Ist die Parallele zwischen dem Verwaltungsapparat eines Staats und dem eines Glaubens nicht voreilig, Joachim?
Einen Staat ohne Verwaltung kann ich mir nicht vorstellen. Selbst wenn alle Bürger besten Willens wären, brauchte es technische Regeln wie "rechts vor links", es müssen Schilder aufgestellt, Strassen und Schulen gebaut und unterhalten werden usw.
Ein Glaube könnte reine Privatsache sein und braucht nicht unbedingt eine Infrastruktur, oder? Auch eine Glaubensgemeinschaft scheint mir spätestens seit der Erfindung des Buchdrucks darauf nicht angewiesen zu sein. Max Weber scheint das ja anders gesehen zu haben.
Das schliesst ja nicht aus, Gemeinschaften zu bilden, wie das Gleichgestimmte gern tun.
Verwaltungen scheinen, ob notwendig oder nicht, manchmal dazu zu tendieren, ein Eigenleben zu entwickeln. Wahrscheinlich hängt das mit den Funktionsträgern zusammen, die alle Schwächen haben, die wir von uns selbst kennen. Da werden dann Regeln vielleicht doch nicht ganz unterschiedslos angewendet, sondern es kommt vielleicht darauf an, gut auszusehen oder man geht vielleicht den Weg des geringeren Widerstands oder so. Die Verwaltung ist nicht die Wurzel allen Übels, kann ihm aber die Autorität der Staatsgewalt oder des Bodenpersonals Gottes verschaffen.
Sollte die Konsequenz daraus nicht vielleicht sein: nicht mehr Verwaltung als nötig?
Persönlich geht mich das nichts an.

Claus


Am 13. September 2024 10:15:15 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:

Liebe hier noch Mitlesende,

wenn es stimmt, daß nur der Streit interessant ist (polemos pater panton, oder wie das mal hieß), sind ja vielleicht die Momente wichtig, in denen zwei bisher und sonst immer Streitende sich plötzlich einig sind: müßte man nicht gerade dann diese Übereinstimmung zum Anlaß nehmen, sofort einen neuen Streit anzufangen, also aus diesem erstaunlichen und konkludierenden Konsens rasch wieder einen öffnenden kreativen Dissens machen?
Wie wäre es also, wenn man die erstaunliche Übereinstimmung von Karl und Waldemar über die Bösartigkeit und Überflüssigkeit der „klerikalen Kasten“ mal zum Anlaß nähme, eine „Verteidigung des Klerikers“ zu versuchen? Warum wird eigentlich immer so leichtfertig auf Priester, Mönche, Pfarrer und sonstige offizielle Vertreter der Kirche eingedroschen? Ist nicht „Vermittlung“, Mediation, Applikation, Durchführung eine unerläßliche Aufgabe, nicht nur in der Kirche? Es ist so ähnlich wie das weitgehend übliche Beamten- und Bürokraten-Bashing: als ob wir eine nach formalen, also: formal gerechten (nicht durch Korruption zu unterlaufenden) Regeln vorgehende Bürokratie OHNE die sog. „Bürokraten“ haben könnten. Genauso könnte man doch sagen (und genauer begründen, etwa mit Max Weber): solange man überhaupt so etwas wie „Religion“ will (egal in welcher Form, trinitarisch personifiziert, kreationistisch oder nur vage naturreligiös usw.) braucht es „Administratoren“ von Religion, Verwalter des Glaubens, der Rituale, der Institutionen, all der aus dem Glauben sich ergebenden (allzu) irdischen Konsequenzen (zu denen ja auch die dann nötige „Theoriearbeit“ der Theologen und Dogmatiker gehört). Daß der klerikale Apparat dann eine Eigenlogik und v.a. eine eigene Trägheit entwickelt, die halt leider mitunter auch mal Menschen auf den Scheiterhaufen bringt, deren Bücher man etwas später man doch wieder liest, ist nur ein Kollateraleffekt JEDES Verwaltungsgeschehens, der nicht die Notwendigkeit von „Vermittlung“ überhaupt dementiert.

Also ist nicht der Anti-Klerikale, der meint ohne Umwege und ohne „störende“ Vermittler direkt und ohne Anleitung und Hilfe zu Gott und zum Heil zu kommen, so ein bißchen wie der heutige populistische AfD-Wähler, der meint, die „richtige“ Politik mache sich dann praktisch von selbst, wenn wir erstmal all diese doofen „Politiker“ in ihrer „Berlin-Blase“ da ausschalten? Ist nicht der (fanatisch-protestantische?) Traum von der Überwindung alles Vermittelnden, Verwaltenden, Organisierenden tendenziell totalitär?
Nur mal so, für alle Streitlustigen gefragt.
JL

 

 

Von: Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>
Gesendet: Freitag, 13. September 2024 02:34
An: philweb <philweb@lists.philo.at>
Cc: Karl Janssen <janssen.kja@online.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Zeit

 





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Hier bin ich mir nicht sicher, ob wir hinsichtlich der zeitgemäßen Interpretation der Schöpfungsgeschichte überhaupt einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt finden können. Du hast den amüsant kuriosen Zusammenhang der Schilderung der ersten vier Arbeitstage eines Schöpfergottes noch ohne Sonne zwischen jeweils Morgen und Abend angeführt, doch ich störe mich nicht an dieser Diskrepanz in dieser Schöpfungserzählung, da ich sie in Bezug auf heutige naturwissenschaftliche Erkenntnisse schlichtweg als obsolet erachte.

