Ja, vermutlich ist es – wie so oft - ein Aneinandervorbeischreiben, denn bei kulturellen, insbes. technischen (Weiter-)Entwicklungen wird sowohl aus dem Versuch heraus (etwa um eine Idee versuchsweise zu verwirklichen), als auch aus purer Theorie abgeleitet agiert. So ist es – wie immer – die jeweilige Perspektive, aus der man auf Entwicklungsprozesse sieht, bzw. nach der man diese bewertet.

Von Bewertung sollte ich nicht schreiben, dagegen hat Joseph jeweils Einwände erhoben. Dieses womöglich wegen der unleugbaren Tatsache, dass Menschen kaum objektiv wertfrei und damit vorurteilslos bewerten können (überdies: lange nichts mehr von ihm hier vernommen).

Sieht man eingrenzend auf die kulturelle, insbes. technologische Fortentwicklung, spielen Naturwissenschaften (und die damit verbundenen Versuche) selbstredend eine entscheidende Rolle und als Ingenieur sollte mir diese Sicht vertraut sein. Mein diesbezüglicher Denkansatz hinsichtlich dem Prinzip von „Versuch und Irrtum“ war jedoch nicht darauf, sondern philosophisch angelegt und somit wesentlich weiter gefasst. 

Gegen Weitgefasstheit, etwa im Sinne eines Holismus, hatte Popper erhebliche Einwände und ich denke, dass sich seine diesbezogene Reserviertheit gegen eine Art utopischer Weltsicht gerichtet hat, die er - tatsächlich metaphorisch ausgelegt - so zum Ausdruck brachte: „Der Versuch, den Himmel (auf Erden) zu errichten, erzeugt stets die Hölle“. 

Es kann keinen Himmel auf Erden geben und diese Einsicht hat m.E. wirklich nichts mit Metaphorik zu tun, die Du ihm zuschreibst, denn Popper als Philosoph war eindeutig dem (kritischen) Rationalismus zugewandt. 

Auch ich störe mich an einer utopischen Sichtweise von der heilen Welt, wie sie mittlerweile verbreitet insbes. auch aus dem idealistisch linksliberalen Gedankengut abzuleiten ist. Damit wird vor allem jungen Menschen eine Traumwelt suggeriert, die es in dieser Form niemals geben wird. Um diesem offensichtlich genuinen Bedürfnis der Menschen nach einer heilen Welt – also dem Himmel auf Erden – abzuhelfen, hat die Religion folgerichtig ein jenseitig „himmlisches Paradies“ erfunden. 

Zeugen Jehovas etwa, sagen solch paradiesische Zustände sogar für dieses reale Erdenkügelchen voraus, das allerdings erst mal einen Weltuntergang überstehen muss. Die dabei übrig geblieben Bibelgetreuen werden dann in Clustern von Patchwork-Familien zusammen mit allerlei Getier, selbst Löwen und Tigern auf saftigen Wiesen unter Bäumen voll süßer Früchte Picknicks veranstalten. Als ich diesen Predigern gegenüber erwähnte, dass dann aber der Löwe auch Gras fressen müsste und somit kein Löwe mehr sein würde, war die Diskussion und der kurze Traum vom Himmel auf Erden beendet. 

Versuch und Irrtum gemäß Poppers Erkenntniskritik läuft somit auf Falsifikation im Sinne von Überprüf- und Widerlegbarkeit hinaus. Das ist ein Anspruch an Wissenschaftlichkeit und entspricht keinesfalls jeglicher Art von Metaphorik und ist ja geradewegs gegen jede Form von Dogmatik, sondern ganz klar auf die Merkmale einer offenen Gesellschaft gemünzt, die sich durch weltanschaulichen Pluralismus, vor allem aber deWillen und Vermögen zur Fehlerkorrektur auszeichnen.

Bezogen auf „kontingente Naturwüchsigkeit“ ist diese selbstredend nicht mit Technik per se, bzw. deren Entwicklungsmethoden gleich zu setzen, doch sie kann Vorbild für die Entwicklung technischer Artefakte sein, wie es sich beispielsweise mit der Anwendung von Fuzzy Logic erwiesen hat. Hier kommt beides zusammen, sowohl handlungs- als auch theoriegeleitete Technologieentwicklung. Das ist dann wiederum Popper: „Den schwarzen Hut im dunklen Keller finden“, eine Herangehensweise, wie sie dem Kinderspiel vom „Topfschlagen“ gleicht.

