Am 04.11.2023 um 22:48 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Zwiespalt? Wenn, dann Multispalt, {…}

Nebenbei bemerkt, es geht mir nicht darum, dass Karl in einen Felsspalt oder Zwiespalt hinein gerät, und nicht mehr herauskommt, ich grabe ihm auch kein Loch. Er selbst kann sich mit den Fragen, die sich ihm stellen auseinandersetzen, oder nicht.

Wenn ich Deine vorherige Ausführung, Joseph, richtig verstanden habe, hast Du - bezogen auf die biblische Schöpfungsgeschichte - einen Zwiespalt bei mir vermutet, da ich einerseits als Katholik dieser Schöpfungserzählung folgen, ihr andererseits als naturwissenschaftlich ausgebildeter Mensch keine Geltung zugestehen sollte.

Diese Annahme „liegt doch auf der Hand“ deshalb schrieb ich, diese relativierend, dass sich mir kein Zwiespalt (und schon gar kein „Multispalt“) auftut, da ich beides voneinander unterscheide, unbenommen der Parallelen zwischen biblisch metaphorischer Erzählung als Schöpfungsgeschichte und naturwissenschaftlichen Beschreibungen (z.B. angelehnt an die Evolutionstheorie oder die hier zuletzt erörterte Penrose’sche kosmologische Theorie) zu erkennen sind. 

Etwa zu Beginn der Genesis, wo der Geist Gottes über den Wassern schwebt. Nun folgt Analogisierung, die Ingo T. zur Weissglut bringen mag:

Geist als Theorie, Wasser als Materie in einer Anhäufung von Elementarteilchen (wie Ingo es benennt), eine Annahme, die mir sehr entgegen kommt!

Theorie als geistiges Potential gesehen, verwirklicht, resp. verkörpert sich zu Materie im Sinne dieses aristotelischen „potentia ad actum tanquam tabula rasa“. 

Hier trennen sich die Geister, insbes. Ingos Vorstellungen von meinen. Wenn er von Thomas und mir sagt, wir würden einer literarischen, er – mit Claus – eher einer methodischen Philosophie folgen, so trifft das tatsächlich den Kern.

Damit ist - mich anbelangend – nicht gesagt, dass ich (überlieferte) Aristoteles' Sicht auf die Welt im wortwörtlichen Sinn teile, nachdem er von einer hierarchisch gestuften „Welt“ ausging, deren unbelebte, chaotische Natur (Materie als Ansammlung ungeordneter Elementarteilchen ) als eine stofflich unterste Stufe ansah, die von einem hierarchisch höher stehenden göttlichen Vernunftswesen geordnet wurde.

Im übertragenen Sinn jedoch sehr wohl, denn diese metaphorische Darlegung lässt sich durchaus paraphrasieren, indem ich die primordial unbelebte Natur, nach einer der naturwissenschaftlichen Erklärungen als vom Gas der Galaxien extrem dicht zusammengepresstes, heißes Plasma aus Atomkernen und Elektronen als den Anfangszustand (chaotische Urflut) des Universums annehme. 

Ähnlich verlauten ägyptisch kosmogonische Traditionen, nach denen man sich die Entstehung von Welt und Kosmos aus einem urzeitigen Chaos, einem Urschlamm gleichend einem Urmeer (Urflut) als dem Potential für eine sich daraus ergebende Entfaltung des Kosmos vorgestellt hat. In Anlehnung an literarisch philosophische Betrachtung wiederum dem Entstehungsprinzip potentia ad actum“ folgend.

Penrose sieht hier übrigens einen nicht aufgelösten Widerspruch, wonach dieser Anfangspunkt einerseits ein Maximum an Entropie bedingt, sprich Unordnung bzw. Chaos bedeutet, wo doch andererseits das Universum nach den Gesetzen der Thermodynamik (2. Hauptsatz) definitiv einem Zustand wiederum maximaler Entropie und damit dem sog. Wärmetod entgegenstrebt.

Unbeschadet der hier angeführten These, bleibt der Begriff des Chaos (Unordnung) zentrale Aussage als Anfangszustand des Universums, gleichermaßen in naturwissenschaftlichen Denkmodellen oder in diversen Schöpfungserzählungen, wie etwa in der Genesis beschrieben: 

Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser…“

Es bedarf keiner besonderen Fantasie, sich diese biblische Beschreibung als das benannte anfängliche Chaos dieses Universums zu denken. Ein Chaos, das durch das Wort, resp. einem überempirischen Logos (durchaus als Theorie, als Konzept, als Idee oder als Ausdruck kosmischer Intelligenz zu sehen) geordnet wird. 

