Am 24.01.24 um 21:58 schrieb Rat Frag über PhilWeb:
Hallo,

eine Bemerkung von IT, die ich beiläufig lass, brachte mich zum Nachdenken:
Am So., 14. Jan. 2024 um 16:00 Uhr schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:
> Die Vergangenheit ist uns nicht einfach so gegeben wie die Gegenwart, sie wird alltäglich implizit erinnert oder wissenschaftlich durch
> Belege explizit rekonstruiert. Dass auch unser Hirn rekonstruktiv erinnert, wird nicht bloß vorausgesetzt, sondern
> neurophysiologisch und entwicklungspsychologisch untersucht.

In der Philosophie kennt man den sogenannten genetischen Fehlschluss. Dieser besteht darin, dass man von den konkreten, "geschichtlichen" Urheber einer Aussage auf deren Richtigkeit oder Falschheit schlussfolgert.
Ein einfaches Beispiel wäre, "XY sagt, dass 1+2=3. Das muss falsch sein, denn XY ist dumm und bösartig".

Argumentieren die Konstruktivisten nicht ebenfalls mit so einer Art genetischen Fehlschluss?
Sie versuche uns von der Richtigkeit der Behauptung zu überzeugen, dass unsere Erkenntnisse im Wesentlichen "Konstruktionen" seien, sei es des Gehirns oder einer sozialen Gemeinschaft, indem sie darauf abheben, dass die Entstehung dieser Erkenntnisse im sozialen Rahmen stattfand oder sozial vermittelt ist oder dass unser Gehirn am Denken beteiligt ist.

Impliziert dies jedoch in einer bedeutungsvollen Art und Weise, dass diese Erkenntnisse Konstrukte sind?
Im Falle der Mathematik kann man den Einwand bringen, dass Computer unsere Rechnungen nachprüfen, Theorembeweiser unsere Schlussfolgerungen prüfen können. Nun sind Computer mit Sicherheit Produkte des Menschen, doch haben hier zwei verschiedene Instanzen unabhängig voneinander eine Erkenntnis "konstruiert".

Es kommt auf den Begriff der Konstruktion selbst an.

Was denkt ihr darüber?

Zur Einordnung der Sätze des IT: Sie sind mit der Denkweise A zu verstehen, nach der die Vergangenheit sich in der Person erinnert. Hierbei nimmt sie die Sätze in die Gegenwart. Diese Denkweise ist analog zum Erleben selbst. Es ist so, als würde das Erlebte wieder zurückgeholt, und etwa willentlich gestärkt. Das kann zwar mit dem Wort Rekonstruktion versehen werden, wenn ja, wäre es eine schwache oder gar keine. Denn der Ablauf würde ja schon vorliegen, er würde nur wieder "vergegenwärtigt". Das "durch Belege" kann dazu kommen, ist also nicht relevant, bzw. auch die Belege müssen hervorgeholt werden, von Papierstücken oder aus der internen Vergangenheit.

Mit der Denkweise B jedoch ist die Person zu jedem Zeitpunkt nicht mit ihrem vergangenen Erlebten in Verbindung, sondern nur mit dem, was alles vergangene Erlebte in ihr geändert hat. Bei dieser Denkweise können bei einer Person aus ihrer geänderten "Unterlage" die Sätze entstehen, die sie auch während des Erlebens hätte sagen können. Anders gesagt: Die Unterlage würde die Sätze bewirken oder das vom Betrachter gedachte Erleben beschreiben, und für den Betrachter wäre absolut kein Zusammenhang zwischen der Person und ihrer Vergangenheit. Der Betrachter würde bei sich selbst jedoch die Fähigkeit als vorhanden denken, Zeiträume in die Vergangenheit hinein zu denken. Der Person würde er diese jedoch absprechen.

Die Bezeichnung "Konstruktivist" ist eine beliebige. In meiner vorherigen Mail habe ich gezeigt, dass alles oder nichts mit diesem Wort versehen werden kann, und die Bezeichnung somit unnütz ist. Waldemar hat mit seinem Nutzen des Wortes gezeigt, dass auch er Probleme mit ihm hat, so dass er es mit einem für ihn fortschrittlicheren ersetzte. Ein Wort mag zwar kursieren, aber spielt das eine Rolle?

Die Sätze des RF könnten mit Erläuterung vielleicht leichter verstanden werden.

> Argumentieren die Konstruktivisten

Wo sind sie? Gib einen Beispielsatz an, mit dem sie so argumentieren.

> diese Erkenntnisse

Es gibt viele Arten Sätze, solche praktischer Natur, z.B. "ich gehe jetzt" oder "Meinungen", bei denen die Person sozusagen nach Denkweise B ihren "Homunkulus" (ihr "Ich") befragt, und dessen Sätze sagt, wenn sie sagt: "meiner Meinung nach, meiner Überzeugung nach, meiner Glaubung nach". Mit der Denkweise A jedoch sagt die Person die Sätze, die sie bei sich aus der Vergangenheit heraus kramt, die sie erlebte oder lernte. Mit beiden Denkweisen ist es für den Betrachter offensichtlich, dass es falsche wie auch wahre Sätze sein können, denn die "Wahrheit" sieht dieser nur bei sich. Er denkt die Personen so wie Plato seine Höhlenmenschen.

JH