Wie oft also „tappen wir im Dunklen“, wenn es um das Lösen von Problemen geht, um letztlich – bei hinreichendem Beharrungsvermögen – schließlich doch nach dem Prinzip des „Trial and Error“ das Gesuchte zu finden, ein durchaus lebenspraktisches, eben handlungsgeleitetes und eigentlich nicht zu hinterfragendes Lebensprinzip.


Bester Gruß! - Karl


PS:

Ach so, noch zu den Wind- und Wasserrädern und Deiner Frage, warum diese nicht längst flächendeckend zur Stromerzeugung verbaut sind. 

Ebenso eine Utopie im Wortsinne, solches zu fordern bzw. in dieser Form zu hinterfragen! 

Windräder als sog. Windparks hier in Südbayern sind – mit Ausnahme dementsprechend exponierter Lagen – illusorisch. Wasserkraftanlagen gibt es hingegen zuhauf, da wird es bei Dir oben eher mager aussehen. Soll ich Dir das nun vorwerfen? Das wäre ebenso lächerlich, wie Du mir Nachsicht mit Machenschaften des „fossilen Imperiums“ zuschreibst. 

Es ist schlicht unredlich, in unserer Altersklasse in dieser Weise über eine fossile Energieversorgung zu urteilen, die unser bisheriges Leben überhaupt in hinreichendem Wohlstand ermöglicht hat. Unbenommen dessen steht die Erneuerung der Energieversorgung dringlich an, die ich keineswegs in Abrede stelle. Ich habe längst PVA am Dach, fahre überwiegend E-Auto und halte mich seit Anbeginn des nachhaltigen Haushaltens an entsprechende Handlungsweisen. Das hatte ich hier bereits geschrieben. Was soll also dieses ideologisch gefärbte Mäkeln mir gegenüber? 

Zur letzten Generation will ich mich nicht äußern, dazu soll sich jede Person seine eigene Meinung bilden. Ich würde mich jedoch nicht auf die Straße kleben, sondern als Ingenieur dabei helfen, Konzepte zu entwickeln, wie dem Klimawandel begegnet werden kann. Mit dieser Einstellung bin ich definitiv nicht alleine und es ist sicher der Löwenanteil aller (auch diesbezüglich) arbeitenden Menschen, die täglich zur Arbeit fahren, um genau in dieser Intention beizutragen, die Welt neu zu gestalten. Dümmliche Straßenkleberei steht eben auch diesen Menschen im Weg, genauso wie dadurch systemrelevante Dienstleistungen (Rettungs-/Ordnungsdienste, Alten-/Krankenpflege, Reparaturleistungen etc.) behindert, resp. verzögert werden. Das ist m.E. eine nicht zu rechtfertigende Rücksichtslosigkeit, ob man diese als kriminelle Machenschaft werten soll oder kann, ist eine juristisch zu klärende Frage.

Es ist doch geradewegs aberwitzig zu glauben, man könne den mittlerweile erkannten Irrtum an bisher fehlgeleiteter Technikentwicklung/-nutzung und deren fatale Auswirkungen innert kürzester Zeit (zudem einzig in und aus Deutschland heraus) korrigieren. Die dadurch irreversibel entstandenen Schäden sind zunächst hinzunehmen wie eine Wunde und das Wissen um deren Entstehung ist dazu einzusetzen, um sie künftig zu verhindern. Auch hierüber hatte ich hier oft zum Thema Technikfolgeabschätzung geschrieben. So zeigt sich, dass wir eigentlich nicht aneinander vorbei, sondern gegeneinander schreiben und das, weil wir gesellschaftspolitisch nun mal so weit, wie auch geografisch – voneinander entfernt sind. 