Diesem Geschehen muss Information zugrunde liegen, die von (jeweiligem) Anbeginn und unvergänglich vorhanden sein muss. Nach Penrose könnte diese im Ereignishorizont eines jeweils zuletzt verbliebenem gigantischen Schwarzen Lochs gespeichert sein, aus einem solchen sich jedes Mal wieder ein neues Universum bildet. Dabei ist Licht, als Ansammlung quasi masse- und damit nicht an die Dimension der Zeit gebundener Photonen, der Träger ewig gültiger Information. In biblischer Schöpfungserzählung paraphrasiert: "Und ich sah, und es war wie lichthell, und inwendig war es gestaltet wie ein Feuer um und um. Von seinen Lenden über sich und unter sich, sah ich's wie Feuer glänzen um und um. (Hesekil)

NB: diese Vorstellung steht, wie schon hier öfter gesagt, einem göttlichen Schöpfungsakt, als ultimativ einmalig lineares "Alpha-Omega" der christlichen Lehre entgegen. In Sicht auf fernöstliche Denkmodelle (ewige von Individuen zu durchlebende Kreisläufe gemäß karmischer Gesetze, die schließlich in einem Nirvana ihr Ende finden) könnte man hier eine weitere Diskussionsrunde einleiten.

Ob das hier Geschriebene nun bloße Spekulation, Geschwafel oder schlichtweg ein mögliches von vielen Denkmodellen zur Entstehung von Kosmos und Welt ist, unschwer sollte zu erkennen sein, dass von antiken Zeitaltern bis heute über Anfang und Ende der erkannten Welt und deren kosmischen Gang durch die Äonen gerätselt wird. Dabei sollte man zwischen antiken, mythischen Vorstellungen und heute diesbezüglich verfügbaren Erkenntnissen zu unterscheiden wissen. Wenngleich erstere zwar nicht mehr zeitgemäß sind, geben sie doch im übertragenen Sinn Zeugnis von einer erstaunlichen Denkleistung und der Weitsicht von Menschen dieser Epochen.

Dennoch bleiben in diesem Zusammenhang noch beliebig ungelöste Rätsel. Wie weit man davon entfernt ist, diese zu lösen, bzw. die entscheidende Frage, ob Menschen jemals in der Lage sein werden, deren Chiffren zu entschlüsseln und daraus folgend ein allgemein gültiges Weltbild (im Sinne einer TOE)  zu definieren sein wird, weiß derzeit niemand zu beantworten. Und so gilt es, mit dieser ungeklärten Situation bis auf weiteres zu leben, schlichtweg damit umzugehen. 

Dennoch glauben die einen, bereits im Besitz absoluter Erkenntnis zu sein, z.B. als  biblische Offenbarung oder als fixe naturalistische Thesen,  die anderen sind in Spekulationen, Verschwörungstheorien, fragwürdiger Esoterik, überkommener Mystik etc. verhaftet. Ein beträchtlicher Teil der Menschheit jedoch bewältigt auf erstaunlich pragmatische Weise dieses Erdenleben. 

Am Ende ist es Angelegenheit jedes einzelnen Menschen, je nach individuell intellektuellem, ggf. auch übersinnlichen Vermögen, sich ein hinreichend gültiges Weltbild zu machen. Unbenommen dessen gilt Ingos Aussage von der Gefährlichkeit (obsoleter) Mythen. Der Unterschied zwischen seiner diesbezüglichen und meiner Sicht auf diese Thematik liegt offensichtlich darin, dass ich deren historischen Hergang in mein Denkmodell (im Sinne einer literarisch orientierten Philosophie) aufgenommen habe und die darin metaphorisch angelegten Aussagen schlichtweg eben nur als solche betrachte und werte, sowie versuche, Parallelen zwischen diesbezüglich durchaus bemerkenswerten antiken Lehren und heute verfügbaren, natur- wie geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen zu finden. Das mag man mit Fug und Recht einen literarischen Zugang zur Philosophie nennen.


Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl