Am 17.04.2023 um 02:14 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Die Frage also, warum sich überhaupt Emotionen evolutionär entwickelt und sich phylogenetisch etabliert haben, würde ich durchaus als beantwortet betrachten. Im Sinne der Evolutionstheorie (Variation und Selektion) haben sich die primären Formen von Emotion auf der Grundlage physiologischer Mechanismen überlebensstrategisch entwickelt, um die essentiellen Anforderungen zur Anpassung an die Lebenswelt (Nahrung, Fortpflanzung, Behausung, Schutz vor Witterung und natürlichen Feinden, genereller Überlebenskampf usf.) zu bewältigen.

Dabei kann man Emotion als motivationales System deuten, das auf bestimmte Reize i.A. unbewusste Mechanismen auslöst und sich als dementsprechende Reaktion zumeist auch mimisch ausdrückt. Man geht davon aus, dass Emotionen als komplexe Ketten von Reaktionen mit stabilisierenden Rückführungsschleifen (Homöostase) bei allen Organismen vorkommen.

Und somit hätte Nietzsche recht mit der zitierten Aussage, „Emotionen seien viel klarer als andere Gedanken“, denn bei Gefühlserregung setzt so gut wie immer das Denken aus. 


Moin Karl,

Nietzsche frönte ja dem literarischen Philosophieren und stand als klassischer Philologe der Mathematik fern; denn was kann klarer sein, als mathematische Gedanken? In der Theorie dynamischer Systeme sehe ich auch den Rahmen, in denen physiologische Mechanismen, Homöostase und Emotionen analysiert werden können; wobei sich die „primären Formen" nicht „überlebensstrategisch entwickelt“ haben können, da nur Menschen Strategien verfolgen, die Natur lediglich stochastisch-kausal im Evolutionsschema von Stoffwechsel, Selbstreproduktion und Mutation in der ökologischen Nische notwendig die jeweilige Selektion bewirkt.  

Clausens Frage nach dem Ursprung des Lebens ist im Evolutionsschema zu sehen, nach dem bereits die Ratengleichungen für Nukleinsäuren im Bioreaktor formuliert werden können. Von dort zu den vielzelligen Organismen ist es allerdings noch ein weiter Weg, der Mrd. Jahre währte. Aber warum sollten die weiteren Entwicklungsschritte bis hin zu Emotionen und Kognitionen sich nicht einmal in sich selbst weiter entwickelnden künstlichen Lebewesen entstehen können? In ihnen wären die Emotionen und Kognitionen natürlich ebenso subjektiv besonders wie in natürlichen Lebensformen. 

Mir scheint nicht der Ursprung des Lebens rätselhaft, sondern mein alltäglicher Wachzustand, auch Selbsterleben oder Bewusstsein genannt. Wie bringt das Gehirn diese Erlebnisfülle hervor, die nicht vermittelbar, sondern nur erlebbar oder bewusst ist. Dieses Selbsterleben, indem sich stets vielfältige Emotionen und Kognitionen überlagern in einem Wirlichkeitsraum aus Erinnerungen und einem Möglichkeitsraum aus Vorstellungen. Die ständig hirngenerierten Superpositionen all dieser Übergangszustände legen eine algebraische Beschreibung wie bei quantenmechanischen Verschränkungen nahe. Aber die bleibt der Innenwelt ebenso äußerlich wie die Umgangssprache. Und so simple Verbindungen wie bspw. Lachgas vermögen Bewusstseine einfach auszuknipsen. Ob das Bewusstseinsgeheimnis jemals gelöst werden wird? 

IT