Im benannten Essay von Carolin Amlinger und Oliver Nachtway, der sich auf deren Buch „Gekränkte Freiheit, Aspekte des libertären Autoritarismus“ bezieht, werden m.E. gesellschaftliche Entwicklungen unseres postmodernen Zeitalters beschrieben, wie sie sich allgemein als bisweilen unerträgliche Egozentrik, also einer individuell übersteigerten ICH-Präsenz auf Kosten der Allgemeinheit allenorts zeigt. Anders ausgedrückt: Der Bürger sieht sich als König mit all seinen Rechten, Privilegien und Marotten, vor allem dem Recht auf die eigene Meinung, wie er sich diese aus bisweilen fragwürdigen Quellen bildet.

Natürlich kann man nicht alle Mitglieder dieser postmodernen Epoche mit diesen Attributen belegen. Dennoch bestimmt diese Denkrichtung einen wesentlich einflussreichen Teil der Gesellschaft, da deren Vertreter schließlich auch an den Schaltstellen gesellschaftspolitischer Machtzentren (Medien, Politik, Bildungswesen etc.) diese bisweilen bedenkliche gesellschaftspolitisch-wissenschaftliche Richtung im Sinne eines sozialisierend wirksamen „Framings“ vorgeben.

Paradox erscheint dabei, dass sich diese Vorgaben zumeist geradewegs gegen institutionelle Bevormundung, gegen Auswüchse der (Post-)Moderne und deren Methoden richten, was dem sog. Tocqueville-Paradoxon zu entsprechen scheint. 

Das lässt auch an Horkeimer-Adornos „Dialektik der Aufklärung“ denken, worüber wir vor etlichen Jahren hier diskutiert haben. Dabei geht es um deren These, dass mit steigender Selbstbehauptung (bis hin zum benannten übersteigerten ICH zulasten einesKollektivs), neben der überlebenswichtigen Behauptung gegenüber einer im Prinzip ungnädigen Natur (Albert Schweitzer) eine darüber hinausgehende Beherrschung, resp. institutionalisierte Herrschaft von Menschen über ihre Mitmenschen gesellschaftlich ausgeprägt hat. Und diese Herrschaft spielt sich in heutiger Zeit nicht notwendigerweise nach konventionellen Methoden der Machtausübung, resp. des -erhalts, sondern durch subtile Formen eben des institutionalisierten libertären Autoritarismus ab. 

Aus einer spezifischen Rahmenbedingung, die auf dem von Horkheimer/Adorno als vernunftsorientiertem Herrschaftscharakter gründet, hat sich somit im Sinne der Dialektik eine Rückkehr der bereits aufgeklärten Gesellschaft zur Barbarei in der Wirklichkeit eingestellt. Das führte zwangsläufig zu einem Aufschwung der Mythologie (was sich auf drastische Weise im Dritten Reich verwirklicht hat und aktuell an faschistoiden Formen von Staats- und Kriegsführung zu sehen ist).

Die Frage erhebt sich, ob diese Entwicklung durch Selbstbesinnung und -kritik verhindert werden konnte. Darauf aufsetzend ebenso die Frage, ob damit auch der offensichtlich zunehmenden Entwicklung eines übersteigert libertären Autoritarismus entgegen gewirkt werden kann, wie er sich nach dem Prinzip Actio gleich Reactio mittlerweile auf beiden Seiten gesellschaftlicher Systems bei Regierenden und Regierten auf bisweilen beunruhigende Art etabliert hat.

Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl




Am 20.08.2023 um 10:01 schrieb Rat Frag <rat96frag@gmail.com>:

Hallo liebe Liste,

ich wurde durch Zufall aufmerksam auf folgenden Link:
https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/februar/libertaer-und-autoritaer

Was denkt ihr darüber?

Mit freundlichen Gruß

Der, wie immer, Ratlose.