Lieber Karl,

ohne direkten Zusammenhang hier eine Überlegung zum Thema Geistigkeit und Wahrnehmung: wie auch bei manchen anderen Spezies ist bei uns Menschen der Sehsinn die dominierende Form der Informationsaufnahme. Dazu können wir Erlebtes und Gedachtes in die fixe Form der Sprache gießen. Beim Sehen wird der Hintergrund als konstant gesetzt, um „vor ihm“ ablaufende Bewegungen zu evaluieren. Analog wird ein fixiertes Objekt als Unbewegt gesehen, um Charakterzüge zu ergründen. In beiden Fällen, ebenso wie beim Gießen in die feste Form von Zeichen und Wörtern wird die primordiale Zeitlichkeit und das grundsätzliche Zeiten von Allem in Klammern gesetzt. 

Infolge der Dominanz des Sehsinns mit seinen Fest-Stellungsmanövern und der Arbeitsweise des Sprechens mit ihrer Fixierung in beibehaltenen Formierungen (Lauten, Zeichen, Zeichenketten) entsteht die Täuschung, das von uns Festgestellte und zu Feststehendem Gemachte sei das Primäre, die Wirklichkeit, und die Zeit käme ihm lediglich als gleichwertiges weiteres Agens „von Außen“ hinzu. Das Wahre sind dann statisch gedachte Objekte, und oft werden noch dazu diese Gegenstände der Betrachtung mit ihren in sich selbst fixierten Bezeichnungen, also den sie bezeichnenden Zeichen gleichgesetzt, wie „das Atom“, „das Photon“ etc.

Das jedoch ist eine Täuschung, gefördert durch die Doppeldominanz des Sehens und Bezeichnens.

Hören dagegen bezieht sich auf Geräusche und Klänge, die grundsätzlich und von vornherein immer als Prozesse gegeben sind. Das Zeiten ist dem Klingen immanent. Poesie transzendiert die Wort-Fixierungen zu Gunsten von einem Fließen mitsamt wieder Wachrufen und Vorwegnehmen / Erwarten. Für augenblickliches Fühlen gilt dasselbe, und Leiblichkeit wird zu Recht als von vornherein zeitend aufgefasst.

Um der Täuschung zu entgehen, muss man die Augen schließen und Worte vermeiden. 

Die quellgebundene „Geometrie“ des Zeitens ist eine andere als die orthogonale des abstrakten Raumes, und das Zeiten ist umgreifend, Raum-schaffend, und ein anderes als durch Hinzufügen einer Zeit-Linie vorgetäuscht.

Diese Wirklichkeit ist die Primäre, und man kann diesen Aspekt sehr wohl als Seele und Geist der Dinge von dem unempirisch, nämlich nur gedanklich Verdinglichten, Fixierten absetzen. 

Der Klang, das Licht, der Fluss, der Tanz ist das Wirkliche, die Bewegung, der Tanz der Sterne, um Nietzsches Paradox zu bemühen. 

In der asiatischen Denkart (in der es keine abgesonderte „Philosophie“ gibt) ist dies eine geläufige Einsicht. Hierzu hat der Japanologe Rein Raud veröffentlicht, von dem auch das hervorragende Buch „Being in Flux“ stammt. In diesem bezieht er sich auf Grund seines anderen Hintergrundes nicht auf Heideggers Sein und Zeit, obwohl er das „In-der-Welt-Sein“ als primordiale zeitende Kontextualität anspricht, weil er bereichernd auf den Hintergrund der asiatischen Theoreme zurückgreifen kann. 

Dieses Wissen wird in verschiedenen Formen der Gläubigkeit gelebt, wobei die Wahrnehmung als wirkende Dreifaltigkeit mit in Vater und Sohn gegebener Konsekution und im Geist gegebener übergreifender Zeitlichkeit in meinen Augen das uns höchstmögliche Abstraktionsniveau (im Sinn von Allgemeingültigkeit) erreicht.