 

Es lohnt keinen einzigen Gedanken mehr darüber anzustellen, kein Wort noch hierfür zu verlieren. Vornehmlich auch deshalb, weil es für die Erklärungen des antiken Weltgeschehens keiner Metaphorik mehr bedarf. Das bedeutet auch für die Religion, resp. Theologie, eine neue Sprache zu entwickeln und das wird zwangsläufig geschehen, will man überhaupt noch Menschen für diese Thematik erreichen.

 

Immer noch ist es der Löwenanteil der Menschheit, der Fragen nach Sinn und Zweck des Lebens in Bezug auf ein erspürtes Transzendentes stellt; Fragen, die nicht mehr durch lapidare, auf fragwürdige Dogmen gestützte Erklärungen zu beantworten sind.

Eigentlich war das schon vor hunderten Jahren so, also zu Giordano Brunos Zeit, wo dieser seine begründeten Zweifel an klerikalen Glaubenssätzen mit dem Leben bezahlen musste.

Unbenommen seiner diesbezüglich geübten Kritik hatte er ein aus heutiger Sicht geradezu modernes Bild von Gott, Welt und Kosmos, wo er letzteren als unendlich und ohne dedizierten Mittelpunkt  definierte. 

Gott, eher das Göttliche (ohne Sohn und hl. Geist) als in der Natur waltender Weltengeist, setzte er gegen das vorherrschende anthropomorphe Gottesbild der klerikalen Clique, die ihn dafür auf dem Scheiterhaufen verbrannte. 



In der Natur waltender Weltgeist - warum sollte man diesen nicht als „kosmische Intelligenz“ auffassen können? Eine Intelligenz, an der Menschen teilhaben, sich mit ihr in Verbindung bringen können. Das postulierte Thomas von Aquin, ein ebenso begnadeter Denker abseits eben dieser damals herrschenden klerikalen Kaste. Unbeschadet dessen, sind diese beiden Großen der Theologie jedoch nicht zu vergleichen. 

Dort jedenfalls, wo heute noch (oder wieder) klerikale Kasten herrschen, zeigt sich, auf welch fatale Weise falsch verstandene, gelehrte und gelebte Religion sich in dieser Welt auswirkt. Alles andere als „lustig“ und von keinem Schöpfergott gewollt, einerlei, ob man diesen als Weltengeist oder kosmische Intelligenz annimmt. 

Und wie recht doch diese (von mir hier bereits zitierte) junge Muslima mit ihrer Aussage hatte: Im Namen Gottes geschieht Unheil, das in dessen Bewusstwerdung nie erfolgen würde. Das müssen die Kämpfer der „heiligen Kriege“ erst noch verinnerlichen und sei es inmitten von jeweils 70 Jungfern. 



KJ





 

Wie amüsant, dass die ersten drei Tage [der Schöpfungsgeschichte] durch Abend und Morgen begrenzt wurden, bevor am 4. Tag die Sonne erschaffen wurde.“



Am 12.09.2024 um 19:19 schrieb waldemar hammel über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:



Am 12.09.2024 um 01:38 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:

 



Am 10.09.2024 um 19:51 schrieb waldemar hammel über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


lustig:

biblische schöpfungsgeschichte + kommentar Émilie du Châtelets (einer mitarbeiterin voltaires auf schloss Château de Cirey bei der übertragung Newtons)
https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89milie_du_Ch%C3%A2telet

„Wie amüsant, dass die ersten drei Tage [der Schöpfungsgeschichte] durch Abend und Morgen begrenzt wurden, bevor am 4. Tag die Sonne erschaffen wurde.“

 

Warum hebst Du mit diesem Literaturhinweis auf eine Schöpfungsgeschichte ab, die heute als Dokument einer vorwissenschaftlichen Epoche zu sehen ist, einer Zeitspanne in der Menschheitsentwickung, wo der Blick auf den gestirnten Himmel, diesen quasi als „Zeltdach“ über der angenommen einzigen Erde erscheinen ließ.

 


muss ich,
weil zb ein giordano bruno das anders sah, und dafür mit dem leben bezahlen musste, und nachträglich für solche morde-im-namen-des-glaubens die blassesten einfach-nur verbalen entschuldigungen der täter genügen um diese vor aller welt reinzuwaschen,
dabei waren die damaligen täter um nichts verschieden von zb heutigen "dschihadisten" und anderen irrsinnigen - die damaligen und bis heutigen täter als verbrecher an der menschheit haben ein sehr langes gedächtnis dafür, ihre verbrechen zu prolongieren und heute kleinzuschwafeln, zu "dissimulieren", ich aber auch!

und weil ich dem sehr nahe stehe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Evolutionärer_Humanismus

wh.

 

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