Am 07.10.2025 um 01:33 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
So kann ich (im Sinne der Korrespondierenztheorie) RF zustimmen, wenn er schreibt: „Wahrheit ist definiert als die Übereinstimmung von Verstand und Ding, oder altprachlich: Intellectus et rem.“
Moin Karl,
dass Du als Metaphysiker RF zustimmen kannst, wundert mich nicht, aber Deine beispielhaften Ausführungen sind keine Beweise, sondern Ausdruck Deines Lebensgefühls, das offensichtlich tradtiontsgebunden und subjektiv ist. Ich hatte einmal „Von Zeit und Macht“ Christopher Clarks erwähnt. Der interpretiert darin die Memoiren Friedrich II, dem es im Gegensatz zu seinen Vorgängern darum gegangen sein soll, seine Vorgeschichte nicht traditional, sondern rational zu schildern.
Wie rational ist die Definition von Wahrheit als die Übereinstimmung von Verstand und Ding? Ich halte sie für eine Scheindefinition; denn was ist mit Übereinstimmung und Verstand gemeint? Du wirst Carnaps Arbeit „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ kennen. Darin führt er aus, dass die vorgeblichen Sätze der Metaphysik gänzlich sinnlos seien. Und: „Die (Schein-)Sätze der Metaphysik dienen nicht zur Darstellung von Sachverhalten, weder von bestehenden (dann wären es wahre Sätze) noch von nicht bestehenden (dann wären es wenigstens falsche Sätze); sie dienen zum Ausdruck eines Lebensgefühls.“
Und insbesondere mit seiner Aussage:
„Ein Beweis hingegen zeigt die Wahrheit nur auf. Ein Satz kann auch ohne Beweis wahr sein, sofern er mit der Realität oder eben "Wirklichkeit" übereinstimmt.“
Wie soll denn ein Satz mit „Wirklichkeit“ übereinstimmen können, wenn nicht klar ist, was mit „Wirklichkeit“ gemeint sein mag. Kinder werden oft aufgefordert mit: „Sag die Wahrheit!“ Aber ist damit nicht nur gemeint: „Sei ehrlich!“ Oder „Lüg mich nicht an!“ Alltäglich steht oft Aussage gegen Aussage und es sind weitere Kriterien zu finden, die eine Entscheidung ermöglichen. Juristen haben ihre Prozessordnung, Mediziner ihre Wirkungsnachweisen, Physiker ihre Formalismen und Experimente, Mathematiker ihre Strukturen und Logiken. Die sollten auch Philosophen haben.
In der Anerkennung der MINT-Wahrheit haben wir und RF eine gemeinsame Basis. Warum sollten wir das, was ihr über nachvollziehbare oder wissenschaftliche Wahrheit (W-Wahrheit) hinaus ahnt oder fühlt alltagsbezogen nicht als Wahrhaftigkeit und philosophisch nicht als metaphysische Wahrheit bezeichnen (M-Wahrheit)? Die These „Ein Satz kann auch ohne Beweis wahr sein“ verstehe ich also bloß alltagsvage mit „wahr“ als M-Wahrheit oder Wahrhaftigkeit. Nachvollziehbar ist die These nicht. Und was ich grundsätzlich nicht verstehe, ist, wie ohne Nachvollziehbarkeit interkulturell Gemeinsamkeit zwischen vielen Menschen herstellbar sein soll, die nicht manipulativ bloß auf einem diffusen Gemeinschaftsgefühl basiert.
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