Lieber Karl, lieber Ingo,

ich habe ja den mir selbst erteilten Auftrag, ein schlüssiges Konzept leibseelischer Interaktion zu entwickeln. Das geistert als „biopsychosoziales Modell der Medizin“ herum, wobei das von George Engel erwähnte Grundmodell in Wirklichkeit kein Modell, sondern nur ein Arbeitsauftrag war - es wird aber bis heute als bereits erstelltes Modell  missverstanden    .

Der Anspruch „unserer“ Modellerstellung ist der der inneren durchgängigen Kohärenz, das heißt die Berufung auf für alle drei Aspekte des biologisch, psychisch und sozial gedachten Lebendigseins gleichermaßen gegebene und erfüllte Voraussetzungen. Diese fanden wir im Zusammenhängen als jeweils zu prüfender Voraussetzung dafür, überhaupt als etwas benannt und bedacht werden zu können.

Dieses dynamische Zusammenhängen sehen wir als je augenblicklich verwirklicht, wobei dieses Verwirklichtsein nur als solches anerkannt wird, wenn es in sich und als erkennbares Zusammenhängen wiederholt beobachtbar ist. Den Grund für dieses Moment-überdauernde Wiederholen sehen wir in einem von uns unterstellten Potenzial zur wiederholten Verwirklichung.

Das Zusammenhängen ja nicht Einfalt, sondern Vielfalt voraussetzt, und zudem eine innere Stimmigkeit, die sich von zufälligem, nicht zusammenhängenden und nicht Zusammenhang in der Interaktion stiftenden Nebeneinander unterscheidet, beinhaltet das Kohärieren immer ein auf den Kohärenzpartner gerichtetes, auf ihn eingehendes, insofern nicht  notwendig absichtliches, aber im Effekt heraussonderndes Interagieren.

Agieren ist Dynamik, und kein Objekt. Etwas, was objektiviert und als Objekt festgehalten werden kann ergibt sich in unserem Ansatz aus der Feststellung einer Identität als wiederholt  Erkennbares  sich von anderem unterscheidendes Zusammenhängen und als wiederholt erkennbarer sich von anderem unterscheidender Zusammenhang.

Das Interaktionsergebnis von Denken als dynamischem Zusammenhängen von zum Denken beitragenden vielfältigen Prozessen kann in diesem Sinne objektiviert und als Gedanken festgestellt werden. Sein dynamisches Zusammenhängen bezieht sich erstens auf sich selbst als inneres Zusammenhängen, und zweitens auf ein in Bezug genommenes „Außen“ als bedachte Gegenstände alias ihrerseits als  kohärierend festgestellte Identitäten, die in den Blick genommen werden.

Dieses In-Betracht-Ziehen und Bedenken beinhaltet - selber eine Identität in Form eines Gedankens seiend - immer ein Bedachtes als Gegenüber, als Interaktionspartner, mit dem eine Stimmigkeit von bedenkendem Vorgehen und bedachten Aspekten besteht.

Das sagt nichts über einen möglichen Wahrheitsgehalt des Gedankens aus, es gibt nur die Grundstruktur des Denkens und Bedenkens wieder - diese allerdings zutreffend.

Lebewesen leben in ihrem Handeln stillschweigende Vorwegnahmen, etwa in der Erzeugung von  Samen, Blüten, Blütenblättern etc. bei Pflanzen, und im Anlegen von internen und externen Vorräten bei Tieren. Stehen mehr interagierende Akteure zur Verfügung, wie bei Gegebenheit signalerzeugender Zellen, kann die Vorwegnahme verfeinert werden, wodurch eine höhere Trefferquote erzielt werden kann. Dies geschieht nicht in Absicht, unter Vorwegnahme eines gesonderten Zustandes als gesondertem Ziel, sondern als integraler Bestandteil des Zusammen-Handelns beteiligter Akteure.

Mit der Externalisierung in Form von gemusterten Lauten kann das, was stillschweigend im Handeln als Ziel enthalten ist gesondert vorgestellt und herausgestellt und benannt und bedacht und angestrebt werden - das ist die ausdrückliche Intentionalität externalisierenden, indem Zeichen- als Sprach-gestützten Handelns.

Das vorher schon im Zusammenhang-stiftenden Handeln beinhaltete auswählend-gerichtete Angelegtsein aus Stimmigkeit mit dem Anderen erhält nun eine gesondert als Absicht feststellbare Gestalt. In dieser ist die zuvor schweigend beinhaltete Vorwegnahme weiter wirksam, nur ist sie jetzt der Möglichkeit nach als Annahme gesondert und in eigener Gestalt ansprechbar. Das macht ihre Diskussion möglich, und den entsprechenden Abgleich mit „der Wirklichkeit“ als eigenständiges Vorgehen sichtbar.

