Am 08.11.2023 um 11:57 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Moin Karl, 

Du schreibst mit Thomas der literarischen Philosophie das Wort, ich halte Geist und Materie bspw. für überflüssige Metaphern oder bloße Abstraktionen. Mit der Erfindung von Worten werden nicht schon die nichtsprachlichen Dinge erzeugt, für die sie stehen sollen. Dazu bedarf es Existenzbeweise. Mythologen und Begriffsrealisten sehen das anders, sie glauben, wenn sie nur Worte lesen, müsse sich dabei doch auch was denken lassen. Diese Ansicht ist immer wieder verballhornt worden, aber in der Literatur natürlich beliebt und erwünscht und kann auch phantasieanregend sein. Aber Philosophie sollte sprachunabhängig sein und von Mythologie frei gehalten werden, woran seit der sprachkritischen über die pragmatische bis hin zur kulturalistischen Wende gearbeitet wird. Solange wir in diesem hier schon seit 25 Jahren thematisierten Grundsätzlichen nicht übereinstimmen, werden wir weiter sinnlos aneinander vorbei schreiben. 

IT


Moin, moin Ingo,

ob unser seit vielen Jahren hier betriebener Austausch von Meinungen, Weltsichten, mal als Diskurse, mal als Dispute geführt, nur ein sinnloses aneinander vorbei schreiben waren, möchte ich bezweifeln. Es war alleine deshalb schon nicht sinnlos, weil es mich - wie oft schon erwähnt - immer wieder zum Nachdenken über die solchermaßen aufgebrachten Themen gebracht hat. Es ist doch nicht nur ein Schreiben sondern, wie Du es hier einforderst, ein Denken vor dem Schreiben. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass man im Affekt auf eine unliebsame Gegenrede und damit zumeist unbedacht reagiert.

Sehr sicher jedoch ist für unseren Austausch von Vorteil, dass wir eben nicht in unseren Weltsichten übereinstimmen, ansonsten sich dieser längst in Alltäglichkeit, dem Geplauder eines Kaffeekränzchen gleich, verloren hätte.

Ganz entscheidend dabei ist meiner Meinung nach, dass man im Diskurs nicht partout versucht, die Gegenseite mit den eigenen Vorstellungen zu missionieren. Zum einen, weil es ohnehin zwecklos ist, einen Konsens zu suchen, wo er grundsätzlich, etwa zufolge gänzlich entgegen stehender Weltbilder nicht erzielt werden kann, zum anderen, weil längst nicht per se feststeht, ob die eigene Meinung den Maßstäben objektiv gegebener Realität genügt. Dieses sicher zu stellen, wäre der Austausch in einem Forum wie philweb geeignet. Bedauerlicherweise ist die mehrheitliche Beteiligung zu gering, um ein derartiges Validieren, resp. Falsifizieren von hier getroffenen Aussagen korrektiv zu bewirken. So stoßen nur immer nur Sichtweisen weniger, so die unseren, immer wieder ohne objektives Korrektiv, dem Fehlen eines Schiedsrichters gleich, aufeinander und dieses - wie beschrieben - gnadenlos perennierend.

Wer also sollte mit hinreichender Objektivität hier entscheiden, ob „Geist und Materie überflüssige Metaphern oder bloße Abstraktionen“ sind, wie Du dies zuletzt nun konstatierst.

Ich frage mich, mit welchen Begriffen sonst sollte man die objektiv gültige Tatsache der Existenz von Materie und damit die Benennung selbiger belegen, steht sie doch als Inbegriff von Raum einnehmender Masse. Was ist daran Metapher, was Abstraktion?

Und Geist für eine Metapher zu halten? Das kann man, je nach Kontext, durchaus und geradewegs in literarischen Beschreibungen so formulieren. Geist als solche zu werten, zudem als überflüssig zu erachten, wird vor allem jenen Zeitgenossen ein Anliegen sein, denen eben genau dieser Geist, dieser immaterielle Nous fehlt, schlichtweg nicht in mentale Resonanz damit kommen können.

Ich bemühte hier mal ein - nicht besonders geglücktes - Beispiel für sture Negation von Tatbeständen:

Zwei Personen stehen des nachts im Freien, eine hat unverstellte Sicht auf den Mond, wie dieser sich durch die milchigen Wolkenfelder soeben zeigt, die andere steht mit verdeckter Sicht darauf unweit neben der ersten und kann den Mond so nicht sehen. Daher leugnet sie vehement dessen Existenz. Zugegebenermaßen ein allzu naives Beispiel, doch es könnte auch Dein „Lieschen Müller“ davon überzeugen, dass man nicht etwas grundsätzlich leugnen kann, nur weil man es persönlich nicht sieht, bzw. sehen kann. 

Letzteres trifft auf Dich zu. Nur weil Du Geistiges nicht „sehen“ kannst, schlicht keinen Zugang, keine „Antenne“ dazu hast, bedeutet das noch lange nicht, dass Immaterielles, eben Geist nicht existiert. Könnte es sein, dass Du immer noch – wie frühkindlich – Geist mit Geistern und Gespenstern gleichsetzt?

Der Mensch als geistiges Wesen, dem Tier entwachsen, was hat ihn dazu gebracht? Schlichtweg nur Evolution im darwinschen Sinn? Hast Du eine Antwort bezüglich dieses sog. „Missing Link“? Ich denke nicht, sonst hätten wir sie alle!

Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl

PS: Herzlichen Dank für Dein wunderschön gestaltetes Gedicht Ingo Mack! Ich muss es mir noch ein paar Mal durchlesen, um es auch wirklich zu verinnerlichen. Hoch verdichtet, spart es unzählige - oft leere - Worte, um das auszudrücken, was wirklich Wirklichkeit ist.