Hallo,
um die alte Diskussion wieder aufzugreifen und auszugsweise zu kommentieren:
Am Fr., 26. Jan. 2024 um 11:30 Uhr schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
> was soll denn das heißen, etwas Aktualunendliches vor sich zu haben?
Das ist in der Tat eine gute Frage.
Der Unterschied zwischen potenziell und aktual unendlich macht meines Erachtens nur vor dem Hintergrund einer aristotelischen Metaphysik einen eindeutigen Sinn. Könnte also sein, dass die gesamte Diskussion entweder ein Scheinproblem ist, welches auf unklaren Begriffsbestimmungen basiert, oder eben auf eine Substanz-Ontologie hinausläuft.
> Willst Du womöglich wie Cantor letztlich auf das „göttliche Absolutunendliche“ hinaus?
Ich bin mir dessen voll bewusst, dass Cantor während seiner depressiven Phasen auch mit Jesuiten korrespondierte und dabei davon ausging, seine Entdeckung sei theologisch bedeutsam.
In der Tat gibt es von Spinoza das Konzept des absoluten Unendlichen, welches er Gott nannte.
Aber, um es klar zu sagen: Nein.
Ich verfolge nicht das Ziel, die Philosophie für die Religion zu benutzen und bin selbst eher im Lager der Skeptiker zu finden.
Am Mi., 31. Jan. 2024 um 00:37 Uhr schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
> Was soll es dann mit „mathematischer Theologie“ auf sich haben, Ingo?
Siehe oben.
> In "A Structural Justification of Probabilism: From Partition Invariance to Subjective Probability“ argumentiert Hannes Leitgeb sogar dafür, dass "rational degrees of belief may be identified with probabilities.“ Rationale Grade des Vermutens liegen mir als Possibilisten natürlich näher als blinder Glaube.
David Hume hat einmal geschrieben: Der Weise ist überzeugt von einer Sache in dem Maße, in welchen es Evidenze für diese Sache gibt.
Darf ich fragen, was den Possibilisten vom Bayesianer unterscheidet?
> Als Ideologiekritiker geht es mir nicht um Witterung, sondern um die Entlarvung von Vorurteilen, die in Theologie und Metaphysik verbreiteter sind als
> in der Mathematik.
Vor-Urteil (Prejudice) bedeutet ja zunächst einmal nur, dass ein Urteil schon vor einer abwägenden, kritischen Prüfung feststand.
Es impliziert nicht, dass das Vorurteil falsch sein muss.
Es handelt sich um einen methodischen, epistemeologischen Einwand. Sozusagen um ein negatives Argument, wie man früher sagte.
Die Aufdeckung von unhinterfragten, für wahr gehaltenenen Annahmen ist eine der nützlichsten und beeindruckendsten Tätigkeiten der Philosophen. Insofern sollte jeder Philosophie "Ideologiekritik" betreiben, ob er das Konzept von Ideologie teilt oder nicht.
Es besteht immer die Gefahr eines "selektiven Skeptizismus". In diesem Fall wäre die Ideologiekritik nur ein Instrument, welches eingesetzt wird um unwillkommene Ansichten oder Argumente zu delegitimieren, um eine schon von vornherein feststehende Idee (Ideologie?) zu verteidigen.
Sie zielte nicht auf Wahrheit ab, sondern auf Aufrechterhaltung der Ignoranz.
Im Kern geht es, so erscheint es meiner bescheidenen Person, hier um eine Wiederaufnahme des Universalienstreits. Die "Realisten" plädieren dafür, dass abstrakte Gegenstände wie Primzahlen, platonische Ideen und dergleichen in irgeneiner Form existieren, während die Nominalisten dies bestreiten.
Beide Seite stehen vor Herausforderungen: Der "Realist" muss eine plausible "Theorie" darüber entwickeln, wie etwa Primzahlen oder die Ideen des Schönen, Wahren und Guten unabhängig von Dingen die diese Eigenschaften haben, existieren und in wie fern. Es ist ja offensichtlch, dass eine Primzahl nicht in der selben Art und Weise Existenz für sich in Anspruch nehmen kann wie ein Maikäfer oder ein Astroid. Sollte man die platonischen Ideen oder aristotelischen Kategorien als Dinge auffassen, die irgendwo weit draußen im Weltall existieren, so würde man sie letztlich wieder nur als eine Form der, wenn auch seltsamen, Einzelgegenstände denken.
Der Nominalist hingegen stellt sich selbst eine vergleichbare Herausforderung, auch wenn das Vorurteil unserer Epoche uns glauben machen will, dass er die einfachere gewählt hat:
Er muss eine plausible "Theorie" darüber entwickeln, wie der Mensch allgemeine Begriffe und Abstraktionen ausgehend von Alltagserfahrungen, einen Strom von Sinnesdaten oder konkreten Dingen entwickelt. Selbst die Wahl des Ausgangs ist übrigens umstritten und führt ggf. sogar zu unterschiedlichen Ergebnissen.
In gewisser Hinsicht kann nämlich schon die Idee von Gegenständen als eine Abstraktion betrachtet werden. Gewonnen aus der wiederholt gemeinsam auftretenden Sinneseindrücken. In der Lernpsychologie und Pädagogik gibt es die Entdeckung des Stadiums der sog. "Objektpermanents".
Wie aber der schon genannte Herr Hume richtig feststellte, ist dies keineswegs selbstverständlich.
Vor allen Dingen glaube ich, dass die Nominalisten vor dem Werk von Frege, Cantor et al. eigentlich eine sehr große Lücke in ihrer Argumentation hatten, die sie kaum schließen konnten. Ist die Zahl 3 eine Eigenschaft von Dingen? Eine Erfahrung, ein Sinnesdatum?
Wohl eher nicht. Jedes beliebige Ding ist als Dreiheit vorstellbar (keine Anspielung auf die Trinität). Die Eigenschaft, drei mal vorzuliegen, ist auf jeden Fall keine Eigenschaft der Dinge. Es wäre auch abstrus, die Zahl Drei als eine Abstraktiond er "Dreiheit" zu betrachten.
Deshalb u. a. mein Verweis auf Pi, auf unendliche Reihe, weil es hier meines Erachtens ein Problem gibt, das die Grundlagen der gesamten modernen Philosophie angeht. Insofern ist es spannend.
(Philosophisch gesehen zahlen wir für den Nominalismus schon einen gewissen Preis, weil wir den Ideen des Schönen, Wahren und Guten verlustig gehen, die vielen Leute unabhängig von der Religion oder dem Glauben als Stütze gedient haben.)
Am Mi., 21. Feb. 2024 um 05:12 Uhr schrieb waldemar hammel über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
> weil ich neugeboren (entsetzt schon dann beim anblick der welt?), glattweg das atmen vergessen hatte,
> denn zum leben muss man atmen, das wusste ich noch nicht (checkliste für "nach dem mutterleib" nicht gelesen)
Das ist übrigens mit Sicherheit falsch.
Das Atmen ist ein angeborener Reflex.