Am 23.11.2024 um 03:03 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Mein Fachgebiet der Nachrichten-/Informationstechnik war in Studium und Beruf nichts anderes als pure Mathematik, insbes. natürlich der Bereich komplexer Zahlen, Fourieranalyse aber auch der digitalen Logik. 

Moin Karl, 

Du hast nicht „pure Mathematik“ betrieben wie die Mathematiker (Definition, Satz, Beweis), sondern die Mathematik nur angewendet, sie als Werkzeug gebraucht, wie Du es weiter beschreibst. Das ist typisch für den Ingenieur wie für den Experimentalphysiker. Den Übergangsbereich stellt die Theoretische Physik dar und in der mathematischen Physik geht es dann nur noch um Mathematik (Definition, Satz, Beweis).   

Doch nochmal zurück zu Kastners Wahrheitsbegriff: Sie hatte den Vergleich mit einem Eisberg, dessen sichtbarer Teil die Lebensrealität und der nicht sichtbare Teil den eben nicht erkennbaren (quasi metaphysischen) Bereich darstellt. 

Bei Kastner unterliegen den alltagsweltlichen Interaktionen die Handshakes der aus der Quantentheorie entwickelten PTI, auf der sie ihren Realismus gründet. Da sie sich wie in der Physik auf Mathematik und Technik bezieht und keine bloße Begriffsgymnastik betreibt, ist das noch keine Metaphysik. Eine Metaphysik entwickelt aber Barad mit ihrem AR, indem sie aus den auf die quantenmechanischen Verschränkungen bezogenen „Intraaktionen“ weitreichende Folgerungen zieht. Die noch beiden Ansätzen unterliegende Ur-Theorie von Weizsäckers könnte als mathematische Metaphysik verstanden werden. In der Mathematik sehe ich eine Überschneidung zwischen uns, nicht aber in der Begriffsgymnastik.        
 
Erst die Zusammenschau beider Bereiche (sub- und überempirisch) würde die ganze Wahrheit abbilden.  Das zwingt natürlich zu gewisser Demut, eben den Umstand betrachtend, dass die Natur-Wissenschaft zwar die Tür zur nicht-physischen Realität geöffnet hat, diesen Bereich jedoch mit den diesbezüglich herkömmlichen Methoden nicht in seiner Tiefe ergründen kann. 

„Zusammenschau“ und „ganze Wahrheit“ sind bloße Metaphern, die zu Begriffsgymnastik verleiten. 

Nach wie vor ist somit eine klare Abgrenzung zwischen den Bereichen der Physik (den messbaren, begreifbaren Phänomenen) und der diese Physik übersteigenden Phänomene als eben der Metaphysik gegeben. In diesem Zusammenhang steht auch die Suche nach einer großen vereinheitlichten Theorie (Grand Unified Theory).

Die GUT zählt zur mathematischen Metaphysik und ist insofern genauestens nachvollziehbar, wenngleich nicht empirisch fundiert. 

Wenn bei der Suche Wissen entsteht, führt dies notwendigerweise auch zum Finden und damit zum Begreifen? Ist damit das menschliche Bedürfnis nach Konvergenz, die unermüdliche Suche (längst nicht aller Menschen) nach einem Telos zu erklären? 

Ich folge im Alltag wie in der Technik der Zweckrationalität. Aus den Ziel- oder Zwecksetzungen im menschlichen Handeln kann ein „Telos“ abstrahiert werden, der aber auf Handlungen bezogen bleibt. Darüber hinaus bleibt es Metaphorik. 

Damit schliesst sich wieder der Kreis zu Wissen und Begreifen und man möchte fragen, ob trotz des mittlerweile enorm angewachsenen Wissensfundus, die stets gesuchte Wahrheit in ihrer Ganzheit ergründet werden kann, oder diese dem Menschen grundsätzlich verborgen bleibt (Du Bois-Reymond).

Wissen und Begreifen beziehen sich für mich aufeinander wie Theorie und Praxis oder Mund- und Handwerk. Du scheinst mir „Begreifen“ wiederum metaphorisch zu gebrauchen. 
 
Unbenommen dessen, ob ein Mensch nun sucht oder nicht, doch gesetzt der Fall, bedarf dieses Suchen der Zeit(sic!) und sogleich stellt sich die Frage, ob ein Menschenleben ausreicht, um das jeweils Gesuchte (z.B. Lebenssinn) für sich zu finden. Ist der Sinn von Leben schlichtweg selbiges?

Im Alltag folgen Menschen Regeln, Maximen und Prinzipien, wobei aus den Prinzipien die Maximen und aus denen die Regeln gefolgert werden können. Sinn kann damit einfach als Zusammenhang der Prinzipien verstanden werden, ist also konstruierbar und muss nicht metaphorisch gesucht werden. Und so lässt sich aus den Lebensprinzipien Sinn stiften, der sogar für alle Menschen nachvollziehbar wäre. 
  
Suchen ist Arbeit und kostet Zeit, somit Lebensleistung als Arbeit pro Zeit.  Für erfolgreiche, gute  Arbeit braucht es gute Werkzeuge, je besser diese sind, desto kürzer die dafür benötigte Zeit. Mathematik ist so ein Werkzeug und obendrein exzellent, aber dennoch nur Werkzeug und nicht das Maß aller Dinge. Darauf wollte ich hinweisen und Dich definitiv nicht missverstehen.

So sieht das der Ingenieur, für den Lebensleistung mit physikalischer Leistung zusammenfällt und das Leben lediglich aus Arbeit zu bestehen scheint, so dass er überall nur Werkzeuge herumliegen sieht. Neben der Arbeit gibt es zum Glück noch Freizeit, Schlaf und Traum. Mathematik ist ebenso wie die Umgangssprache menschliche Lebensäußerung schlechthin und nicht bloß Werkzeug für irgendwas. Wolltest Du nicht dem „Homo Faber" entgehen? 

IT