Schlechte Autoren machen es vielleicht ähnlich wie Algorithmen, Ingo. Gute gehen von ihrer Erfahrung aus, lassen das nur Persönliche weg und der Leser fühlt sich angesprochen.
Algorithmen können ja auch herausfinden, unter welchen Bedingungen Menschen lachen. Durch umfangreiche Feldforschung herausgefunden zu haben, wann Menschen lachen bedeutet aber nicht, Humor zu haben und was dieses Lachen bedeutet, erschliesst sich einem dadurch auch nicht. Babys wissen das von sich aus, auch wenn sie einen speziellen Humor zu haben scheinen.
Es stimmt, dass Autoren von anderen lernen und nicht bei null anfangen. Aber nicht so wie eine Maschine oder ein Algorithmus, die/der nur Strickmuster analysiert und nachahmt, ohne eine Ahnung zu haben, worum es überhaupt geht. Schon das Wort "Ahnung" passt bei einem durch wenn-dann-Vorgaben gesteuerten Prozess nicht. Wir sagen, dass der Himmel blau ist, wenn er so und so aussieht, die Farbe eines Musters hat, können aber keine Bedingung dafür angeben, wie wir die Farbe des Musters beurteilen. Das sieht man oder man sieht es nicht. Eine Maschine würde dagegen Wellenlängen messen und die Farbe im wenn-dann-Verfahren beurteilen, ohne von ihr die leiseste "Ahnung" zu haben.
Und einen guten Autor erkennt man doch sofort und zwar nicht aufgrund irgendwelcher Eigenwilligkeiten, die er sich als "unique selling points" zugelegt hat, sondern so, wie man eine Stimme erkennt.

Claus

Am 7. August 2022 18:26:25 MESZ schrieb "Ingo Tessmann über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:


Am 07.08.2022 um 16:57 schrieb Claus Zimmermann <mail@clauszimmermann.de>:


Wenn es in der Mathematik nur um das "wie viel" geht, aber nicht um das "was", wie soll sie dann eine Geschichte erzählen können? Das soll sie ja nicht und insofern erfahre ich durch sie nichts über ein Leben oder mehrere wie durch eine Geschichte. Der Blick ins Unendliche ist schon sehr ambitioniert.


Moin Claus,

Deine Unterscheidungen werden der Mathematik natürlich nicht gerecht und deshalb hast Du sie wohl nur angeführt. Wie mit mathematisch formulierbaren, randomisierten Filter-Algorithmen aus vielen vorhandenen Texten, die als Geschichten gelten, weitere Geschichten generiert werden können, ist doch schon lange bekannt. Jetzt wirst Du wahrscheinlich einwenden wollen, dass algorithmische Geschichten eben keine menschlichen Geschichten seien. Aber machen es Menschen wirklich viel anders? Kein Mensch schreibt allein aus sich heraus Geschichten, sondern erst dann, wenn er schon viele gehört, vorgelesen bekommen oder gelesen hat. Daraus variiert er dann seinen Erfahrungen oder Phantasien nach weitere Geschichten, die wiederum nur von versprachlichten Leben handeln. Keine Geschichte vermag ein wirkliches Leben zu erfassen; denn das kann nur gelebt und dabei nicht auch noch erzählt werden. Das macht für mich gerade die Banalität der Sprache aus.

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