Liebe Grüße,

Thomas

PS: Helmuth Plessner hat über die Problemtik der Dominanz des Sehsinns geschrieben


Am 23.11.2023 um 01:18 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:



Am 17.11.2023 um 04:23 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Über diesen kam ich dann zum "Esel des Buridan", dann zu seinem Autor, der sich übrigens mit der hier so interessierenden Kohärenz beschäftigte, vor fast tausend Jahren, zudem kritisierte die Philosophie gegenüber etwas anderem, mir ist es noch nicht ganz klar geworden, was. Und dann war er gegen den Emanationismus https://de.wikipedia.org/wiki/Emanation_(Philosophie), von dem RF hier sprach, diesen der Schöpfungstheorie gegenüber stellte, was aber hier nicht besonders gewürdigt wurde. Nun scheint die Fremdbezeichnung "Emanationist" auf Karl zu passen, weil sie im Wikipedia-Artikel auch auf die Schöpfungstheorie passt. Dort habe ich dann gelesen, dass Karl sogar für sein Bekenntnis der Häresie überführt werden könnte, pass also auf, Karl!


Karl ist müde geworden“ hast Du, Joseph, kürzlich hier geschrieben. Allenfalls müde im „Abnützungskampf“ mit Ingo T. könnte man scherzeshalber annehmen, doch ich war lediglich physisch etwas „disabled“, grippale oder dergleichen Infekte.

Irgendwie vom „Buridanschen Esel“ auf verschlungenen Denkpfaden auf mich gekommen, erscheint Dir die Fremdbezeichnung "Emanationist" auf mich gemünzt zu sein und ich zudem als bekennender Katholik, mich angesichts eines vermuteten Zwiespalts zwischen christlicher Schöpfungslehre und naturwissenschaftlichen Theorien zur Weltentstehung, der Häresie schuldig machen könnte :-) 

Nun, es gibt, wie ich nachfolgend - wieder einmal - zeigen möchte, bei mir keinen Zwiespalt, kein Unentschieden sein zwischen metaphorisch biblischer Schöpfungserzählung und dementsprechender naturwissenschaftlicher Sicht, denn es gilt diese sinnvoll ihrem jeweiligen Bereich zuzuordnen.

Wäre ich also „Emanationist“, würde dies meiner Vorstellung eines primordialen kosmischen Prinzips entgegen stehen, wonach selbst ein (wie auch immer zu denkendes, resp. zu erklärendes) unendlich zyklisch aufeinanderfolgendes Universum einen Anfang (einer Ur-Idee, resp. aus einem Ur-Sprung folgend) gehabt haben muss; Dieses unbenommen der verschiedenen Theorien, seien es „Big Bang“ oder „Big Bounce“ (als ebenso mit einem Big Bang erfolgenden Beginn einer Expansionsperiode). 


Bemerkenswert an der Idee des „Big Bounce“ aus Sicht der Quantenmechanik ist, dass sich die Art des Quantenschaums verändert, wenn dieser sich verdichtend dem Unendlichen nähert und dabei die bekannt grundlegenden Konstanten der Physik (einschließlich der Lichtgeschwindigkeit) quasi außer Kraft gesetzt und somit tatsächlich wirkungslos sind. Zumindest müsste das für ein den „Wendepunkt“ überspannendes, unvorstellbar kleines Zeitintervall von 10(hoch-43)sec gelten. 

Im Ursprung existiert also keine Masse, daher keine Zeit, daher keine Körperlichkeit, kein Leib, aus dem Neues oder gar Geist entstehen könnte, somit etwas „emanieren“ könnte. Soviel zur abstrusen Vorstellung, Geist würde aus Masse entstehen, also daraus (dem lateinischen „emanare“ entsprechend) emanieren. Dieser Ursprungs-Theorie folgend, bin ich mitnichten ein „Emanationist“, kann es gar nicht sein!

Meiner Meinung nach, werden oftmals in diesem Zusammenhang stehende Begrifflichkeiten kognitiv unzulänglich erfasst, was notwendigerweise in Kombination mit subjektiv angelegten Denkmustern zu objektiv unzutreffenden Inferenzen führt. Wer aber könnte für sich sagen, dass er stets vor solchermaßen entstehenden Fehlschlüssen gefeit ist?

Denn was ist tatsächlich Wahrheit, was ist Realität, was ist Wirklichkeit?

Darüber haben wir hier beliebig oft diskutiert und es sollte unbestritten gelten, dass mit heute verfügbarem Wissensstand viele hinreichend validierte Theorien und Denkmodelle vorliegen, insbes. bezogen auf die Realität, also das Sicht-, Anfass- und Messbare, dieser Lebenswelt.

Keinesfalls jedoch ist hinlänglich oder gar abschließend geklärt, was Wirklichkeit im Bezug auf die Gesamtheitlichkeit alles Existierenden und ein darüber hinausreichendes Transzendentes, ein numinoses Agens, das nicht mit menschlicher Sinneswahrnehmung, sondern allenfalls nur intelligibel zu erfassen ist. Somit auch nicht geklärt ist die übernatürliche Wesenheit, als das Ding an sich“, wie es sich im „Schleier der Natur“ verbirgt. 

