Das hier

"Das soll aber nicht heißen, daß ich mir immer erst einen Baum vorstellen muss, um den Satz "da und da steht ein Baum" verstehen und überprüfen zu können.
Wenn das nämlich prinzipiell nötig wäre, müsste ich dann nicht die erste
Vorstellung durch eine weitere Vorstellung quasi beglaubigen und so
weiter ins Unendliche, so wie ich den Satz durch eine Vorstellung
beglaubigt habe?"

ist ziemlich unklar und wird durch folgendes hoffentlich etwas klarer:

Dagegen könnte man natürlich sagen, daß Bilder sehr viel weniger erklärungsbedürftig sind als nicht bildhafte Zeichengebilde. Äußere oder innere Bilder können aber zu verschiedenen Zwecken dienen. Ich kann mir z.B. das Muster, das mir zur Erklärung des Worts "rot" gezeigt worden ist, in Erinnerung rufen - und werde das wahrscheinlich auch tun, wenn ich das Wort neu gelernt habe und die Anwendung noch nicht automatisiert ist  - um Gegenstände von dieser Farbe auszusuchen oder um sie auszusortieren. Wenn ich mir nicht nur zum Wort, sondern zum ganzen Satz etwas vorstellen würde, also nicht ein statisches Bild, sondern wie jemand rote Objekte aussucht oder aussortiert, könnte diese Vorstellung auch so oder anders aufgefasst werden und wäre keine unmissverständliche Handlungsanweisung, von der eindeutig abzulesen ist, was daraus folgt - soll ich mich so verhalten oder so gerade nicht, auf welche Details der vorgestellten Szene kommt es an, auf welche nicht etc.
Der Unterschied zwischen Zeichen mit vereinbarter Bedeutung und Gebilden daraus einerseits und Bildern andererseits ist, daß wir erstere nicht ohne Erklärung verstehen, letztere grundsätzlich schon. Deshalb können wir erstere durch letztere erklären, wobei es aber im Einzelfall zu Missverständnissen kommen kann, die dann ausgeräumt werden müssen, was unter Lebewesen, die einigermaßen ähnlich gestrickt sind oder an "ähnlichen Ideen teilhaben" und sich nicht absichtlich missverstehen wollen, in der Regel funktioniert.
Daß wir beschreibende oder behauptende Sätze ähnlich wie Bilder verwenden, sieht man aber m.E. daran, daß sie, besonders in der Phase des Spracherwerbs oder wenn wir besonders Anteil nehmen wollen, oft von bildhaften Hilfsvorstellungen begleitet werden, auch wenn diese nicht jedes theoretisch denkbare Missverständnis ausschließen. Man kann dagegen m.E. nicht einwenden: das Bild schützt uns ja nicht vor jedem denkbaren Missverständnis, also wozu soll es dann gut sein und wozu Aussagesätze als eine Art Ersatz für Bilder auffassen?
Mit dieser Auffassung oder diesem Vergleich sind keine Implikationen verbunden wie "wir müssen nur aufpassen, daß wir uns nicht in den Strukturen unserer Sprache verheddern,  daß sie ein reiner und klarer Spiegel bleibt, dann bildet sich in ihr die Welt ab, wie sie 'an sich' ist" oder umgekehrt ein prinzipieller kartesianischer Zweifel  ("wir haben bloß Bilder"). Solche Theorien stellen sich immer als widersprüchlich heraus, was durch "philosophische Tätigkeit" zu zeigen ist.
Wir haben ausgefeiltere Verständigungsinstrumente als andere Tiere, in denen wir uns tatsächlich oft verheddern. Sie funktionieren oft wie Informationsspeicher, Zeichnungen oder Bilder.

Ich hoffe, daß das zumindest ein bisschen mit dem zu tun hat, worauf du hinaus wolltest. Teilweise scheinen wir doch etwas aneinander vorbei zu reden. So z.B. wenn du sagst "Da scheint mir die Idee, dass 'ist wahr' nur eine Art ist, über Sätze zu reden, doch bestechend." - damit rennst du ja offene Türen ein. Aber vielleicht war es ja auch zustimmend gemeint. 