Gedeutete Aspektivität ist von vornherein in diesem jetzt ausdrücklich gemachten Interagieren vorhanden, neu ist eben das zusätzliche Identität-Stiften durch Externalisierung und Erkennbar-Machen der Zeichen. 

Die Grundstruktur des in unbelebter Natur unabsichtlichen, in jedem Fall gesonderten und sondernden, jeweiliges Zusammenhängen als semantisches Innen stiftenden Interagierens in Form von zeitweilig aufrechterhaltener Abweichung vom neutralen Zeitstrom ist im Sprach- und Bild-/Gestalt/-Geometrie-gestützten Denkens also die gleiche, und somit ist unser Modell durchgängig für alle besprochenen Bereiche.

So viel als Wort zum Mittwoch,


liebe Grüße,

Thomas

PS: zu den von mir erwähnten Zeitwirbeln passen Deine Sätze, lieber Ingo:

Ingo T. 19.1.25:

Denn das alltägliche äußere Kreisen zwischen Wahrnehmungen, Gedanken und Tätigkeiten würde verlegt auf das innere Kreisen zwischen Sensorik, Kognition und Motorik, indem die jeweiligen neuronalen Repräsentationen nur noch unter sich interagierten.       

 

Dieses innere Kreisen schafft Freiheit in Möglichkeitsräumen — allerdings mit der Kehrseite von Beliebigkeit. Ohne alltägliche Bewährung im äußeren Kosmos gedeihen im inneren Kosmos Träume und Phantasien ebenso wie Utopien und Ideologien, so dass intuitive Vorurteile begründete Urteile ersetzen.


 

Am 20.01.2025 um 01:25 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Moin, moin Ingo

Zunächst ging es um das von Thomas vorgebrachte kaum zu widerlegende Argument,  Nicht-Stoffliches würde [oftmals] mit „Geistigkeit" verwechselt werden. Darauf hin war es mir ein Anliegen, mich mit dem Begriff von Geistigkeit an sich zu befassen, um hier entsprechend darauf eingehen zu können. 

Wie oft benutzt man im Alltag gängige Begriffe, ohne sich über deren wirkliche Bedeutung in der Tiefe bewusst zu sein. So eben auch Geistigkeit. Wofür steht also dieser Begriff hinsichtlich seiner Bedeutungshaftigkeit. 

So schrieb ich, dass Geistigkeit in ihrer im üblichen Sprachgebrauch vorherrschenden Bedeutung  für das neurologisch mentale Vermögen zu entsprechend prozessualer Gehirnfunktion steht, somit die Verfügbarkeit zu hinreichender Inferenz, also die Befähigung, jeweils sinnliche Wahrnehmungen zutreffend zu interpretieren. Insoweit diese Gehirnfunktionen als biochemisch neuronale Vorgänge beschrieben sind, können sie keinesfalls als ein Nicht-Stoffliches Geschehen definiert sein.

Anders verhält es sich um die Bedeutungshaftigkeit mentaler Prozesse, die typisch als das Denken schlechthin und ggf. im weiteren Sinne, als Geistigkeit verstanden wird.


Geistigkeit setzt also Denken und somit Gedanken voraus. Das sollte eine konsensfähige Aussage sein und in weiterer Vertiefung die Frage aufwerfen, was denn Gedanken hinsichtlich ihrer Intentionalität, resp. ihrer Bedeutungshaftigkeit sind.

So führte ich an, dass sie (stofflich) zunächst als entsprechend erkennbare Aktivitätsmuster im Gehirn nachweisbar sind und dort als neuronale Repräsentation residieren.

Wir hatten hier einige Zeit über Hirnforschung geschrieben, was seinerzeit dazu führte, mich intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen; Übrigens ein „Profit“ von philweb, sich mit Themen zu befassen, die nicht im üblichen Interessenschema und Wissensgebiet liegen.

Weiter schrieb ich: Dieser quantitative Nachweis [z.B. mit MRT] entbehrt jedoch jeder Möglichkeit einer qualitativen Aussage hinsichtlich der Intentionalität, also  der Bedeutungshaftigkeit von Gedanken. 

