Ich fragte zuletzt hier, ob es überhaupt Vollkommenheit im Sinne objektiver Gültigkeit geben kann und denke, dass dies einer rhetorischen Frage gleichkommt. Interessant ist Deine Ansicht, Waldemar, dass das Unvollkommene ja geradewegs das Vollkommene sei.
Nun war das eigentliche von mir angeschnittene Thema Unvollständigkeit, dieses in Anlehnung an Gödels Unvollständigkeitstheoreme, auf die Ratfrag zum diesjährigen Gödelpreis hingewiesen hat. Mein Ansatz, dieses genuin mathematisch angelegte Thema der Logik auf die bedeutsame Frage nach Vollkommenheit im Sinne von idealisierter Vollendung umzulenken, entspringt meiner Neigung, solche Fragen unter philosophischem Aspekt zu betrachten.
Landläufig spricht man etwa von vollendeter Schönheit eines Kunstgegenstandes, einer absolut gelungenen Architektur oder aber auch von vollendet körperlicher Schönheit, gleichermaßen von Menschen oder Tieren auch von Pflanzen; Eine Rose sei nur von einiger Entfernung in ihrer Schönheit zu sehen, meinte Goethe, andernfalls man bei zu naher Betrachtung nur die von Läusen zerfressenen Blätter und Blüten zu Gesicht bekäme.
Zu große Nähe scheint dem ästhetischen Eindruck zu schaden, schadet sie generell der Empfindung von Vollkommenheit, deckt sie am Ende auf, dass es diese gar nicht gibt resp. geben kann? Wird damit deutlich, dass Vollkommenheit letztlich Unvollkommenheit ist, wie Waldemar das sieht?
Wenn das zutrifft, erhebt sich die Frage, warum im Sprachgebrauch dann zwei unterschiedliche Begriffe eingeführt wurden.Ich denke, hier wird deutlich, wie unpräzise (umgangs-)sprachliche Ausdrucksformen sind und damit die sprachliche Kommunikation bisweilen erheblich beeinträchtigt. Doch das sollte meine Frage nicht relativieren, ob es Vollkommenheit (nicht nur dieser Lebenswelt) überhaupt geben kann; es kann sie nicht geben, ansonsten dieser Lebensraum absolut optimiert wäre. Es wäre keine einzige „Stellschraube“ mehr zu verändern und damit wäre das System Erde tot – in alle Ewigkeit!
Gott ist demnach tot! Als solchermaßen optimierte Wesenheit gibt es an dieser nichts mehr zu verändern - in alle Ewigkeit nicht: "Herrscher des Himmels und der Erde, der du bist in Ewigkeit“. Nietzsche hatte Unrecht; nicht wir, sondern Gott hat sich selbst getötet. Es bleibt die Frage: wann ist etwas wirklich tot? Wer sie nicht beantworten kann oder will, sollte der Unvollständigkeit, dem Unvollkommenen huldigen- Vivat imperfectionem!
Bester Gruß in die Runde! - Karl