Grüsse, Claus 

-------- Ursprüngliche Nachricht --------
Von: Rat Frag <rat96frag@gmail.com>
Datum: 29.01.17 13:36 (GMT+01:00)
An: Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus@t-online.de>
Cc: Philosophisches Diskussionsforum <philweb@philo.at>, philweb <philweb@lists.philo.at>
Betreff: Re: [Philweb] Reden wir über Tatsachen

Am 20. Januar 2017 um 21:10 schrieb Claus Z.:
> Du erklärst "behaupten" durch "behaupten", ich nach Wittgenstein eher durch
> die Beschreibung einer Praxis, die uns als Kinder beigebracht wird.

Guter Konter. Du hast recht. Ich hätte mir hier etwas mehr mühe geben müssen.

> "Es regnet" ist wohl kaum ein irgendwie philosophischer Satz. "Es scheint
> nicht nur zu regnen, sondern das ist tatsächlich ganz unabhängig von unserer
> Wahrnehmung der Fall" wäre die philosophische Version. Und das ist ganz und
> gar nicht das gleiche, denn der erste Satz impliziert nichts von blossen
> Vorstellungen oder notwendigen Ursachen derselben oder sowas.

Dem möchte ich widersprechen. Der zweite Satz ist nicht "sicherer",
weil er mehr Absicherungen enthält.

Im Gegenteil: Sagt eine Person "ich habe ein rotes Auto über die
Kreuzung fahren sehen" wirkt die Aussage sicherer und selbstbewusster
als wenn die selbe Person sagt, "ich glaube, dass ich etwas gesehen
habe, das mir in meiner Erinnerung  wie ein Auto vorkommt und von
dieser Seite aus gesehen erschien es rot".

In zweiterer Aussage zieht sich diese Person (vielleicht ein
Unfallzeuge?) auf seine Subjektivität zurück, beton glaube, erinnerung
und den optischen Schein. In der ersten Aussage dagegen legt sich die
Person fest "so isses".

Unter normalen Umständen würde man nämlich sagen, "oh die erste Person
ist sich ja sicher, während die zweite Person sich seiner eigenen
Wahrnehmung nicht sicher zu sein scheint".

Wenn man es weiter analysieren will, muss man das natürlich noch
genauer Auflösen: Die erste Person behauptet, dass sie etwas gesehen
hat und zugleich die Interpetation, dass es sich um ein Auto handelte.
Die zweite Person zieht die Interpretation bewusst zurück.

>> Aber wann ist ein Satz denn wahr? Wenn er eine Tatsache ausdrückt, das
>> heißt, wenn er eine "vorliegende Proposition" ausdrückt? Wenn eine
>> Theorie aufgestellt wird, die auf diese Aussage hinausläuft, dann
>> haben wir es mit der philosophischen Theorie der "Tatsachen" zu tun.
>>
> Unter einer Hypothese verstehe ich eine Behauptung, von der wir (eine Art
> Sprachabbild, von dem wir) nicht wissen, ob es zutrifft oder nicht, aber
> wissen, wie es festzustellen wäre. Man könnte das gesagte als eine Hypothese
> über unseren Sprachgebrauch auffassen, wenn man so täte, als wäre uns dieser
> so unbekannt wie die Sitten eines fremden Volks. Es drückt einfach aus, daß
> wir Behauptungen wie Lautzeichenäquivalente für Bilder verwenden.

Doch was sind das für Bilder?
Der Satz stellt bei Wittgenstein ein Bild der Realität dar. Das Bild
kann ganz einfach zutreffend sein oder nicht. Diese Idee finde ich in
PU wie im TLP.

Das Problem dabei ist, ob diese Redeweise von Bildern selbst unklar ist.

> Ich möchte an dieser Erklärung aber nicht dogmatisch festhalten, bin
> flexibel und stelle die Frage in den Raum: wenn eine Behauptung wie "es
> regnet" oder "S. hat seinen Hut verloren" nicht das ist (eine Art Bild) -
> was ist es dann?