Wie mein Name zeigt, liegen meine genetischen Wurzeln im Norden der Republik und wenn ich zur Verwandtschaft fahre, bedrücken mich die bedrohlich nahe der Wohnhäuser surrenden, bisweilen dröhnenden Windräder, wie sie zum Dutzend den Ort umgeben. Da wollte ich mir gerne andere Formen der Energiegewinnung wünschen. Nur gut, dass der Mensch ein „Gewohnheitstier“ ist oder hier eben auch nur der brave, deutsche Michel, dem man ruhig noch ein paar weitere Windmühlen vor die Nase setzen kann, gefordert von jenen, die täglich gegen deren imaginäre Flügel ankämpfen.



Am 27.05.2023 um 12:00 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:



Am 26.05.2023 um 02:25 schrieb Karl Janssen <janssen.kja@online.de>:

… Das meine ich mit „Versuch und Irrtum“ als ein unumgängliches Prinzip der Fortentwicklung und der damit verbundenen Aussage, dass alles Leben ein fortwährendes Problemlösen sei (Karl Popper: Alles Leben ist Problemlösen).  Jedes problematische Geschehen beginnt irgendwie mit einem Versuch und endet mit einem Irrtum, den es zu erkennen und zu beheben gilt. Wo ein Irrtum nicht (rechtzeitig) erkannt wird oder – weit schlimmer – ein erkannter Irrtumsweg nicht verlassen wird, da wird ein Problem zum wirklichen, zumeist irreversiblen Problem.



Moin Karl, 

wir schreiben wieder aneinander vorbei, denn natürlich waren der seit der Antike betriebene Bergbau und die Metallurgie ursprünglich nicht theoriegeleitet. Unstrittig ist auch, dass das Problemlösen einen wesentlichen Aspekt des menschlichen Lebens ausmacht. Poppers Verallgemeinerung dagegen ist weitgehend Metaphorik. Dabei erfolgt das Problemlösen sowohl nach Versuch und Irrtum als auch theoriegeleitet. Und Beispiele für theoriegeleitete Innovationen hatte ich doch genannt, nämlich die, die von der Elektrifizierung zum Internet, vom Computer zum Smartphone, von der Pferdebahn zur Eisenbahn, von der Pferdekutsche zum Auto führten. 

Auch Dampfmaschinen gab es bereits in der Antike, aber die Entwicklung von Verbrennungs- und Elektromotoren, von Generatoren und Computern setzten Mathe und Physik voraus, erfolgten theoriegeleitet — und nicht „irgendwie mit einem Versuch“. Nicht Irrtümer dominieren den technischen Fortschritt, vielmehr nehmen Anzahl und Genauigkeit technologischer Parameter mit der Zeit monoton zu. Ideologiekritisch geht es darum, kontingente Naturwüchsigkeit nicht mit zweckmäßiger Technik zu verwechseln. Denn warum sollte „alles Leben Problemlösen“ nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum sein?   

Meine These ist, dass technische Innovationen seit dem 19. Jahrhundert vermehrt und gegenwärtig nahezu ausschließlich theoriegeleitet erfolgen. Historisch interessant dabei sind natürlich nicht nur Wissenschaft und Technik, sondern auch Macht und Geld. Auch Wind- und Wasserräder gibt es seit der Antike. Warum sind sie nicht schon vor Jahrezehnten flächendeckend für die Stromerzeugung eingesetzt worden? Deine Nachsicht mit den Machenschaften des fossilen Imperiums kann ich nicht nachvollziehen. Ebensowenig kann ich nachvollziehen, dass die friedfertige Letzte Generation in Bayern als kriminelle Vereinigung vorverurteilt wurde, während mordende Terroristen als Einzeltäter verharmlost (Oktoberfest, OEZ), wenn nicht geduldet worden sind (NSU).   

Falls Du die Berichte über die Machenschaften nicht nur ExxonMobil’s zur Leugnung des anthropogenen Klimawandels noch nicht kennen solltest. „In 2015, investigative journalists discovered internal company memos indicating that Exxon oil company has known since the late 1970s that its fossil fuel products could lead to global warming with “dramatic environmental effects before the year 2050.” Additional documents then emerged showing that the US oil and gas industry’s largest trade association had likewise known since at least the 1950s, as had the coal industry since at least the 1960s, and electric utilities, Total oil company, and GM and Ford motor companies since at least the 1970s“:


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