der Wiedergabe eines Dynamik sein, einer Interaktionsdynamik und deren Spezifik. Zum Beispiel als harmonisches Zusammenklingen, oder als Disharmonie. Das Gegenteil ist hier nicht Rauschen, noise, sondern eben eine Disharmonie.  Eine Abbildung in anderen Formen muss verlebendigt, dynamisiert werden, um in Analogie zum Beschriebenen wirken zu können. 

Moin Thomas, 

Ja, Juarrero's Arbeit ist ebenfalls eher literarisch denn analytisch, die sie sogar für unverschämt hält, wenn sie bekennt: "This will be a work of speculative metaphysics. It presents an unabashedly ontological worldview by proposing that, in response to constraints, the cosmos partitions and sorts flows of matter, energy, and information into real coherent dynamics, and not just in living things. Ranging from laser beams and superconductivity to biological homeostasis, cognition, and even human symbolic thought, values, and the cultures in which they become manifest, coherent interdependencies are generated by enabling context-dependent constraints."

Zurück zur Kohärenz-Energie: ihr Wirken erzeugt, betreibt und bestärkt die Inhomogenität des Raumes, die Inhomogenität der Zeit, und die Anisotropie des Raumes (Richtung spielt eine Rolle) - also das logische Gegenteil dessen, was im Noether-Theorem vorausgesetzt wird. Sie partikularisiert, bestärkt und führt zu Eigen-Dynamiken in Form strukturierter Interaktionen. 

Wenn ich an die Seminare zur Wissenschaftstheorie zurückdenke, dann gab es dort Analytiker, die für jede Theorie gesondert eine je eigene Definition der Termini bzw. Variablen und dann jeweilige Übergangsregeln von einer Theorie in die andere forderten. Experimentatoren verwiesen dann sogleich auf die bereits um 1850 herum von Mayer und Joule begonnenen Messungen zur Bestimmung der Wärmeäquivalente. Seitdem wird die Energie in verschiedenen Theorien und Experimenten als gleich angenommen, solange keine Inkonsistenzen auftreten. 

Der Variationsbezug im Noethertheorem wird in allen physikalischen Grundlagentheorien als gültig angenommen und sollte auch in spezielleren Theorien gelten, wobei jedes Gesetz bzw. jede Grundgleichung ebenso wie die spezielleren Gleichungen nur unter Berücksichtigung der Einschränkungen durch Anfangs- und Randbedingungen lösbar sind. Pattee schrieb bereits 1972 in "Laws and constraints, symbols and languages: What has happened is that I have begun with the problem of explaining a constraint, which may at first sight appear to be a relatively simple physical concept, but end up trying to explain a language which is a very abstract concept that no one fully comprehends. It may seem that I am trying to explain the simple in terms of the complex.“ Darin ist ihm Juarrero gefolgt. 

Solange die Theorie aus einem Variationsprinzip ableitbar ist, wird die Energie vergleichbar bleiben und ich müsste keine anderen Energien, wie Struktur- oder Kohärenzenergie definieren; denn warum sollten die sich nicht aus den Einschränkungen ergeben? Wir könnten das am Beispiel der Lasertheorie durchspielen. Aber das wäre nicht sinnvoll in dieser Runde. Wenn ich mich recht erinnere, meinst Du mit Kohärenz metaphorisch sowieso etwas anderes als in der Physik üblich. 

Auf welche Theorien beziehst Du Dich mit den Wirkungen von „Kohärenz-Energie" auf Raum und Zeit? Lokale Inhomogenitäten und Anisotropien ebenso wie verschiedene Längen- und Zeitskalen in komplexen, offenen Systemen widersprechen nicht den globalen Symmetrien, wenn Energiefluss zugelassen wird, wobei die Gesamtenergie aus offenen Systemen in geschlossener Umgebung wiederum erhalten bleibt. Der Laser ist ja gerade so ein offenes System, wobei die Energiezufuhr die Kohärenz des Lichts zur Folge hat und nicht umgekehrt. 

Ich habe keine Ahnung, ob das etwas mit dem von Dir Zitierten zu tun hat: ….Verbindung der Transporteigenschaften von Einzelteilchen mit dem kollektiven Verhalten, welches aus deren Interaktion resultiert. Dazu werden Gleichungen für Observablen ausgehend von teilchenbasierten Modellen abgeleitet, wodurch die Verknüpfung der Dynamik auf verschiedenen Längen- und Zeitskalen sowie unterschiedlichen Komplexitätsstufen ermöglicht wird.“ 

Teilchenbasierte Modelle - agency-based dynamic . . ist das miteinander verwandt? 

"One important class of active matter systems are ensembles of so called self-propelled or active particles having the ability to power their motion autonomously by converting energy from their surroundings into kinetic energy.“ Ich sehe einen Übergang von Teilchen über self-propelled particles zu Agenten, wobei komplexe Einschränkungen einfacher Teilchenbewegungen ein Stück weit gleichbedeutend mit selbstbeweglichen Teilchen oder Agenten unter einfacheren Einschränkungen sein dürften. Das müssten die Profis schon untersucht haben. Ich bin leider hinter dem aktuellen Forschungsstand zurückgeblieben.  
 
Wenn man auf Interaktions-Dynamik reflektiert, muss der je „Andere“ je von dem „Einen“ „erkannt“, „gesehen“, „wahrgenommen“ werden, und eine Symmetrisierung / Harmonisierung muss die zu vergemeinschaftenden Aspekte des „Anderen“ in das „eigene“ Vorgehen integrieren - ich benenne / beschreibe das als Interpretation - und zwar mit Beginn von kohärenter Interaktion, nicht erst auf der Ebene von Lebewesen. 

Bezieh Dich doch einmal auf ein konkretes System mit empirischem Bezug. Ich sehe nicht die Interaktion als kohärent an, sondern die Struktur, die sich aus den Interaktionen unter Einschränkungen ergibt. Egal, ob es sich um Photonen im Laser, Elektronen im Supraleiter, autokatalytische Moleküle im Bioreaktor, kooperierende Individuen in Populationen handelt. 

IT