Wenn wir sagen "'S. hat seinen Hut verloren' ist wahr" bedeutet, dass
die Aussage "S. hat seinen Hut verloren" ein zutreffendes Bild von
etwas ist, dann stehen wir doch vor folgenden Problem:
Die Aussage »"'S. hat seinen Hut verloren' ist wahr" ist wahr« müssten
wir dann als eine Art Aussage über Bilder von Bildern auffassen, oder?

Da scheint mir die Idee, dass "ist wahr" nur eine Art ist, über Sätze
zu reden, doch bestechend.

(Jetzt darf man natürlich sagen, dass wir in der Alltagssprache sowas
wie "Aussage X ist wahr" ist wahr niemals gebrauchen würden. Daher ist
der Einwand im Grunde irrelevant.)

> "Die Bedeutung eines Satzes zu kennen, heißt zu wissen, unter welchen
> Bedingungen er wahr ist." ist von Wittgenstein, oder? Es entspricht dem, was
> ich gesagt hatte und daher werde ich es wohl auch haben.

Jain.

Er stammt jedenfalls aus dem Umfeld des Wiener Kreises und diese
wiederum haben ja Wittgenstein "verschlungen".

> Den Erklärungsgehalt wollte ich eher dem ptolemäischen und kopernikanischen
> Modell absprechen. Das kopernikanische ist insofern einfacher (um auf Deine
> gleich folgende Frage zu antworten) als es mit Kreisen auskommt. Ptolemäus
> braucht kompliziertere Figuren, mit denen sich, wenn ich mich nicht irre,
> die Planetenbewegungen aber ebenso zuverlässig vorhersagen lassen.

Ich schieb es mal ein: Ich glaube, ich habe mal bei Kuhn gelesen, dass
das Kopernische Modell mit den Kreisen sogar komplexer war als
Ptolemäus. Jedenfalls war es einige mathematische Detailarbeit, um die
Unterschiede hinsichtlich einfachheit zu bewerten.

Kepler hat sich ja grade durchgesetzt, weil er auf Kreise verzichtete.

[...]
>> Du sprichst einen sehr wenigen Punkt an. Und der Punk ist, um
>> Illusionen von korrekten Beschreibungen abzugrenzen, braucht man
>> bereits eine gewisse Theorie. Eine Theorie der Wahrnehmung oder
>> Erkenntnis.
>> Eine Illusion im Sinne einer optischen Täuschung ist ja erst mal was
>> objektives. Wenn wir beide etwa einem Penrose-dreieck gegenübersehen,
>> dann sehen wir beide das selbe. Erst wenn wir den Blickwinkel ändern,
>> sieht es Objekt anders aus.
[...]
> Die Verallgemeinerung des Satzes "ich kann mich über meine Eindrücke nicht
> irren wäre "das und das ist nicht möglich".
> Das verstehe ich nur, wenn ich
> weiß, was genau nicht möglich sein soll. Ich würde also um eine Beschreibung
> meinetwegen frei erfundener Umstände bitten, unter denen Du sagen würdest,
> daß Du Dich über Deine Eindrücke geirrt hast. Nur dann weiß ich, was durch
> den Satz ausgeschlossen werden soll.

Wenn du wünscht, versuche ich etwas anzugeben:
Nehmen wir einmal an du hättest auf einmal einen heftigen Eindruck von
Röte im gesamten Gesichtsfeld. Unter normalen Umständen würdest du
davon ausgehen, dass etwas am Licht verändert wurde und zwar so
schnell, dass deine Augen sich nicht einstellen könnten (unter rotem
Licht wirkt alles rot).
In Wahrheit hat dir aber vielleicht ein sehr guter Hypnotiseur oder
ein Neurologe mittels seiner Technik so eine Eindruck suggeriert.

Dein Eindruck bezog sich demnach nicht auf etwas, das draußen in der
Welt war, sondern auf etwas, dass sich in deinem Kopf, sozusagen in
deinen Wahrnehmungsapparat selbst zugetragen hat.