Nimmt man diese numinose Wesenheit als einen von Menschen erdachten, persönlichen Gott an, öffnet man damit einmal mehr die Büchse der Pandora, ganz im Sinne der Theodizee. Also gilt für mich auch nicht die Zuschreibung eines „Bekennenden“, im üblichen Begriff eines gläubigen Christen.

Glauben heißt nicht wissen. Da es kein Bild, geschweige denn ein Wissen von Gott geben kann, bliebe nur der Glaube an einen solchen, allenfalls gestützt durch biblisch verbriefte Offenbarungen. 

Damit komme ich der Sache näher, indem ich mit JHWH zwar keine konkrete Schöpfungsaussage verbinde, sondern darin das für mich entscheidende „ICH bin da“ erkenne, insbes. das darüber hinausreichende Kausativ des „ER, der das SEIN erschafft und stetiges Werden veranlasst. Ein veranlassendes Agens, nicht mehr – nicht weniger!

Wie hier bekannt, halte ich es mit Feldern, mit Information als „Building Blocks jeglich kosmischer Existenz. Damit verbindet sich die Vorstellung eines gewissen Universalismus als ein Ur-Prinzip und somit als verursachendes Ordnungsmuster für die Formbildung der sichtbaren Lebenswelt im Sinne des „anima forma corporis“, was nun einem Sprung zurück in die Metaphysik gleich zu kommen scheint. Daher - daran anknüpfend - mein schon mehrfach hier beschriebener Versuch, eine Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaft und damit der Metaphysik zu schlagen:

Geist, Theorie (wie Ingo T. ihn benennt) als unbestreitbar immaterielles, verursachendes Agens, kann m.E, durch nichts anderes als durch materielose Teilchen (Photonen) getragen sein. Somit sind Information tragende Felder grundsätzliche Voraussetzung (eben „building Blocks“) für alles kosmische Leben. Dieses insoweit, als nun diese Felder interagieren, damit zu Kohärenzen (Potentia) führen und sich entsprechend ihres materiellen Umfeldes per Dekohärenz verkörpern (anima forma corporis). 

Leben als ständig prozessuales Ereignis ist ein permanentes „in gegenseitige Resonanz treten“ - „Thats it!“

Da ist kein (Resonanz-)Raum für stupide einseitige Emanation und allein schon aus dieser meiner Erkenntnis heraus, kann ich - wie gesagt - kein Emanationist" sein. 

Auch mache ich mich als Katholik keiner Häresie schuldig, was mir - gesetzt der Fall - ohnehin  kein von hoher Kanzel drohender Pfaffe mehr zu sanktionieren vermag. Gott (sic!) sei Dank. Nebenbei: Priester oder Pastoren (m/w)d), die es ernst mit ihrer Berufung meinen, die dieser entsprechend Seelsorge betreiben, die in Art einer modernen Theologie denken und handeln, sind keinesfalls Pfaffen im hergebrachten Sinn.

Weit abseits vorgeblich gültiger religiöser Dogmen halte ich es mit dem Aquinaten: quidam vero catholicam fidem profitentes platonicorum doctrinis imbuti",  dieses jedoch im Platon'schen Sinne einer angenommenen Existenz von unveränderlichen Ideen, also Theorien, die sich - abstrakt als raumzeitlich nicht gebundener, unabhängiger Geist (den man durchaus als Gott annehmen kann) wesend - in stetig schöpferisches Werk setzen.

God is a feeling“, diese (hier schon zitierte) von einem zeitgenössischen, amerikanischen Philosophen gemachte Aussage kommt in moderner Sprache zum Punkt: Die einen fühlen ihn, die anderen nicht. Für letztere kann es ihn definitiv nicht geben, da ihnen der Zugang auf dem Wege der Kohärenzbildung verbaut ist. Sie vermögen es schlichtweg nicht, in Einklang mit diesem „göttlichen“ Feld zu kommen, bzw. sie versuchen es gar nicht erst. Und so gilt wie immer: „So What?“ - jedem das Seine, eben sein Eigensein.

Mit bestem Gruß an Dich und in die Runde! - Karl


_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb@lists.philo.at
Zur Abmeldung von dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave@lists.philo.at