Ich schrieb dazu, dass glücklicherweise Gedanken nicht lesbar sind (wie der Volksmund es ausdrückt). Das ist bekanntermaßen relativ gesehen, denn der nonverbale Sprachausdruck von Gedanken (Mimik/Gestik) ist im gewissen Sinn durchaus „lesbar“

Unstrittig sollte jedoch Gültigkeit haben, dass die Bedeutungshaftigkeit von Gedanken, somit des Denkens schlechthin, ein immaterielles Agens von Geistigkeit ist.

Mitnichten habe ich also dargelegt, dass benanntes Agens einzig der Intentionalität folgen würde. Und es sollte eigentlich aus meiner Darlegung klar erkennbar sein, dass Gedanken als  neuronale Repräsentation im Gehirn durchaus aber nicht notwendigerweise einzig einer Intentionalität, sondern auch einer anderen Bedeutungshaftigkeit entsprechen können. Die Intention eines Gedankens kommt dessen Bedeutungshaftigkeit nur in Bezug auf erstere gleich.

In den weiteren Punkten Deiner Replik bin ich größtenteils damit konform.

KJ

transmitted from iPad-Client

Am 19.01.2025 um 12:12 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Moin Karl, 

Thomas versteht Geistigkeit innerhalb seiner phänomenologisch-semantischen Systemtheorie interaktionistisch als Aspekt des Stofflichen. Du siehst die Bedeutungshaftigkeit als immaterielles Agens von Geistigkeit, das der Intentionalität folgen soll. Demgegenüber residieren Gedanken im Gehirn als neuronale Repräsentationen sinnlicher Wahrnehmungen. Warum sollen diese Repräsentationen keine Intentionen und damit auch Geistigkeit hervorbringen können? 

Wird die Vagheit dieser Sätze nicht klarer, wenn Geistigkeit mit Sprachlichkeit und Denken mit innerem Reden identifiziert wird? Die den Sprechakten inhärente Intentionalität übertrüge sich auf die Gedanken und gehörte ebenso zur Geistigkeit. Sprachanalytisch und handlungstheoretisch verlöre die Geist-Stoff-Differenz ihre Schärfe. Denn das alltägliche äußere Kreisen zwischen Wahrnehmungen, Gedanken und Tätigkeiten würde verlegt auf das innere Kreisen zwischen Sensorik, Kognition und Motorik, indem die jeweiligen neuronalen Repräsentationen nur noch unter sich interagierten.       

Dieses innere Kreisen schafft Freiheit in Möglichkeitsräumen — allerdings mit der Kehrseite von Beliebigkeit. Ohne alltägliche Bewährung im äußeren Kosmos gedeihen im inneren Kosmos Träume und Phantasien ebenso wie Utopien und Ideologien, so dass intuitive Vorurteile begründete Urteile ersetzen. Ab Morgen werden wir das mit der Amtseinführung Trumps wieder verstärkt zu erleiden haben.     

IT       


Am 19.01.2025 um 01:08 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Geistigkeit in ihrer - im üblichen Sprachgebrauch vorherrschenden - Bedeutung meint, neben dem neurologisch mentalen Vermögen zu entsprechend prozessualer Gehirnfunktion, die Verfügbarkeit zu hinreichender Inferenz, also die Befähigung, jeweils sinnliche Wahrnehmungen zutreffend zu interpretieren. Selbstredend sind hier bio-chemische Prozesse im Gange, die keinesfalls als Nicht-Stofflich beschrieben sein können. Geistigkeit setzt Denken und somit Gedanken voraus. Was sind also Gedanken?

Zunächst sind sie entsprechend als erkennbare Aktivitätsmuster im Gehirn nachweisbar und residieren dort als neuronale Repräsentation. Dieser quantitative Nachweis entbehrt jedoch jeder Möglichkeit einer qualitativen Aussage hinsichtlich seiner Intentionalität, also  der Bedeutungshaftigkeit des Gedankens. 

Diese Bedeutungshaftigkeit ist somit das immaterielle Agens von Geistigkeit.

Soweit (wieder mal)  zu fortgeschrittener Stunde meine Gedanken zum Gedanken, solchermaßen als frei erklärt, weil man sie glücklicherweise hinsichtlicher ihrer Intensionalität nicht lesen kann, somit ein immaterielles Grundelement der menschlichen Wesenheit sind.

Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl

_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb@lists.philo.at
Zur Abmeldung von dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave@lists.philo.at

_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb@lists.philo.at
Zur Abmeldung von dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave@lists.philo.at
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb@lists.philo.at
Zur Abmeldung von dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave@lists.philo.at