Wenn Du, Joseph, es nicht vermagst, die Begrifflichkeit von Ideologie in Deine Wortwelt thematisch einzuordnen, bestätigt das nur, dass dieser Begriff grundsätzlich ambivalent besetzt ist. Konsensfähig ist offenbar die Festlegung auf seine etymologische Herkunft als die Lehre von den Idealen; diese sind jedoch sehr unterschiedlichen Lebensbereichen und damit verschiedenen Weltsichten und Machtstrukturen zugeordnet. Im weiteren Sinne entwickeln sich aus Idealen durch deren weltanschauliche Verfestigung Ideologien. Nachdem Waldemar sich als Todfeind von Ideologien „geoutet“ hat, würde er aus seiner Sicht auch zur Klärung des Begriffs beitragen können.
Für mein Dafürhalten ist es eben gerade diese Verfestigung von Idealvorstellungen über das Leben und insbesondere seiner gesellschaftlichen Formen (z.B. Sozialismus, Kommunismus), die als Fixierung auf diese Ideale, verbunden mit dem Anspruch auf absolute Gültigkeit, die dann als Ideologie letztlich nur durch Diktat aufrecht zu erhalten sind; so eben bestimmte Religions- oder Staatsformen als Diktatur.
Was mich (als eigentlich Ur-Grüner, denn ich habe diese Bewegung von Anfang an aus ökologischen Gründen unterstützt) inzwischen an den „Grünen“ extrem stört, ist eben genau diese Fixierung auf realitätsfremde Ideale und ein damit verbundenes gesellschaftliches Diktat. Damit meine ich nicht den sog. Veggie-Day, soweit er nur als wirklich sinnvolle Empfehlung thematisiert wurde, sondern viele andere Einflussnahmen, die weit über das eigentliche Anliegen des Umwelt- resp. Gesundheitschutzes hinausgehen, wie etwa die mir unverständliche Legalisierung von Drogen. Letzteres ist natürlich ein kritisches Thema mit echtem Pro und Contra. Nur kann man sich nicht einerseits als Moral- und Gesundheitsapostel gerieren und andererseits Menschen die uneingeschränkte Entscheidung für persönlichen Drogenkonsum überlassen. Es fahren ohnehin schon genug Verkehrsteilnehmende unter Drogeneinfluss.
Es ist eine Art Beliebigkeit, die Grüne selbst für sich in Anspruch nehmen und somit auch gesellschaftlich verankern wollen, die aber – selbst wenn man ihnen hinreichend verantwortlichen Umgang mit diesen Freiheiten zuschreiben würde – gesamtgesellschaftlich nie und nimmer einer Eigenverantwortung der Bevölkerung zu überlassen sind; dem steht die von mir zuletzt beschriebene Missbrauchsgeneigtheit des Menschen entgegen.
Meiner Einschätzung nach steckt hinter dieser Ideologie ein gerüttelt Maß an Egoismus und Doppelmoral: „Wasser predigen und selbst Wein saufen“, wie es der Volksmund in dieser derben Art auszudrücken pflegt.
Natürlich ist diese Kritik an der politischen Bewegung der Grünen nur ein Teilaspekt; würde ich diesen auf die Gesamtheit dieser Bewegung münzen, würde ich vielen Freunden vor den Kopf stoßen. Ein Freundes- und Bekanntenkreis ökologisch verantwortlich lebender Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen und sich beispielsweise - wie ich auch - über Straßen blockierende Klimakleber ärgern, wohl wissend, dass diese Protestform der provokanten Vermittlung eines legitimen Anliegens eher eine gesellschaftliche Spaltung befördert und damit der Mission mehr schadet als es dieser dienlich ist.
Bester Gruß! - Karl
PS: jh: „ Warum sollte ich zu Fuß laufen, wenn Rollschuhe da sind? ...oder zu Fuß bis zum Meisterspektakel..“
Rollschuhe oder Skater sind ja eine feine Sache, zu Fuß gehen jedoch ebenso. Das sind eben genau die Verhaltens- bzw. Lebensweisen, die vordergründig in der Eigenverantwortung einer Gesellschaft liegen, der jedoch oft genug nicht nachgekommen wird. Dieses auch nicht bei grün angehauchten Gut-Betuchten sozial angesehener Berufsgruppen: Mit dem Porsche für 1,2 km fahren, um frische Semmeln zum Frühstück zu kaufen und sich obendrein beklagen, weil kein Parkplatz vor dem Bäckerladen verfügbar war.
Und das Meisterspektakel: Als man dem Messi bei der Siegesfeier den traditionellen Bischt um die Schultern legte, wußte er womöglich nicht, dass dieses Zeremoniell eine hohe Würde bedeutet, ähnlich wie man in Tibet etwa die Khata, den weißen seidenen Begrüßungsschal überreicht.
In typischer Manier der ÖR dreht man das Zeremoniell ideologisch verfremdet in die Mutmaßung, Messi sei tapfer in die Kameras blickend von diesem kühl kalkulierten PR-Coup irritiert (ebenso wie ein „Schweini“) gewesen. Das berichtet man von einem millionenschweren Fußball-Vollprofi, der seit geraumer Zeit Werbeträger von Katar ist. Ich denke, das sagt alles über ideologische Verformungen, wie man diese täglich - vornehmlich in hiesigen Medien - vorgesetzt bekommt. Ich spare mir TV, wo und wann auch immer es geht.
Am 19.12.2022 um 16:03 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:Am 19.12.22 um 14:11 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:
> Meine Kritik zielt auf den ideologischen Aspekt .... und dieser ist wohlfeil.
Ich muss gestehen, dass ich unfähig bin, die Wortfolge "ideologischer Aspekt" oder das Lemma "Ideologie" in meine Sätze einzufügen. Wenn ich das tun würde, wäre mir sofort bewusst, dass ich so etwas wie ein Universalargument benutze, das Gut und Böse auseinanderhält. Nach so einem Wort muss ich denken: "Für was nutzt der Sprecher das Wort Ideologie?" Wenn ich es nun verstehen würde, müsste ich bei mir prüfen, ob ich selbst ideologisch denke oder nicht. Eine extensionale Definition würde mir nicht genügen, und mit dem von Aristoteles empfohlenen Annäherungsversuch komme ich nicht weiter "Stell dir zuerst vor, was wärmer ist als Wärme ist."
Eine andere Sache wäre es, wenn ich bei jeder kausalen Erklärung noch Moral, positives oder natürliches Recht mit denken müsste. Das würde mich überfordern.
Das ständige Sagen, dass eine Sache genutzt, benutzt, ausgenutzt usw. werden kann, hilft mir auch nicht so recht. Wer ein Mittel vor sich hat, entscheidet, und das Mittel selbst entscheidet mit: Warum sollte ich zu Fuß laufen, wenn Rollschuhe da sind? Wenn ich nur mit Rollschuhen fahren könnte! Warum sollte ich zu Fuß bis zum Meisterspektakel, wenn es doch einfacher geht? Warum sollte ich mit dem Fahrrad zum Anklebetermin fahren, wenn ich ein Auto habe? ... dann wäre ich ja ideologisch gegen das Auto!
JH
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